2012 applizierte Bettina Pousttchi ihre Fotoinstallation „Framework“ auf die Fassade der SCHIRN, in der Rotunde waren außerdem acht Motive ihres Langzeit-Projekts „World Time Clock“ zu sehen. Wir trafen die Künstlerin in Berlin zum Interview.

Schirn Magazin: Frau Pousttchi, Sie waren gerade für Ihr Projekt „World Time Clock" unterwegs, für das Sie Uhren in allen 24 Zeitzonen der Welt fotografieren. Wo waren Sie?

Bettina Pousttchi: Gerade komme ich aus Rio de Janeiro und Santiago de Chile zurück. Das Projekt hat mich in den vergangenen Jahren bis nach Anchorage, Honolulu und Vladivostok gebracht. Entstanden ist eine Art fotografische Weltzeituhr. Dafür habe ich markante Uhren im öffentlichen Raum fotografiert, immer zur gleichen Zeit um fünf vor zwei. 2008 hatte ich die Idee zu dem Projekt, da lebte ich in London, also begann ich mit der Big Ben-Uhr.

SM: Fotografie bildet vermeintlich Realität ab, Sie lenken Aufmerksamkeit darauf, wie Fotografie Realität konstruiert. Mit „World Time Clock" suggerieren Sie einen Moment der Gleichzeitigkeit, der so nicht möglich ist. 

BP: „World Time Clock" setzt sich mit ganz grundsätzlichen Fragen der Fotografie auseinander. Zwei davon haben Sie angesprochen. Da ist der Realitätsaspekt, die Suggestion eines Ereignisses, das stattgefunden haben soll. Und da ist dieser vermeintlich eingefrorene Moment. Beides kommt in der Weltzeituhr zusammen. Es ist die Präsentation des gleichen Moments auf der ganzen Welt, was unmöglich ist, ich habe ja all diese Momente über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg selbst fotografiert. Diesen Eindruck von Gleichzeitigkeit finde ich spannend.

SM: Sie betreiben regelrecht künstlerische Forschung, indem sie Aspekte des Mediums Fotografie untersuchen. Die Momentaufnahme, die Sie mit der Uhr repräsentieren, ist so ein Beispiel.

BP: Ich mag es, mit den konzeptuellen und formalen Möglichkeiten der Fotografie zu experimentieren. Der Übergang vom Analogen ins Digitale hat kein anderes Medium so stark verändert. Einige Theoretiker haben ja schon das Ende der Fotografie heraufbeschworen. Mich interessiert eher, welches neue Kapitel durch die digitale Fotografie aufgeschlagen wird. Spannend ist zum Beispiel die Materialisierung des Bildes, also die Übersetzung von Daten in verschiedene physisch erfahrbare Bildträger. Für meine Installationen lasse ich Fotos auf die unterschiedlichsten Materialien drucken. Für „Echo" etwa, die Fotoinstallation auf der Fassade der Temporären Kunsthalle in Berlin, die sich mit dem mittlerweile abgerissenen Palast der Republik auseinandersetzte, wurden 970 unterschiedliche Papierposter produziert und nebeneinander plakatiert. Für „Framework", meine 2012 für die SCHIRN entstandene Arbeit, wurden die Fotos auf selbstklebende Vinylfolien gedruckt.

SM: Neben der Fotografie arbeiten Sie mit Videos, außerdem schaffen Sie Skulpturen, zum Beispiel aus Absperrgittern. Setzen Sie sich darin mit Machtstrukturen auseinander?

BP: Mich interessiert dabei vor allem die physische Erfahrung von Objekten im Raum. Absperrgitter sind ja Objekte, die beeinflussen wie Menschen sich im öffentlichen Raum bewegen. Auch die Frage danach, wie Kunst eigentlich ausgestellt wird, spielt eine Rolle. Mich interessiert was passiert, wenn Kunst den Ausstellungsraum verlässt, was bei Arbeiten wie „Echo" oder „Framework" der Fall ist, ich inszeniere aber auch den umgekehrten Fall: Bei meinen Arbeiten mit Absperrgittern und Straßenpfosten kommen Objekte aus dem öffentlichen Raum ins Museum.

SM: Sie haben bei Rosemarie Trockel studiert. Was haben Sie mitgenommen?

BP: Ich habe in dieser Zeit begonnen, mit Videos zu arbeiten. Außerdem regte sie ein freies Arbeiten mit verschiedenen Medien an. Dass ich das heute mache, ermöglicht es mir letztlich, mit Fotografie auf eine neuartige Weise umzugehen. Ich arbeite übrigens immer in zwei Medien gleichzeitig und nehme die Erfahrungen aus dem einen in das andere mit.

SM: Ihre „World Time Clock" ist fertig. Was kommt als nächstes?

BP: Im Rahmen der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Wolfsburg werde ich im Mai eine 2.150 Quadratmeter große Fotoarbeit auf der Fassade des Wolfsburger Schlosses realisieren. Im Schloss wird parallel eine Ausstellung mit weiteren Arbeiten zu sehen sein. Außerdem bereite ich eine Museumsausstellung in den USA vor. Das „Nasher Sculpture Center" in Dallas hat mich eingeladen, meine Skulpturen zu zeigen und eine ortsspezifische Arbeit für die Architektur des Gebäudes von Renzo Piano zu entwickeln. Die Installation wird die Fensterfronten zur Flora Street und zum Sculpture Garden hin sowie die Halle der Sammlungsabteilung einschließen. Ein Teil der Sammlung wird innerhalb dieser Rauminstallation dann neu präsentiert.