Um Elternschaft und ihre Kunstpraxis besser vereinbaren zu können, rief Lenka Clayton kurzerhand eine Residency für Mütter ins Leben. Ein Interview mit der interdisziplinären Künstlerin.

Die interdisziplinäre Künstlerin Lenka Clayton ist die vierte, mit der wir uns über das Thema Mutterschaft im Rahmen einer Interviewserie, inspiriert von Paula Modersohn-Becker, deren Werke noch bis Februar 2022 in der Schirn zu sehen sind, unterhalten haben. Außerdem Teil der Reihe sind Gespräche mit Hannah Cooke, Najja Moore, Clarity Haynes und Laxmi Hussain. 

Claytons Arbeiten überdenken, überspitzen und überarbeiten die akzeptierten Regeln des alltäglichen Lebens: vom Wiederherstellen eines verlorenen Museums zur Erfindung einer Künstlerresidenz für Mütter, die komplett in den eigene vier Wänden stattfinden kann. Ihre Arbeiten werden weltweit ausgestellt und befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Metropolitan Museum of Art in New York, der Kunsthalle Hamburg und dem SFMoma in San Francisco.

Lenka Clayton, Foto: Ross Mantle

Lenka, kannst du uns ein bisschen über dein Projekt „An Artist Residency in Motherhood“ (Eine Künstlerresidenz in Mutterschaft) und deine Kunstpraxis im Allgemeinen erzählen?

„An Artist Residency in Motherhood“ (ARiM) ist ein Projekt, das sich aus meiner interdisziplinären Kunstpraxis entwickelt hat. Das Projekt war auch eine Möglichkeit, wie ich weiterhin öffentlich und einflussreich arbeiten konnte, nachdem ich Kinder hatte. Ich realisierte, dass viele Strukturen, die zentral für meine Profession waren – wie zum Beispiel die Künstlerresidenz – für mich als Hauptversorgerin von zwei kleinen Kindern auf einmal nicht mehr zur Verfügung standen. Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe, dass ich all die übliche Unterstützung einer Residenz einfach in mein Leben zu Hause integriere. Das würde es mir ermöglichen diese frühe Phase des Elternseins als produktive, kreative Zeit zu sehen, anstatt als Situation, die mich am Arbeiten hindert. Am Anfang der Residenz schrieb ich ein Manifest für mich selbst, erstellte eine Webseite, um meine Arbeit zu teilen, beantragte Forschungsgelder, um zwei Tage die Woche Kinderbetreuung finanzieren zu können, setzte Freund*innen als Mentoren ein und begann in den kurzen Zeiträumen, in denen meine Kinder schliefen, zu arbeiten.   

Drei Jahre habe ich so im Rahmen von ARiM gearbeitet und 32 Arbeiten erstellt. Während dieser Zeit erhielt ich regelmäßig Emails von Leuten, die mich fragten, wie sie sich auf die „Artist in Residence in Motherhood“ bewerben können. Am Muttertag 2016 veröffentlichte ich die Webseite artistsresidencyinmotherhood.com, die einen Grundentwurf enthält, der alle Eltern, egal wo auf der Welt, dazu befähigt, ihre eigene, persönliche Residenz für zu Hause – abgestimmt auf ihre einzigartigen Lebensumstände – zusammenzustellen. Aktuell gibt es über 1.200 Artists in Residence in Motherhood in 50 Staaten der USA und 72 Ländern weltweit. Ich betreibe ARiM weiterhin als Teil meiner künstlerischen Praxis und agiere auch als individuelle Mentorin für Künstler*innen. Ich arbeite ebenfalls an Einzel- und Kooperationsprojekten, die ich in meinem Studio in Pittsburgh, Pennsylvania konzipiere. Aktuell in Arbeit sind die Konstruktion eines maßstabsgetreuen Leuchtturms in einem verfallenen Reihenhaus, eine 2,4 Meter hohe historische Bronzeplakette, ein Film über die Geschichte eines Steins, komplett in einem Archiv gefilmt, sowie eine Lieder-Enzyklopädie von Chören, die alle in der gleichen Stadt auftreten. Gemeinsam mit meinem Mann, dem Künstler Phillip Andrew Lewis, betreibe ich außerdem eine Galerie mit dem Namen Gallery Closed.

Lenka Clayton, Artist Residency in Motherhood, 2021-2015, Image via www.lenkaclayton.com

Mit einer individuellen, flexiblen Residenz, die jeder bei sich zu Hause verbringen kann und Elternzeit in produktive, kreative Zeit zu verwandeln, finde ich absolut genial! Wie würdest du sagen hat dich das Thema Mutterschaft in deiner Arbeit beeinflusst?

Ich persönlich bin weniger an Mutterschaft als Thema interessiert und mehr an Mutterschaft als Ort, als Erlebnis und als Rahmenbedingungen, die alles was ich mache beeinflussen, inklusive der Art und Weise, wie ich über meine Arbeit als Künstlerin nachdenke. Mutter zu sein lehrt mich immer wieder aufs Neue Anpassungsfähigkeit, Dankbarkeit und das Gefühl in einem Rahmen kollektiver Arbeit zu sein, der von einem Großteil der Menschen durch Zeit und Raum geteilt wird. Ich liebe es, diesen geteilten Raum zu bewohnen.

Mutterschaft als Ort? Ein interessanter Blickwinkel. Ist Mutter­schaft – schwan­ger werden, gebä­ren, Kinder aufzie­hen – immer noch ein Tabuthema in der Kunst?

Als ich vor 11 Jahren das erste Mal schwanger war, googelte ich „Künstlerin Mutter“ und konnte nichts außer Mary Kellys Post-Partum Dokument finden. Ein Kunstwerk, das gemacht wurde, bevor ich geboren war. Es war unglaublich entmutigend zu sehen, wie unsichtbar Mutterschaft unter Künstlerinnen war. Es war nicht nur wichtig für mich einen Weg zu finden, als Elternteil in den USA, wo es absolut keine gesetzliche oder soziale Unterstützung für Eltern gibt, weiterzuarbeiten, sondern dies auch möglichst öffentlich zu tun. Nicht nur als Künstlerin mit Kindern zu arbeiten, sondern dies auch noch öffentlich zu teilen.

Frauen wird regelmäßig gesagt, dass sie die Geschichte ihrer Familien auslöschen sollen, um „professionell“ zu sein, was in vielen Fällen bedeutet, dass sie aus ihrem eigenen Beruf ausgeschlossen und unsichtbar werden. Es gibt immer noch Kommentare aus allen Richtungen, unter anderem von berühmten Künstlerinnen ohne Kinder, die sagen, dass eine Frau die Entscheidung treffen muss, Künstlerin ODER Mutter zu sein, wenn sie bedeutende Arbeiten machen will. Ich persönlich finde solche Kommentare offensiv, inkorrekt und sexistisch. Ich habe außerdem noch nie gehört, dass jemand einem Mann so etwas gesagt hat. Ich arbeite so öffentlich wie möglich, um ein sichtbares Rollenvorbild zu sein.   

Absolut! Solche Kommentare wie die von Marina Abramović und Tracey Emin kamen auch schon in unseren anderen Interviews zur Sprache. Hat das Thema Mutterschaft in deiner Arbeit eigentlich den Blick der Kunstwelt auf dich verändert?
 
Das musst du die Kunstwelt fragen, was immer das auch ist…

Ich verstehe. Letzte Frage: Wenn du an das Thema Mutter­schaft in der Kunst denkst, wer kommt dir dann in den Sinn? Irgend­wel­che Künst­lerinnen, die dich inspi­riert haben?

Ich liebe die Arbeiten von Joey Fauerso, die Fotografien von Corinne Botz, die Werke von Ruth Asawa und die Beharrlichkeit und Hingabe aller Künstler*innen von Artists in Residence in Motherhood, deren Arbeiten auf der Karte entdeckt werden können.

Paula Modersohn-Becker

8. Oktober 2021 bis 6. Februar 2022

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