Mit seinem Label Man Recordings bringt Daniel Haaksman den brasilianischen Baile Funk nach Europa. Im Interview mit dem SCHIRN MAGAZIN erklärt er, wie er den Sound aus Rios Ghettos entdeckt und bekannt gemacht hat.

In der Installation „Universo do Baile" von Dias & Riedweg, die aktuell in der SCHIRN-Ausstellung „Brasiliana" zu sehen ist, spielt die Subkultur des Baile Funk eine zentrale Rolle. Baile Funk ist eine brasilianische Spielart der rasend schnellen, basslastigen HipHop-Variante Miami Bass. Entstanden ist der Sound in den Favelas von Rio de Janeiro. Dass die Musik längst auch in Europas Clubs angekommen ist, verdanken wir Daniel Haaksman. Der Berliner DJ, Produzent und Labelbetreiber hat den Baile Funk mit seiner Compilation „Rio Baile Funk Favela Booty Beats" Mitte der Nuller Jahre in unseren Sphären bekannt gemacht. Bis heute bringt er auf seinem Label Man Recordings Tracks von Baile-Funk-Künstlern heraus.

SCHIRN MAG: Daniel, wie hast du Baile Funk entdeckt?

Daniel Haaksman: Das war 2003. Ein Freund von mir, der in Brasilien studiert hat, kam nach Berlin zurück und überreichte mir einem Stapel CDs. Hör dir das mal an, das begeistert die Kids in Rio, sagte er noch dazu. Ich hätte eine elektronische Variante von Bossa oder Samba erwartet. Aber die Musik, die ich dann entdeckte, hat mich total umgehauen. Das war die totale Powermusik mit unglaublichen Beats. Genauso überrascht war ich von der Sample-Ästhetik des Baile Funk. Mit dem HipHop ging es damals ziemlich bergab: Wegen den strikten Copyright Laws traute sich niemand mehr, Musik ungefragt zu sampeln. Im Baile Funk dagegen wurde gesampelt, als ob es überhaupt kein Copyright gäbe. Das war frisch und energetisch.

SM: Wie ging es dann weiter?

DH: Ich wollte mehr über die Musik erfahren. Aber online konnte ich nichts entdecken. In Brasilien stand das Netz noch in den Kinderschuhen. Sowohl in der hiesigen, wie auch in der internationalen Musikpresse war rein gar nichts über Baile Funk zu finden. Meine Idee war es, eine Compilation mit dieser großartigen Musik zu machen. Ich bin dann im Januar 2004 nach Rio, bin auf meine ersten Baile-Funk-Partys gegangen und habe peu a peu erfahren, um was es da geht. Auch von der Stigmatisierung des Baile Funk: Von der Mittelschicht, dem weißen Brasilien, wurde der Sound verachtet. Der Funk war die Musik der Straße, die Musik der armen Leute.

SM: War es schwierig, in die Szene einzutauchen? Der Sound gilt als Musik der Favelas, der Slums. Westliche Touristen werden eindringlich davor gewarnt, diese Viertel zu betreten, weil sie dort nicht sicher seien.

DH: Ja, das war wirklich nicht einfach. Bei meinem ersten Brasilienbesuch war ich ja tatsächlich so ein richtiger Tourist, der die Stadt noch nicht kannte. Ich sprach kein Wort portugiesisch, war orientierungslos. Erst einmal habe ich Tonnen von CDs auf Straßenmärkten gekauft. Drei Bailes konnte ich schließlich besuchen -- mit einem Brasilianer, der mich mitnahm auf die Partys. Und ich lernte den Journalisten Hermano Vianna kennen, einen der absoluten Kenner der Funk-Szene. Er war total überrascht, dass ein Gringo sich ausnahmsweise nicht für Tropicalia oder Samba, sondern für Baile Funk interessierte.

SM: Wie hast du deine Compilation dann zusammengestellt? 

DH: Ich bin dann zurück, habe von hieraus die Stücke, die mich interessierten, lizensiert und „Rio Baile Funk Favela Booty Beats" auf dem Label Essay Recordings, das ich gemeinsam mit Shantel betrieb, veröffentlicht. Die Compilation schlug unheimlich ein. Wir erhielten auch viel Presse, vor allem in den USA und in Großbritannien. Parallel dazu hatte der Produzent Diplo ein Mixtape mit dem Titel „Favela On Blast" zusammengestellt, das er an befreundete DJs und Musikjournalisten verschickte. Die Künstlerin M.I.A. veröffentlichte mit „Bucky Done Gun" einen Track, der direkt auf ein Funk-Stück zurückging. Plötzlich war der Baile-Funk-Hype da. Und in Brasilien rieb man sich die Augen: Warum interessieren sich die Gringos für diese Müllmusik? Im eigenen Land gilt ein Künstler eben erst dann etwas, wenn er international Wertschätzung erfährt. Der Funk ist heute in der Mitte der brasilianischen Gesellschaft angekommen. Der große internationale, auch kommerzielle Durchbruch blieb nach dem ersten Hype dann allerdings aus.

SM: Das könnte auch damit zu tun haben, dass der extreme Körperkult im Baile Funk auf uns irritierend wirkt. Halbnackte Frauen bevölkern die Videos. Ist Baile Funk sexistisch?

DH: Den Vorwurf gab es von Anfang an, auch in Brasilien. Für mich ist Baile Funk nicht unbedingt sexistische Musik, aber ganz eindeutig Sexmusik. Es geht fast ausschließlich um Sex in den Stücken. Aber es gibt im Funk eben nicht nur die männliche Perspektive, es gibt auch viele weibliche MCs, die über Sex singen. Kulturunterschiede darf man dabei nicht übersehen. Mit Sex kann man in der prüden und konservativen brasilianischen Gesellschaft mit sehr einfachen Mitteln auf sich aufmerksam machen, und viele Funk-Künstler nutzen diese Strategie meisterlich. Da in Europa fast niemand portugiesisch spricht, haben die Texte hier keine Bedeutung. Ich vermute, das ein anderer Grund wichtiger dafür ist, dass Baile Funk nie ein Massenphänomen geworden ist: Die Musik ist sehr perkussiv und längst nicht so zugänglich wie House oder Techno, letzterer basiert ja mit seiner geraden Bass-Drum im Grunde auf Marschmusik. Baile Funk basiert auf Samba, auf Polyrhythmik. Das ist eine ganz andere Traditionslinie als die der Clubsounds, die man in Europa kennt.

SM: Konnte Baile Funk die europäische Clubmusik trotzdem beeinflussen?

DH: Der Funk hat die Hörer auf jeden Fall für einfache, raue Beats sensibilisiert. Diese Rauheit, diese Energie und Unmittelbarkeit hat sich durchgesetzt und wurde zum Türöffner für andere, sogenannte Ghettosounds: Kuduro, 3Ball, Electro-Cumbia, Baltimore Club und viele andere. Baile Funk hat den Startschuss für das Global-Beats-Genre gegeben.

SM: Du hast auf deinem Label Man Recordings dann bald auch Baile-Funk-Remixe von Künstlern wie Diplo oder Switch, aber auch eigene Musik wie etwa dein Album „Rambazamba" herausgebracht. Welche Idee steckt dahinter?

DH: Das ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Als DJ habe ich schnell gemerkt: Wenn man in Deutschland Baile Funk spielt, dann lehrt sich nach drei oder vier Tracks die Tanzfläche. Mir ging es deshalb darum, eine Rekontextualisierung zu schaffen: die Soundästhetik von Baile Funk auf europäische Clubmusik zu übertragen. So entstand die Reihe „Funk Mundial": Hybride aus Electrohouse oder Speedgarage vermischen sich mit Baile-Funk-Elementen.

SM: Wie geht es mit deinem Label weiter? Welche Pläne verfolgst du für die Zukunft?

DH: Es wird weiter regelmäßig Veröffentlichungen von Man-Recordings-Künstlern geben, vor allem von Schlachthofbronx, Milangeles, João Brasil, Bert On Beats und mir selbst. Daneben will ich den Fokus des Labels weiter öffnen. Sounds aus Angola und Mosambik werden dabei relevanter. Mit „Luso FM" betreibe ich seit Anfang des Jahres eine Radioshow auf WDR Funkhaus Europa, die ganz allgemein auf Klänge aus der portugiesischsprachigen Welt spezialisiert ist. In Angola und Mosambik, zwei Ländern mit hohem Wirtschaftswachstum, in denen eine neue Mittelschicht am Entstehen ist, passiert musikalisch gerade total viel. Die neuen musikalischen Entwicklungen im südlichen Afrika sind wahnsinnig aufregend. Im Mai habe ich in Berlin zu diesem Thema das „Lusotronics Festival" veranstaltet, mit Künstlern aus Portugal, Mosambik und Angola. Auf Man Recordings ist gerade eine EP des Angolaners Coréon Dú erschienen. Was mich an der Musik so fasziniert: Diese Sounds sind längst nicht so traditionsfixiert wie der westliche Pop oder die Clubmusik der Nordhalbkugel, wo alles nostalgisch abgesichert erscheint. Die Musik, die gerade an vielen Orten der Südhalbkugel, vor allem im atlantischen Raum zwischen Afrika und Südamerika, entsteht, blickt nicht zurück, sondern in die Zukunft.

SM: Sprichst du mittlerweile selbst auch portugiesisch?

DH: Sagen wir es mal so: Ich radebreche ganz gut. Ich hatte eine zeitlang Portugiesisch-Unterricht. Weil ich fast täglich in Kontakt mit Künstlern aus der portugiesischsprachigen Welt stehe, verstehe ich alles sehr gut und kann alles lesen. Aber seit ich Vater geworden bin, fehlt mir einfach die Zeit zum Reisen. Ich muss unbedingt mal wieder für längere Zeit nach Brasilien. Für das kommende Jahr steht das aber auch auf jeden Fall an.