Lauren McCarthy ist Künstlerin, Programmiererin und Dozentin in Los Angeles. Im SCHIRN MAG Interview spricht sie über den Reiz von Überwachung und die utopischen Möglichkeiten der sozialen Medien.

Die amerikanische Künstlerin Lauren McCarthy programmiert Apps, die sich leicht zu Geld machen ließen — wenn sie den Nutzern nicht stets ein wenig zu nah kommen würden. Wer sich zum Beispiel für ihr letztes Projekt LAUREN anmeldet, wird rund um die Uhr von der Künstlerin überwacht. Das klingt wie eine Satire auf smart home assistants wie Amazon Alexa oder Google Home. Im Interview spricht McCarthy über den Reiz, überwacht zu werden, und sie erklärt, warum Soziale Medien auch eine soziale Utopie bergen.

In deinem letzten Projekt “LAUREN” bist du ein smart home assistant — wie Alexa von Amazon. Was fasziniert dich daran? 

Man lädt ein Überwachungsgerät und Kontrollmechanismus ins eigene Zuhause ein. Ich stelle mir das Zuhause als einen Ort vor, an dem Menschen ganz sie selbst sind. Darauf wollte ich aufmerksam machen, indem ich frage: Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass man beobachtet wird? Man weiß vielleicht, wer ich bin — aber wer kennt schon die Entwickler von Alexa? 

Das ist ziemlich unheimlich. Möchtest du das offenlegen und kritisieren? 

Ja. Aber ich möchte auch darüber hinausgehen. In meinen letzten Arbeiten geht es darum, dass jemand gestalkt wird oder in seinem privaten Umfeld beobachtet wird. Vielmehr muss ich ja gar nicht tun. 

Stalking ist ein wichtiger Teil deiner App “Follower”. Wie funktioniert die? 

Man meldet sich an und bekommt die App. Dann wacht man eines Tages auf und bekommt die Nachricht, dass man verfolgt wird. Die Position wird vom Smartphone an den Verfolger übermittelt. Das dauert einen Tag, und am Ende bekommt man ein Foto, das der Follower aufgenommen hat. Ich habe mir das als ein neues Soziales Netzwerk vorgestellt. Das Geheimnis dabei war natürlich, dass ich immer der Follower war.

Lauren McCarthy, Lauren, 2017, Screenshot, Copyright the artist

Klingt wie in einem David Lynch-Film. 

Das spielt natürlich mit unseren Gefühlen zur Überwachung. Man möchte auch gesehen werden, schließlich bekommt man einen kleinen Adrenalinkick, wenn man einen Like in den Sozialen Medien bekommt. Eine absurde Situation: Man weiß nicht, ob man sich aufregen, fürchten oder freuen soll. Andererseits haben viele Leute nie das Privileg, nicht aufzufallen. Sei es wegen ihres Aussehens, sei es wegen ihrer Handlungen. Mit dieser App ist Überwachung ein Luxus. Es ist klar, dass das ein Privileg ist. 

Ist das der kritische Aspekt an der App? 

Ja. Aber sie ist nicht nur kritisch. Viele künstlerische Arbeiten sagen “seht her wie schrecklich die digitale Welt ist”. Ich könnte nicht rechtfertigen, ein ausschließlich kritisches Werk zu schaffen. Es muss auch Hoffnung geben, eine neue Idee. Selbst wenn meine Projekte dystopisch wirken, gibt es einen Moment der Verbindung mit anderen Menschen. 

Es ist so schwer, Social Media zu kritisieren — denn irgendwie sind ja fast alle dabei. 

Ich arbeite auch als Dozentin an der Universität. Meine Studenten hatten schon immer Handy, und haben schon immer auf Social Media gepostet. Ich versuche, herauszufinden, wie das ihre Beziehungen beeinflusst. Es ist an uns, echte menschliche Beziehungen in den Fokus zu rücken.

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Fast alle Apps versprechen, Menschen zusammenzubringen. Deine Apps könnten auch leicht kommerziell vermarktet werden. 

Viele Leute kommen auf mich zu und wollen meine Arbeit vermarkten. Aber ich möchte nicht, dass daraus ein Start-Up wird. Ich will nicht in diese Geschäftswelt. Als Künstlerin gibt es Möglichkeiten, Dinge zu hinterfragen, anders als in wirtschaftlichen Bereichen. Ich befasse mich mit Technologie, aber ich denke auch darüber nach, was es bedeutet, in der heutigen Welt zu leben. Manche Menschen — ich zum Beispiel — finden es schwer, eine Verbindung zu anderen aufzubauen, besonders beim ersten Treffen. Technologie bietet Möglichkeiten auf verschiedene Arten in Verbindung zu treten. Oder sie sorgt für neue Hürden und Komplikationen — und noch mehr Verwirrung. 

Du hast auch ein Browser-PlugIn programmiert, den “Facebook Mood Manipulator”. Das ist auf einmal sehr aktuell, denn angeblich wurden ja die US-Wahlen per Social Media manipuliert. 

Das Interessante ist, dass ich das eigentlich ganz schnell programmiert habe, als Reaktion auf eine Studie im Jahr 2014. Damals hat Facebook damit experimentiert, die Stimmung der Nutzer zu manipulieren. Es gab große Empörung darüber, ob das ethisch vertretbar ist. Aber natürlich versucht jede Firma die Emotionen der Konsumenten zu manipulieren. Ich machte mir eher Sorgen darüber, was sich daraus ergibt. Die Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, wie diese Technik benutzt werden kann. Aber es gibt auch eine utopische Seite: Was, wenn man morgens aufsteht und seine Stimmung für den Tag auswählt?

Lauren McCarthy, Lauren, 2017, Screenshot, Copyright the artist
Lauren McCarthy, Facebook Mood Manipulator, Screenshot, Copyright the artist

Dann würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag auf Facebook verbringen, statt produktiv zu sein — und wäre trotzdem deprimiert. 

Ich glaube nicht, dass das PlugIn noch geht. Facebook hat seither viel an den Codes geändert. Aber es funktioniert so: Jedes Wort in einem Post ist bestimmten Kategorien zugeordnet. Wörter, die sich auf eine Person oder auf Geld beziehen, negative oder positive Wörter. Es ergibt sich eine Gleichung: positive minus negative Wörter. Jeder Post wird analysiert und bekommt eine Stimmungsbewertung  — und dann wird entschieden, ob er im Newsfeed angezeigt wird. 

Wie sieht deine nächste App aus? 

Ich arbeite an einem Projekt für die Dutch Design Week im Herbst. Die Idee ist, dass künstliche Intelligenz in Zukunft auch emotionale Arbeit übernehmen kann. Für das Projekt schmeiße ich eine Party, 24 Stunden lang. Ein Programm errechnet, wer kommt und arrangiert, dass die Gäste zur optimalen Zeit kommen, um einander zu treffen. Die Software geht durch ihre Social Media-Accounts, um die interessantesten Gesprächsthemen der Leute zu finden. Als Gastgeberin, bekomme ich diese Informationen und muss die menschliche Arbeit übernehmen: lächeln, Gäste begrüßen. Wenn es später wird, bin ich erschöpft, aber der Algorithmus arbeitet immer weiter. Ich möchte damit fragen, was der menschliche Anteil ist: Können wir einem Algorithmus so etwas Essentielles überlassen? Das ist alles noch in Arbeit, aber die Idee steht fest: eine Party, die nicht endet, und ein zur Hälfte menschliches, zur Hälfte technisches Wesen, das alles steuert.

Lauren McCarthy, Follower, Screenshot, Copyright the artist

Diese emotionale Arbeit ist auch ein wichtiger Teil der Kunstwelt. 

Natürlich. Das möchte ich auch zeigen. Eine meiner ersten Arbeiten war der “Happiness Hat”, der die Träger zum Lächeln auffordert. Wenn ich jemanden kennenlerne, deuten die Leute mein Verhalten manchmal als arrogant oder schüchtern. Bei einem Mann könnte diese Deutung wiederrum ganz anders aussehen. Ich danke dabei auch an den Genderunterschied. 

Hat deine Arbeit auch ein utopisches Element? 

Ja. Man liest ständig ungeheuerliche Schlagzeilen über Digitalisierung und Überwachung. Es scheint, als gäbe es nur zwei Optionen: mitmachen oder radikal ablehnen. Ich denke, wir brauchen eine differenzierte Reaktion auf neue Formen sozialer Interaktion. Denn, wie alles im Leben, ist es kompliziert.

Vielen Dank für das Gespräch!

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