Der Schauspieler Viktor Tremmel begeistert sich für Werke von Samuel Beckett. Das hat er mit Alberto Giacometti und Bruce Nauman gemeinsam. Ein Rundgang durch die Ausstellung GIACOMETTI-NAUMAN

Auf Godot wartet man bekanntlich vergeblich. Der Schauspieler Viktor Tremmel erscheint hingegen überpünktlich in der SCHIRN. Vor kurzem hat er hier im Rahmen der GIACOMETTI-NAUMAN Ausstellung unter anderem eine Szene aus Samuel Becketts berühmtestem Drama gelesen.

„Vor 20 Jahren war ich Schauspielschüler am Mozarteum in Salzburg. Damals habe ich Beckett für mich entdeckt. Nicht nur die Theaterstücke, sondern auch Romane wie ‚Molloy‘, ‚Murphy‘, ‚Malone stirbt‘ oder  ‚Der Namenlose‘. Zu Unrecht hat Beckett den Ruf, humorlos zu sein, dabei sind seine Texte voll von verschrobenem Witz“, sagt Tremmel. „Am Theater gilt er inzwischen leider als out. Das liegt auch daran, dass sein Nachlass so streng geregelt ist. Nichts darf an den Texten geändert werden. Für junge Regisseure, die sich profilieren wollen, ist das natürlich extrem undankbar. Außerdem scheint ein Stück wie ‚Warten auf Godot‘ nicht so recht in unsere schnelllebige Zeit zu passen. Die Handlung tritt ja ziemlich auf der Stelle“.

Mitten im Probenstress

Wir hingegen laufen jetzt in großen Schritten durch die Ausstellung. Viktor Tremmel hat nicht allzu viel Zeit mitgebracht – aber eine wirklich originelle Entschuldigung parat: Er muss sich gleich anschließend noch auf den Tod vorbereiten. Den spielt er nämlich im Drama „Alcestis“ von Ted Hughes am Schauspiel Frankfurt. Seit 2009 gehört Tremmel dort zum Ensemble. „Wir stecken gerade mitten im Probenstress“, sagt er.

Gleich hinter dem Eingang zum Ausstellungsraum stehen sich eine Installation des Konzeptkünstlers Bruce Nauman und eine Skulptur des Bildhauers Alberto Giacometti gegenüber. Beide Arbeiten haben das Nichts zum Thema. Nauman lässt vier Schweinwerfer eine leere Fläche bestrahlen. „Das finde ich witzig“, kommentiert Theatermann Tremmel, der sich an eine gut ausgeleuchtete Bühne erinnert fühlt, auf der absolut nichts passiert. Giacomettis Frauenfigur hält einen unsichtbaren Gegenstand in ihren Bronzehänden – so suggeriert es jedenfalls der Titel: „L’Objet Invisible“. „Die Geste hat für mich etwas Religiöses. Auf den ersten Blick sieht es so aus als würde die Figur ihre Finger zum Gebet falten“ sagt Tremmel. „Dazu passt ihre leicht nach vorne gebeugte Haltung. Die Beine scheinen auf einer Art Knieschemel zu ruhen“.

Auf der vergeblichen Suche nach Sinn

Ein paar Meter weiter begegnen wir Giacomettis hoher, schlanker Skulptur „Der Schreitende Mann I“. „Zum ersten Mal ist sie mir als Zeichnung auf dem Cover von Becketts Roman 'Molloy' begegnet“ erinnert sich Viktor Tremmel. Gestern hat er das Kunstwerk als Kulisse für seinen Dialog aus „Warten auf Godot“ zweckentfremdet, den er im clownesken Karo-Anzug aus dem Fundus des Schauspiel Frankfurt vortrug. Die Regieanweisung verlangt an dieser Stelle eigentlich einen Baum. „Man hat den Eindruck, da wandert jemand zielsicher aber einsam durch den leeren Raum, auf der vergeblichen Suche nach Sinn“, beschreibt Tremmel Giacomettis Figur. „Die Skulptur bringt eine existenzialistische Grundhaltung auf den Punkt, die sich auch in Becketts Werken findet.“

An Giacomettis Skulpturen – besonders an den Miniaturen, die in einem anderen Raum in einer Glasvitrine auf winzigen Sockeln stehen – fasziniert Tremmel, wie es ihnen gelingt, unsere Wahrnehmung zu manipulieren: „Wer sie anschaut, hat das Gefühl, dass der Raum sich krümmt. Der Betrachter wird in eine perspektivische Verzerrung gezwungen. Obwohl die Werke nur wenige Meter vor einem stehen, glaubt man, aus weiter Ferne auf sie herabzuschauen“.

Der Köper im Raum

Mit den Videoarbeiten von Bruce Nauman kann Tremmel nicht allzu viel anfangen – gibt aber zu, hier in erster Linie als Theatermann zu urteilen. In „Slow Angle Walk“ bewegt sich Nauman über eine Stunde lang in einer Art Stechschritt, der von einer Stelle in Becketts Roman „Molloy“ inspiriert wurde, durch sein leergeräumtes Atelier. Nauman experimentiert mit seinem Körper und der Schwerkraft. Tremmel sagt: „Das ist erstes Semester Schauspielschule“. Er erinnert sich an Übungen, bei denen er den Gang von Passanten in der Stadt beobachten und dann nachspielen musste. „Der Köper im Raum, das ist ja genau mein Thema. Damit beschäftigt man sich als Schauspieler wirklich unentwegt. Sobald ein Raum zur Bühne wird, ist jede einzelne Stelle mit Bedeutung aufgeladen. Ständig muss man überlegen, wo man steht und welche Wirkung das hat“.

Richtig gut gefallen Tremmel einige von Naumans Skulpturen – etwa das Ohr mit dem Knoten im Gehörgang. Vor allem aber die beiden Hände mit dem Titel „All Thumbs“, an denen sich tatsächlich ausschließlich Daumen befinden. „Die Skulptur wirkt auf mich wie ein rätselhafter Hilferuf. Wie zwei Hände, die aus einem Grab herauskommen“. Der Raum, in dem wir mittlerweile angelangt sind, ist voller Körperteile aus Bronze oder anderen Materialien. Die Beschäftigung mit dem fragmentierten Körper ist neben der Vorliebe für Beckett eine weitere jener Gemeinsamkeiten zwischen Giacometti und Nauman, denen die Schirn in ihrer Doppelausstellung nachspürt.

Grausamkeit liegt in der Natur des Menschen

Von der Decke hängen bunte Köpfe aus Wachs. Ein hübsch arrangiertes Mobile des Grauens. Fühlt sich Tremmel bei dem Anblick an aktuelle Nachrichtenbilder erinnert? „Eher nicht. Zu Shakespeares Zeiten gab es jeden Tag eine Hinrichtung. Wenn Menschen gevierteilt wurden, galt das als Volksbelustigung. Grausamkeit liegt in der Natur des Menschen. Gib einem kleinen Jungen ein Beil in die Hand und es dauert nicht lange, bis er damit die erste Schnecke zerhackt. Irgendetwas ist in uns, dass zerhacken möchte“, sagt der Mann, der vergangenes Jahr am Schauspiel den Macbeth spielte.

Zum Schluss zeigt uns Viktor Tremmel noch sein Lieblingsexponat in der „Giacometti-Nauman“-Ausstellung. Es handelt sich um eine Art Schrumpfkopf. Perfekt ausbalanciert baumelt er in einem Käfig. Lediglich eine Nase, so lang wie die von Pinocchio nach tausend Lügen, ragt nach draußen. „An Pinocchio muss ich bei dieser Skulptur von Giacometti aber überhaupt nicht denken“, sagt Tremmel. „Dafür ist sie viel zu radikal und furchteinflössend."