Karsten Weber, Architekt der Ausstellung Gustave Caillebotte, im Interview über die Herausforderungen, ein wissenschaftliches Ausstellungskonzept in eine sinnlich erfahrbare Raumsitation zu übersetzen.

Karsten Weber gestaltete die Architektur der Ausstellung „Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie“. Der Architekt, der unter anderem in der SCHIRN die erfolgreichen Ausstellungen „László Moholy-Nagy. Retrospekitive“ und „Surreale Dinge. Skulpturen und Objekte von Dalí bis Man Ray“ architektonisch umsetzte, spricht im Interview mit dem SCHIRN MAG über die Herausforderungen einer Ausstellungsarchitektur und erklärt das besondere Konzept der Architektur der Caillebotte-Ausstellung.

SCHIRN MAGAZIN: Herr Weber, wie wird man eigentlich Ausstellungsarchitekt?

Karsten Weber: Ich habe an der Düsseldorfer Kunstakademie Architektur studiert. Dort habe ich nicht nur Künstler, sondern auch künstlerische Arbeitsweisen kennengelernt. Mein erstes Projekt war der Umbau und die Modernisierung der Kunsthalle Düsseldorf vor zehn Jahren. Damals bin ich erstmals mit der Architektur von Ausstellungsräumen in Kontakt gekommen. Seitdem habe ich mich fortwährend mit Ausstellungsarchitektur beschäftigt. Hierbei interessiert mich vor allem die jeweils sehr intensive Auseinandersetzung mit einem Thema. Es geht um andere Inhalte als in der eigentlichen Architektur von Gebäuden.

SM: Worin liegt für Sie die Herausforderung bei der Konzeption der Ausstellungsarchitektur für eine Kunstausstellung?

KW: In Kunstausstellungen geht es um das Werk und um die Entfaltung eines Themas. Es gilt verschiedene Stränge miteinander zu verbinden: Die Wissensebene, die ästhetische Ebene und die sinnliche Erfahrung der Kunstwerke. Als Ausstellungsarchitekten leisten wir eine Übersetzungsarbeit, mit der wir das wissenschaftliche Konzept, das die Kuratoren vermitteln möchten, in eine sinnlich erfahrbare Raumsituation übersetzen. Der Ausstellungskatalog ist das wissenschaftliche Format, das dauerhafte Medium, während die Ausstellung selbst nach einigen Monaten vorbei ist, aber – im besten Fall – zusammen mit den ausgestellten Werken in der Erinnerung der Besucher weiterlebt.

SM: Was ist der erste Schritt bei der Konzeption einer Ausstellungsarchitektur?

KW: Ich bekomme das wissenschaftliche Konzept der Kuratoren und Listen mit Gemälden, die in der Ausstellung gezeigt werden sollen. Ich lese mich in das Thema ein und sehe mir die Werke in Katalogen an. Dann versuche ich, dem Thema auf die Spur zu kommen, das die Kuratoren mit der Ausstellung präsentieren wollen.

SM: Wie lange arbeiten Sie üblicherweise vom Ausstellungskonzept bis zur Fertigstellung an einer Architektur?

KW: Im Optimalfall beginnt man schon ein Jahr vor Ausstellungsbeginn mit der groben Planung der Architektur. Wenn die Kuratoren Leihgaben für die Ausstellung verhandeln, sollte bereits ein räumliches Konzept vorhanden sein, damit genau die richtige Anzahl an Werken ausgeliehen werden kann und keine Lücke in der Ausstellung entsteht. Fünf bis sechs Monate vor Ausstellungseröffnung beginnt die Detailplanung, die sich bis in die Planung jedes einzelnen Brettchens einer Vitrine erstreckt. Für diese Details muss man sich gut mit den Werken auskennen.

SM: Worauf müssen Sie bei dem Architekturkonzept besonders Rücksicht nehmen?

KW: Ich muss ein Konzept finden, das einerseits den Werken gerecht wird, andererseits auch die Erzählung der Kuratoren transportiert. Also ein Zusammenspiel von sinnlicher Wahrnehmung und Wahrnehmung der grundlegenden Informationen, etwa über Texte oder Filme. Die Architektur ist Teil der vermittelnden Ebene. Bei Gustave Caillebotte war die Idee der Kuratoren bestimmend, Fotografie und die Werke Caillebottes gemeinsam zu zeigen und die Fotografie innerhalb der Ausstellung als eigenständige zeitgenössische Werke und nicht als Dokumentationselemente zu präsentieren. Außergewöhnlich ist, dass die Ausstellung nicht, wie viele andere, chronologisch erzählt wird, sondern sich in Themen gliedert: Die Wahrnehmung in der Stadt, die Wahrnehmung im Innenraum und die Wahrnehmung in der Landschaft.

SM: Woher kommt diese Themenwahl?

KW: Sie kommt aus den Werken Caillebottes selbst. Dort findet man ganz klar die Themen Stadt, Landschaft und Porträt. Diesen Themen wurden Werke der Malerei und Werke der Fotografie zugeordnet. Mir als Ausstellungsarchitekt stellte sich also die Frage, welches Konzept ich entwickeln kann, damit ein schlüssiges und einheitliches Bild der gesamten Ausstellung entsteht. Ich bin stark vom Thema der Stadt ausgegangen, das dem Betrachter in den Bildern begegnet. Was passiert in der Stadt? Wie sind die Bilder komponiert? Es geht um Stimmungen, Atmosphären, Perspektiven, Blickachsen und Bewegungen in der Stadt.

SM: Und wie haben Sie das Thema Stadt im Ausstellungsraum umgesetzt?

KW: Die Idee war, dass der Besucher das, was ihm in den Gemälden und in der Fotografie begegnet, auch selbst in den Ausstellungsräumen wahrnimmt. Dass er sich innerhalb der Ausstellung bewegt wie in einer Stadt. Viele Ausstellungen funktionieren durch einen gelenkten Umlauf. Man hat einen Anfang, einen Gang der durch Ausstellungswände begrenzt ist, und wird durch die Ausstellung geleitet. Das hat gewiss auch Vorteile. Aber ich wollte diesmal, dass sich der Besucher frei fühlt, als könnte er in Caillebottes Bildern spazieren. Ansatzweise sollte dieses Tempo, das man als Passant in einer Stadt hat, dieses Schlendern und Flanieren, auch in der Ausstellung funktionieren.

SM: Darum erinnern die großen asymmetrischen Volumen, die nun im Ausstellungsraum aufragen, stark an die Silhouette einer Stadt?

KW: Genau, so soll es wirken. Aber diese Volumen begleiten die Ausstellung auch nach dem Thema Stadt noch weiter, wenn es später in den Gemälden um Interieur oder Landschaft geht. Wir wollten die klassische Ausstellungswand auflösen und durch unterschiedliche Farbgebung beim Besucher Assoziationen wie Landschaft oder Innenraum hervorrufen. Das wichtigste für mich ist, dass man als Besucher das Gefühl ein Stück weit vergisst, in einer Ausstellung zu sein.

SM: Die SCHIRN hat eine sehr ungewöhnliche Architektur für ein Ausstellungshaus. Wie gehen Sie damit um?

KW: Das ist natürlich in der SCHIRN ein besonderes Thema: die Räume müssen für jede Ausstellung komplett umgebaut werden. Dementsprechend gibt es hier kein Bild der Architektur, vor dem alle Ausstellungen gesehen werden. Jede Ausstellung hat ein komplett neues, eigenes Erscheinungsbild. In einem Museum, in dem die Architektur des Hauses den Hintergrund der Werke stark bestimmt, arbeitet man mit Details: Zum Beispiel mit Farben oder mit Sockelleisten. In der SCHIRN kann jedes Mal alles neu erfunden werden.