Regine Prange, Professorin für Neuere und Neueste Kunstgeschichte der Goethe-Universität Frankfurt am Main, über die neueröffnete Sammlung Gegenwart des Städelmuseums.

Sicher hätte es Andy Warhol behagt zu erleben, wie er und Frankfurts berühmtester Bürger Johann Wolfgang von Goethe als Zeugen der „good corporate citizenship“ aufgerufen werden, die in Zeiten der Finanzkrise ein neues Museum möglich gemacht hat.

Neben der großen Stiftertafel im Eingangsraum des Gartenflügels findet man ein kleines Foto von Barbara Klemm, das den Künstler im Jahr 1981 bei seinem Besuch im Städel vor Tischbeins „Goethe in der römischen Campagna“ (1786-1787, Abb.1) zeigt. Warhols Reinszenierung des Gemäldes in einem großformatigen Siebdruckgemälde nach Art seiner seriellen Star-Porträts eröffnet die Schau der zeitgenössischen Kunst. Zahlreiche Neuerwerbungen, private Stiftungen, und Übergaben aus Unternehmenssammlungen (Deutsche Bank, DZ Bank) haben für die reichhaltige Ergänzung der Bestände sowie die Erschließung ganz neuer Sammlungsbereiche wie etwa der Fotokunst gesorgt.

Die radikale Auflösung aller Formen

Werke der amerikanischen Pop Art finden sich in der Ausstellung sonst nicht. Gleichwohl führt Warhols Transformation von Tischbeins Klassizismus in die Trivialsprache der Massenmedien programmatisch in die Situation der Gegenwartskunst ein, hat diese doch den Geist Duchamps wiederbelebt und schärfer als die klassische Moderne den elitären Anspruch einer originären künstlerischen Formfindung revidiert. Als zeitgenössische wird im Städel allerdings die gesamte Kunst nach 1945 bestimmt, nicht erst die gewöhnlich unter dem Label des Zeitgenössischen subsumierte Kunst nach 1960, die seinerzeit als skandalöser Bruch mit der Tradition abstrakter Malerei empfunden wurde.

Damit kommt die im Städel traditionell gut vertretene informelle Malerei, auch lyrische oder nicht-geometrische Abstraktion genannt, ins Spiel. In ihren avancierten Werkbeispielen, die durch Fautriers „Grand Nu“ (1962, Abb.2) und Wols‘ „La flèche“ (Der Pfeil) aus der Sammlung Deutsche Bank entscheidend verstärkt wurden, stellt sie ein Schwellenphänomen dar. Einerseits kulminiert in ihr die symbolistisch-expressionistische Mythologie einer direkt bedeutungsstiftenden malerischen Geste. Zum andern leitet sie in der radikalen Auflösung aller konventionellen Formen einen Materialisierungsprozess ein, der die Grundlage für den postmodernen „Ausstieg aus dem Tafelbild“ schafft oder besser gesagt: Basis für eine kritische Selbstbezüglichkeit der Kunst ist.

Die Fragmentierung des menschlichen Körpers

Die ältere Sammlungstrategie des Städel hat eher den retrospektiven Aspekt der informellen Malerei betont. In der Konzentration auf ihre gegenständlichen Richtungen suchte man in der Ära Gallwitz den Zusammenhang mit den älteren Sammlungen des Städel herzustellen. So findet z.B. das Zwiegespräch von Francis Bacons „Studie zu der Krankenschwester in dem Film Panzerkreuzer Potemkin“ (1957, Abb.3) mit Alberto Giacomettis „Grand nu assis“ (1957) in zwei Werken der älteren Sammlung einen Widerhall. Carstens neoklassizistische Parze „Atropos“ (1795) und mehr noch James Ensors gespenstisches Bild „Kommunion“ (1899, Abb.4) antizipieren das existentialistische Motiv des Schreis und die katastrophische Fragmentierung des menschlichen Körpers, die auch in frühen Werken von Georg Baselitz (z.B. „Acker“, 1962) Fortsetzung findet.

Die aktuelle Sammlungs- und Ausstellungspolitik verfolgt durchaus die Intention weiter, über das Informel ein Kontinuum der Malerei bis zur Gegenwart zu konstruieren. Über den reichhaltigen Bestand von Werken Baselitz‘ hinaus ist der sog. Neoexpressionismus mit figurativen Arbeiten von Karl-Heinz Hödicke, Markus Lüpertz, Eugen Schönebeck, Rainer Fetting und Anselm Kiefer unter diesem Aspekt besonders präsent. Andererseits bestätigt sich ein solcher historischer Entwurf, der das „Informel als Wiedergänger“ (Martin Engler, Sammlungsleiter Gegenwartskunst des Städel Museums) kenntlich macht, gerade in solchen Werkgruppierungen, die den historischen Wendepunkt von 1960 – die Revision der malerischen Geste – nicht übergehen, sondern markieren.

Spontane Pinselhiebe

Eine Ausstellungswand kann dies besonders gut illustrieren. Rechts neben einem Werk des Quadriga-Künstlers Karl Otto Götz („O.T.“, 1956, Abb.5) hängt Tillmanns „Freischwimmer 54“ 2003, (Abb.6), eine ohne Kamera und Negativ hergestellte Fotografie, die an bewegtes Wasser, aber auch an einen spontanen Pinselstrich erinnert. Auf der anderen Seite ist ein virtuoses ,Pasticcio‘ von Imi Knoebel platziert („O.T.“, 1985), das die spontanen Pinselhiebe der Informellen ohne alle existentielle Verdüsterung wiederaufführt und mit dem ebenfalls in der Sammlung vertretenen concetto spaziale eines Lucio Fontana kombiniert: Schlitze verletzen die Leinwand. Der Zugriff auf die gestische Abstraktion gibt sich hier wie dort als vielfach vermittelte, als Zitat und Konnotation zu erkennen. Dagegen hält Hermann Nitsch am expressiven Aktionscharakter der informellen Malerei fest, wie die drei großen Schüttbilder von 1998 deutlich machen.

„Ich liebe alle Punkte“

Der historischen Linie einer aus der All over-Textur informeller Abstraktion heraus gleichermaßen reinszenierten wie dementierten Gegenständlichkeit kann auch die Fotomalerei Gerhard Richters zugeordnet werden, die mithilfe von Dauerleihgaben aus der Sammlung Deutsche Bank nun noch repräsentativer vertreten ist. Mit „Betty“, der 1988 gemalten glamourösen Rückansicht von Richters Tochter im geblümten Morgenmantel, hat das Städel ein weiteres Schlüsselwerk des Künstlers (wenn auch im Medium eines Offset Print von 1991) zu bieten. Die mittlerweile erreichte Klassizität des schon länger im Besitz des Städel befindlichen lapidaren Schwarzweißbildes „Großer Vorhang“ (1967, Abb.7) wird übrigens spielerisch verdoppelt durch Thomas Demands Gestaltung des Metzlersaals (Abb. 8), den er, vorgeblich von der autonomen in die angewandte Kunst der Dekoration wechselnd, mit der Fototapete eines roten Satinvorhangs verkleidete.

Mithilfe von Dekostoffen aus dem Kaufhaus entwickelte Sigmar Polke („Ich liebe alle Punkte“) viel früher eine besonders radikale Form des Angriffs auf die Schönheit und Sinnhaftigkeit der Malerei (z.B. „O.T./Drehung“), 1979). Erfreulich der Zuwachs an Werken dieses Künstlers, dessen Variante des „kapitalistischen Realismus“ (so nannten er und Richter den German Pop) noch zu wenig Aufmerksamkeit und Deutung erfahren hat.

Die groteske Überbietung

Bekannter ist Rosemarie Trockels Ornamentalisierung der abstrakten Moderne im Zeichen feministischer Patriarchatskritik. In einem ihrer Strickbilder krönt der Schriftzug „Who will be in in 1999?“ eine Malewitsch nachempfundene geometrische Form (Abb.9). Das großformatige Bild ist hoch oben in einer Raumecke genauso platziert, wie Malewitsch selbst in der legendären Ausstellung suprematistischer Werke im Jahr 1915 sein „Schwarzes Quadrat“ aufgehängt hatte , den sakralen Ort einer Ikone zitierend.

Trockel setzt also die Kette der künstlerischen Aneignungsgesten fort und verweist die modernistische Utopie auf die ‚Moden‘ des Kunstbetriebs zurück. In Daniel Richtersschrillem Monumentalformat „Horde“ (2007, Abb.10) kulminiert vorläufig die groteske Überbietung zeitgenössischer Spektakelkultur, die mit der informellen Abstraktion wie mit dem ‚Ornament der Masse‘ arbeitet. Dass auch der Kunstraum selbst ein solches bildet, zeigt Thomas Struth in seiner großformatigen Fotoarbeit „Louvre III“ (1989, derzeit nicht ausgestellt,), die Museumsbesucher , Parkettmuster und Alte Meister in strenger Parallelität aneinanderreiht.

Lesen Sie hier den Artikel von Prof. Dr. Christian Freigang zur Architektur des Städel’schen Neubaus.