Was eben noch Geld war, formt Lee Mingwei zur Skulptur. Der taiwanesische Künstler befragt in „Money for Art“, einer Performance im Rahmen des Projektes „Playing the City 2“, in symbolischer Weise die Wertigkeit von Kunst.

Florian Leclerc: Du möchtest zehn Euro von mir?
Lee Mingwei: Ja, hast Du einen neuen Schein? Ansonsten tauschen wir ihn ein und nehmen einen von meinen. Die sind frischer.

Frisch aus dem Geldautomaten?
Ja. Matthias hat sie mitgebracht. Ich bräuchte Deinen Namen, Beruf und Deine E-Mail-Adresse.

(schreibt)
Der Grund dafür ist, dass ich mich in sechs Monaten bei Dir melde. Ich schreibe Dir eine E-Mail und frage, was aus dem Zehn-Euro-Schein geworden ist.

Kannst Du gerne machen.
Es geht nicht darum, ob Du das Geld ausgegeben hast, oder nicht. Es geht um die Gründe dafür, warum Du es immer noch hast, oder, wenn das der Fall sein sollte, warum Du es ausgegeben hast, und was Du Dir dafür gekauft hast. Mich interessiert der Gedanke, der hinter dem Behalten oder Ausgeben steht.

Du hast den Schein unterschrieben.
Genau.

Aus diesem Zehn-Euro-Schein faltet Lee Mingwei eine Skulptur.

Kann ich ihn jetzt überhaupt noch ausgeben?
Weiß ich nicht. Gute Frage (lacht). Und könntest Du ihn ausgeben, wenn Du mit dem gefalteten Schein bezahlen wolltest?

Was machst Du gerade mit dem Schein?
Ich benutze Deinen Zehn-Euro-Schein, um eine Skulptur daraus zu machen. Die Skulptur ist aber nicht figurativ zu verstehen, eher architektonisch. Nachdem ich sie gefaltet habe, gebe ich sie Dir zurück. Du bist dann der neue Besitzer dieser Skulptur. Und kannst damit machen, was Du willst.

Ist sie ein Unikat?
Ich habe ein Repertoire von ungefähr 120 Formen und Variationen, aus dem ich für das SCHIRN-Projekt eine ausgewählt habe, die ich verwende, um eine Vielzahl von Skulpturen zu schaffen. Ich benutze eine traditionelle Form, genannt der „Krebs“.

Sieht schwierig aus.
Ist es auch (lacht). Ich bin in Taiwan aufgewachsen und habe als Kind gelernt, Origami zu falten. Das ist ein Training für Hände und Finger. Man lernt spielerisch, mit Papier umzugehen. Wenn man so ein Training nicht hatte, ist es relativ schwer, eine Figur zu falten. Man würde es sicherlich hinbekommen, aber vielleicht wäre es sinnvoller, mit einer einfachen Figur anzufangen, und sich dann zu den komplexeren vorzuarbeiten.

Zunächst signiert Lee Mingwei den Geldschein.

War das Teil deiner Schulausbildung, oder hast Du das im Kunststudium gelernt?
Beides. Zunächst war es Teil des Unterrichts im Kindergarten. Wenn man jung ist, sind die Hände noch nicht so geschickt. Dann macht man eine einfache Figur, wie ein „Boot“. Der Lehrer gibt einem ein Stück Papier mit gepunkteten Linien. Darauf steht „Linie 1“, und die faltet man, und dann kommt „Linie 2“ und so weiter. Wenn man den Anweisungen folgt, hat man am Ende ein „Boot“ oder ein „Flugzeug“. Als Kind spielt man mit Papierfliegern, das ist auch eine Art Origami.

Das haben wir als Kinder auch gemacht. Aber nicht im Unterricht.
In Taiwan gehört das zum Schulunterricht. Nicht nur, weil es die Geschicklichkeit der Finger trainiert, sondern auch, weil man dadurch eine bessere Hand-Augen-Koordination lernen kann. Außerdem macht es Spaß: Meine Mutter hat zum Beispiel immer buntes Papier in der Tasche, und wenn uns langweilig wird, gibt sie mir eines und sagt: ‚Mach doch einen Ballon oder irgendwas in der Art‘.

Kann man das mit dem Erlernen eines Musikinstruments vergleichen?
Wenn man jung ist und ein Instrument lernt, kann man schnell eine hervorragende Technik entwickeln. Ich hatte zwölf Jahre eine Ausbildung in klassischer Violine, ich verstehe, was Du meinst. Bist Du als Musiker ausgebildet worden?

Nein. Mit dreizehn Jahren habe ich angefangen, Gitarre zu spielen, aber eine Ausbildung hatte ich nicht.
Und Du hörst gerne Gitarrenmusik?

Ja.
Das Schöne daran, früh unterrichtet zu werden, ist dass das Ohr trainiert wird. Wenn ich hier bin, liebe ich es, außen an der SCHIRN entlangzulaufen.

Die „Musikschule Frankfurt“ ist in der SCHIRN untergebracht.
Heute Morgen habe ich jemanden spielen gehört, das war absolut wunderbar.

Nach fünfzehn Minuten ist das Origami-Kunstwerk fertig.

Bei offenen Fenstern kann man die Musiker gut hören. Schöner als der Abrisslärm vom Technischen Rathaus.
Ich dachte, ich werde wahnsinnig. Ich sitze hier, und falte, und draußen macht es ‚dumdumdum‘. Aber an diesem Wochenende sind sie leise (lacht).So, hier hast Du Deine Skulptur. Du kannst sie in der Tasche mit Dir herumtragen. Oder öffnen und Deinen Freunden zeigen. Es ist eine frei stehende Skulptur.

Vielen Dank!
Aber gerne. In einem halbe Jahr melde ich mich bei Dir. Dann frage ich nach, was daraus geworden ist.
Das Gespräch mit Lee Mingwei führte Florian Leclerc. Übersetzung aus dem Englischen: Florian Leclerc.

Website von Lee Mingwei: www.leemingwei.com
Alle Aktionen von „Playing the City 2“: www.playingthecity.de
Alle Filme zu „Playing the City 2“ auf Youtube

Film zu Lee Mingwei, „Money for Art“