Ein exklusiver Auszug des Gesprächs zwischen der Kuratorin Ingrid Pfeiffer und dem Maler Bernhard Martin über den Künstler Philip Guston, ursprünglich erschienen auf dem Deutsche Bank ArtMag.

Noch immer gilt er als Geheimtipp. Jetzt kann man Philip Gustons Spätwerk in der Frankfurter Schirn entdecken. Darin brach er mit allem, was in der Malerei der 1960er-Jahre gängig war. Kuratorin der von der Deutsche Bank Stiftung geförderten Schau ist Ingrid Pfeiffer. Mit dem Maler Bernhard Martin unterhält sie sich über das Phänomen Guston – und warum der 1980 verstorbene Amerikaner heute so viele Künstler fasziniert.

INGRID PFEIFFER: Warum sagen eigentlich so viele Maler, die ich treffe – egal ob in Europa oder den USA –, dass Philip Guston ihr größter Held ist?

BERNHARD MARTIN: Dazu gehöre ich nicht unbedingt. Für mich sind andere Künstler wichtiger. Aber von den Amerikanern seiner Generation ist mir Guston schon der Liebste. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste ist, dass er ein großartiger Maler ist, es gibt bei ihm diesen radikalen Wechsel von der Abstraktion zurück zur Figuration. Jeder Künstler weiß, was für eine Chuzpe man braucht, um so etwas zu tun. Der zweite Grund ist der Gestus in seiner Malerei. Der Farbauftrag, das Gestische, das spirituell Intuitive, das alles macht ihn für ganz viele Künstler interessant.

IP: Das kennzeichnet doch eher seine abstrakten Bilder. Die sind einfach sehr schön. Dagegen wirkt das Spätwerk irritierend – nichts, womit man sich im Alltag gerne umgeben würde. Diese riesigen Köpfe, die man auch Zyklopen genannt hat, weil man immer nur ein einziges, großes Auge sieht. Die Stoppelhaare, die fiesen Füße und Schuhe, die gerade in der Ansammlung etwas Gewalttätiges haben. Das wurde mit Krieg, Vietnam oder dem Holocaust in Verbindung gebracht. Das ist alles eher verstörend, damals sicher noch stärker als heute.

BM: Ich empfinde seine späten Bilder absolut nicht als hässlich oder verstörend. Ich habe mir heute Morgen noch mal Fotos aus Woodstock angeschaut, wo er damals gelebt hat. Das ist eine ganz kleine Enklave. So einen Bruch wie bei Guston kriegt man eben nur hin, wenn man sich zurückzieht. Die „Solitude“ im Atelier, umgeben von Farben, Töpfen, Pinseln … Wenn man bei einem Bild keine Lösung findet, sitzt man halt Däumchen drehend auf dem Sofa und guckt von oben auf seine Füße runter. Es ist alles sehr naheliegend, was auf Gustons Bildern passiert.

IP: Ich würde das Werk auch nicht unbedingt als gewalttätig bezeichnen. Ich erkenne da eher einen skurrilen Humor. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Er hat ein tragisches Leben gehabt, er hat seinen Vater …

BM: … früh verloren.

IP: Als kleiner Junge entdeckte er die Leiche seines Vaters, der sich aufgehängt hatte. Das ist ein Erlebnis, nach dem jeder sein Leben lang einen Psychoanalytiker konsultieren könnte. Dazu hat Guston etwas Schönes gesagt: „Wenn ich meine Teufel vertreibe, dann vertreibe ich auch meine Engel.“ Das ist ein Rilke-Zitat. Neueste Hirnforschungen sagen, dass wir schlimme Erlebnisse nicht unbedingt ständig aufarbeiten müssen, sondern dass sie auch überlagert werden können. Dass wir also durch neue, gute Erfahrungen die alten überwinden können. Guston schichtet sozusagen seine eigene Welt über das traumatische Erlebnis des kleinen Jungen.

BM: Malerei hat schon etwas sehr Therapeutisches. Auch deswegen bin ich Maler geworden.

IP: Malst Du eigentlich auch nachts?

BM: Ich male zu allen Tages- und Nachtzeiten. Ich male immer dann, wenn’s kommt. Deswegen verbringt man viel Zeit im Atelier. Deswegen nimmt man auch die Gegenstände in der Umgebung wahnsinnig intensiv wahr. Ein Sofa bekommt eine andere Bedeutung, oder ein Schnürsenkel oder die Zigarette im Aschenbecher – all das ist sehr präsent. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Thema bei Guston. Die Einsamkeit des Malers im Atelier, dieses Alleingelassensein.

IP: Es gibt ja dieses eindrucksvolle Bild „Bad Habits“. Es beschreibt Gustons schlechte Angewohnheiten, die Nachtarbeit, die Depression, das fette Essen, den Alkohol, die Zigaretten. Alles ist sehr reduziert … der Pinsel, das Buch, die Flaschen …

BM: Ja, da sind wir wieder bei der Ateliersituation. Das sind die Dinge, auf die er den ganzen Tag schaut. Das kenne ich. Ich habe auch Phasen, in denen ich im Studio zum Alkohol neige. Das sind oft sehr kreative Phasen. Ich habe dann plötzlich immer Flaschen mit Gin und Whisky im Kühlschrank. Ich sehe das ganz klar auf den Bildern. Die einsame Glühbirne, die Flasche, das ist ein typisches Bild. Wenn er im Atelier sitzt und nicht weiß, was er machen soll. Man wartet den Moment ab, in dem man das, was man will, auch wirklich definieren kann. Ich weiß nicht, wie lange er an seinen Bildern gemalt hat.

IP: Das ist unterschiedlich. Manchmal ganz schnell und manchmal aber auch ganz lange.

BM: Das erkennt man auch an den Schichten. Er hat eine sehr weiche Ölfarbe benutzt, damit er so pastos malen kann.

IP: Es gibt auf den Bildern große Partien, die wahnsinnig malerisch sind. Wenn man vor den Originalen steht, dann ist das Malerei pur. Die Bilder sind zum Teil drei Meter breit. Was ich interessant finde: Heute malen ja viele wieder sehr groß. Es gibt einige Künstler, die ich sehr kritisch sehe, die dieses Format benutzen, um ihre eigene Großartigkeit auszubreiten. Die Größe bekommt dann etwas von Dominanz. Es geht darum, den Betrachter zu überwältigen. Ich finde es fast …

BM: … anmaßend.

IP: Genau. Bei Guston bedeutet das große Format aber das Gegenteil, weil es sozusagen seine eigene Schwäche, seine Verletzlichkeit einfach noch deutlicher zeigt. Die Größe ist nicht Ausdruck übertriebenen Selbstbewusstseins. Er stellt seine Fragen auf einer größeren Fläche. Das finde ich aufregend. Guston ist ein ganz subtiler, empfindsamer Maler. Ich sehe da ganz viel Verletzlichkeit, Selbstbefragung und schonungslose Offenheit. Er stellt das Problem vor, nicht die Lösung.

 

ÜBER DIE PROTAGONISTEN:

Bernhard Martin zählt zu den eigenwilligsten deutschen Malern. Zahlreiche nationale und internationale Institutionen haben ihm Einzelausstellungen gewidmet, u.a. die Städtische Galerie Wolfsburg (2008/09), die Arario Gallery, Seoul (2006), das MoMA PS1, New York (2001). Martins Arbeiten befinden sich im Museum of Modern Art, New York, im Museum der Moderne, Salzburg, und in der Sammlung Deutsche Bank.

Ingrid Pfeiffer ist seit 2001 Kuratorin an der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Sie konzipierte zahlreiche Ausstellungen wie Henri Matisse – Mit der Schere zeichnen (2002/03), Yves Klein Retrospektive (2004/05), James Ensor (2005/06), Barbara Kruger. Circus (2011), Yoko Ono. Half-A-Wind Show (2013).

WEITERLESEN: LET'S TALK AUF DEM DEUTSCHE BANK ARTMAG

Lesen Sie das ausführliche Gespräch zwischen Kuratorin Ingrid Pfeiffer und dem Künstler Bernhard Martin auf der Seite des Deutsche Bank ArtMag. Die Veröffentlichung des Gesprächsauszugs auf dem SCHIRN MAGAZIN geschieht mit freundlicher Genehmigung des Deutsche Bank ArtMags.