Der US-amerikanische Künstler George Condo im Interview über klassische Kunst, Andy Warhols Factory und ein Albumcover für Kanye West.

Der Künstler George Condo hat in der Factory für Andy Warhol Tagebuch geschrieben, in Köln Karneval gefeiert und ein Albumcover für den amerikanischen Hip-Hop-Star Kanye West gestaltet. Zu seinen Freunden zählten Keith Haring und Jean-Michel Basquiat, seine Gemälde haben es vor allem anderen Künstlern angetan. Dabei versucht er nicht, die Malerei neu zu erfinden, sondern nutzt altbekannte Vorlagen, um sie in eine stellenweise sehr düstere Gegenwart zu transportieren. Im Interview berichtet der erzählfreudige Künstler über sein Verständnis von Malerei, die Alten Meister und seine Vorbildfunktion für junge Künstler.

Fabian Famulok: In den 80er-Jahren lebten Sie im New Yorker East Village. Dort haben Sie auch in der Factory von Andy Warhol gearbeitet. Wie wurden Sie Mitarbeiter bei Warhol?

George Condo: Als ich das erste Mal nach New York kam, war ich gerade mit dem College in Boston fertig. Dort habe ich nebenbei in einer Siebdruckerei für T-Shirts gearbeitet und lernte Musiker einer experimentellen Musikgruppe kennen. Eines Abends fuhren wir für einen Auftritt nach New York, wo dem Gitarristen und mir klar wurde, dass wir nicht mehr nach Boston zurück wollen. Also blieben wir in New York, es war 1979 oder 1980, wir hatten kein Geld und keine Bleibe. Um einen Job zu finden, ging ich zu einer Arbeitsvermittlung. Einer der Jobs war in einer Galerie, wo einer der Künstler, die sie vertraten, als Drucker für Andy Warhol tätig war und bald eine Ausstellung mit ihm machen würde. Für diese Ausstellung wurde noch jemand gesucht, der die Pressemeldung schreiben kann. Also schrieb ich die Presseerklärung, die anschließend zur Kontrolle an Andy Warhol geschickt wurde. Der sagte „Wow, wer auch immer das geschrieben hat, ich möchte, dass er für mich arbeitet!“. So kam ich in die Warhol Factory. Dort bestand mein Job daraus, darüber zu schreiben, was in der Factory alltäglich geschah.

FF: Sie haben also eine Art Tagebuch über die Warhol Factory geschrieben?

GC: Ja, ein Tagebuch über den Factory-Alltag. Was wir zum Lunch gegessen haben und solche Dinge. Nach zwei Tagen kamen sie mit einem Print von Diana Ross. Es gab ein Problem: ein großer weißer Fleck im Haar von Diana Ross. Sie fragten mich, ob ich malen könne. Man gab mir Farbe und Pinsel und ich machte einen Punkt, um die weiße Stelle zu verbergen. Alle waren sehr begeistert und fragten mich, ob ich mich auch mit Siebdrucken auskennen würde. Das hatte ich in der Siebdruckerei in Boston gelernt. Also bekam ich ab sofort einen Job in der Herstellung. Ich arbeitete im Grunde acht Monate lang von 10 Uhr morgens bis Mitternacht. Den ganzen Tag musste man eine Atemmaske tragen und den ätzenden Geruch von Chemikalien und Farben ertragen – das war wirklich schrecklich. Später, als ich mit Keith Haring und Jean-Michel Basquiat befreundet war, arbeitete ich gerade an einem Bild in Keiths Studio, als der sagte: „Andy Warhol möchte Dich kennenlernen weil er ein paar Deiner Arbeiten gekauft hat“. Ich antwortete: „Aber sag ihm nicht, dass ich für ihn gearbeitet habe!“ Als ich Andy Warhol traf, hatte ich große Angst, dass er mich wiedererkennen würde (lacht). Ich glaube, dass er diejenigen, die für ihn arbeiteten, wirklich nicht leiden konnte. Später wurden wir Freunde – aber ich habe ihm nie erzählt, dass ich für ihn gearbeitet hatte.

FF: Wie war Andy Warhol?

GC: Er war ein wirklich netter Kerl. Es war sehr interessant mit ihm über Kunst zu sprechen, vor allem wenn man mit ihm alleine war. Er mochte meine Malerei sehr, hatte ungefähr sechs Bilder gekauft und stellte eine Sammlung meiner Arbeiten zusammen. Ich lernte von Warhol, dass man die Dinge, die die Menschen lieben, in etwas neues verwandeln muss. So wie er die Campbell’s Suppe, die er liebte, nahm und zu einem Kunstwerk machte. Meine Idee war es, den Anschein einer Reproduktion eines europäischen Gemäldes zu erwecken, allerdings aus der Perspektive und Sicht eines amerikanischen Künstlers der Gegenwart.

FF: Ihre erste Ausstellung in Deutschland hatten Sie 1984 in der Galerie Monika Sprüth in Köln, wo Sie auch einige Zeit lebten.

GC: Für etwa neun Monate. Und später kam ich für weitere drei Monate zurück. In Köln gefiel es mir so gut, dass ich einfach bleiben musste. Es gab zu dieser Zeit keinen guten Grund, nach New York zurückzukehren. Ich arbeitete in Köln mit Walther Dahn und Jiří Georg Dokoupil und lernte die Kölner Kunstszene kennen. Monika Sprüth sah meine Arbeiten und wollte eine Ausstellung mit mir machen.

FF: Wie hat sich diese Zeit auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

GC: Da gab es vor allem zwei wichtige Dinge: Ich habe kennen gelernt wie Künstler in großen Ateliers arbeiten. Das habe ich vorher nämlich außer bei Warhol nie richtig erlebt, aber die Warhol Factory war ja eine richtige Fabrik, kein Atelier in dem Sinne. Und dann der persönliche Kontakt zu einer Gruppe von Künstlern, die in einem intensiven Dialog miteinander standen. Ich habe ganze Nächte mit Walther Dahn und Georg Dokoupil in Restaurants verbracht und geredet. Außerdem waren da noch Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Werner Büttner, Gerhard Naschberger und all diese Künstler in einer Art Künstlergemeinschaft. Alle hatten unterschiedliche Ansichten, waren aber in ständigem Austausch untereinander. Und alle hatten eine wahre Mission als Künstler aus einem Gefühl der Überzeugung heraus. Es war eine höchst intellektuelle Gruppe, die ihre Ideen mit einer radikalen Form der Malerei zum Ausdruck brachte. In New York hatte ich das Gefühl, dass alle in einer starken Konkurrenz zueinander standen. Man wollte oder konnte dort keine intellektuellen Gespräche über die eigene künstlerische Arbeit führen, weil jeder so stark mit seiner eigenen Idee beschäftigt war. In Deutschland war das etwas anderes, das hat mir sehr gefallen.

FF: Hatte die Auseinandersetzung in dieser deutschen Künstlergemeinschaft Einfluss auf ihre Arbeit?

GC: Ich hatte bereits meine eigenen Vorstellungen von der Malerei. Mich interessierte eine Art Entkoppelung der Ausdrucksformen klassischer Kunst. Die Klassiker neu zusammenzusetzen. Die bisherige Bedeutung klassischer Malerei auf eine moderne und zeitgenössische Denkweise anzuwenden. So wurde für mich die traditionelle europäische Malerei zu einem gebrauchsfertigen Material, mit dem ich arbeiten konnte. Und hier in Deutschland wurde diese Idee akzeptiert. In Europa herrschte damals das Gefühl, die großen Meister der Malerei bereits hinter sich gelassen zu haben und nun in erster Linie gegen sie rebellieren zu müssen. In Amerika kannte man das so nicht. Es gab dort kaum große Meister, besonders nicht vor 1700. Es gab dort keine Renaissancemaler, wie man sie in Europa kennt.

FF: Eines Ihrer Bilder ist „Skinny Jim“. Findet sich in dieser Arbeit ein Hinweis auf die Kölner Karnevalstradition?

GC: „Skinny Jim“ ist eine Weiterführung der Karnevalstradition. Aber es geht vor allem um die Idee der Pose, einer klassischen Pose wie man sie von Frans Hals und oder Rembrandt kennt. Mit harten Farben, Schatten und dem Licht von der richtigen Seite, nämlich der linken. „Skinny Jim“ ist wie eine dieser Kölner Karnevalsfiguren in einer Komposition und einem Format der Klassischen Malerei.

FF: Sie haben für den populären Hiphop-Musiker Kanye West ein Album-Cover gestaltet. Wie war die Zusammenarbeit?

GC: Kanye West kam in mein Studio um mit mir dort zu arbeiten. Er arbeitete am Laptop an seiner Musik und ich an meinen Bildern. Er spielte seine Musik immer wieder über riesige Lautsprecher ab und wir diskutierten über den Inhalt seiner Songs. Kanye West zeigte auf meine Bilder und erklärte mir, wie er sich etwa die Bilder für sein Album vorstellte. So inspirierte er mich. Nachdem sein Song „Power“ mit den Samples von King Crimsons “21st Century Schizoid Man“ veröffentlicht wurde, realisierte ich, dass er genau dieser schizoide Mann des 21. Jahrhunderts ist. Ich wollte ihn porträtieren und dieses schizophrene Gefühl widergeben. Auch Kanyes Kunst ist in gewisser Weise höchst schizophren. Er leiht sich Musikelemente aus unterschiedlichsten Perioden, setzt sie neu zusammen und macht daraus einen Song. Darin gründet seine Beziehung zu meiner Malerei: Klassik trifft auf Kubismus, wie in seiner Musik Rock und Pop auf Rap. Wir haben in dieser Zeit sehr eng zusammengearbeitet. Und ich stehe noch immer in engem Kontakt zu ihm.

FF: Sie werden gerne als „artist’s artist“ bezeichnet, als Künstler der vor allem für andere Künstler von großer Bedeutung ist. Wie stehen Sie zu dieser Einordnung?

GC: Manchmal glaube ich es waren schon immer die Künstler, die meine Arbeiten mehr mochten als die Kritiker. Das ist es, was der Begriff „artist’s artist“ bedeutet. Meine Arbeit kam nach einer langen Phase von Minimalismus und Pop. Es gab viele Künstler, die angefangen haben auf brutale Art und Weise zu malen, um die Barriere zwischen Minimalismus und Figuration zu überwinden. Wenn sie meine Arbeiten betrachteten, sahen sie darin eine gewisse Freiheit. Man muss nicht darüber nachdenken wie man malen will sondern über die verschiedenen Elemente der Malerei – und wie man diese benutzen kann. Das ist das Thema der Malerei. Das ist wohl der Grund warum meine Arbeit von jüngeren Künstlern so geschätzt wird.

FF: Es ist also ein schönes Kompliment, als „artist’s artist“ bezeichnet zu werden?

GC: Ja, ein echtes Kompliment – das größte Kompliment das man bekommen kann! Als ich erfuhr dass Andy Warhol und Keith Haring meine Arbeiten gekauft haben ohne mich zu kennen, fand ich das großartig, besonders bei Warhol. Ich dachte: selbst wenn sonst niemand meine Kunst so richtig versteht, immerhin tun es die Künstler.

FF: Ihre Charaktere, vor allem deren Augen, werden gerne mit Comicfiguren wie z.B. Goofy assoziiert. Wie steht es um Ihre Beziehung zu Comics?

GC: Ich habe in diesen Figuren ein Thema gefunden. Man kann sie im übertragenden Sinne als wechselseitige Beziehung zweier verschiedener Arten zu Denken verstehen, wie eine psychologische Annäherung an die Kindheit. Und diesen Ansatz wende ich dann auf die Methode des Malens an. Eine Comicfigur ist für mich nicht interessanter als eine andere. Eine Comicfigur im Stil eines alten Meister zu malen, wie zum Beispiel im Stil von Frans Hals, ist besser als eine Person auf diese Art zu malen. Sonst hätte man ja nur ein weiteres Bild von Frans Hals, das jemand mittelmäßig im Stil der alten Meister gemalt hat. Wenn man einen Cartoon sieht, dann sieht man die fantasievolle Verkörperung einer realen Person. So wie auch Bugs Bunny im Kopf des Comiczeichners einmal eine reale Person war. Ich arbeite aber in umgekehrter Richtung: von Bugs Bunny zurück zu dem, was er einmal gewesen ist; vom Cartoon zurück zur Person.

FF: In der Ausstellung werden auch Skulpturen von Ihnen zu sehen sein. Haben Sie von Anfang an Skulpturen gemacht?

GC: Als ich ein kleiner Junge war gab es im Hause meines Großvaters eine Skulptur von einem Künstler, einem Onkel meines Großvaters. Sein Name war Concesso Barca Albano, Sohn des berühmten Bildhauers Salvatore Albano. Er war ein klassischer Bildhauer des 19. Jahrhunderts, seine Skulpturen sind in Italien in vielen Kirchen und Museen zu sehen. Diese Skulptur war also in dem Haus meines Großvaters, aber für mich war immer klar: er ist nicht Michelangelo oder Bernini. Ich wollte nie ein unbekannter oder zweitklassiger Bildhauer werden, ich wollte schon immer zeichnen und malen. Letztendlich wollte ich das mit der Bildhauerei aber doch einmal ausprobieren. Es war etwa 1989 als ich meine erste Skulptur machte. Ich wollte herausfinden, ob mir diese Familientradition im Blut liegt. Und das tut es, denn es ging so einfach und so schnell. Die Materialien sind variabel und einfach zu handhaben. Seit 1989 komme ich immer wieder an den Punkt, an dem ich mich freue eine Pause von der Malerei einzulegen. Eine Eigenschaft der Malerei ist es, dass man sie nie dreidimensional sehen kann. Man kann nur eine Illusion des Raums und der Tiefe erzeugen. Nur Skulpturen bieten diese Gelegenheit wirklich.