Seit fünf Jahren organisieren Kristina Mukhacheva und Naomi Rado mit ihrem Kollektiv +FEM Ausstellungen und Workshops. Wir haben sie in der Wohngemeinschaft besucht, in der die beiden leben und arbeiten.

Jeden Montag trifft sich das Künstler*innenkollektiv +FEM in der Wohnküche einer WG, in der die beiden Gründerinnen Kristina Mukhacheva und Naomi Rado zusammen mit zwei Mitbewohnern leben. Wir befinden uns in einem Mietshaus unweit der Frankfurter Messe. „Kaffee oder Tee?“ Nachdem diese Frage geklärt ist, nehmen wir in der gemütlichen Sitzecke Platz, wo sich unter dem schrägen Dachfenster zwei Sofas gegenüberstehen.

Vor fünf Jahren besuchten Mukhacheva und Rado eine Ausstellung im Städel Museum. „Geschlechterkampf“ lautete der Titel. Das Plakat zeigte eine Frau mit großen Brüsten, die mit kühlem Blick auf einem Berg voller Skelette thront. „Es war ein ziemlich männlicher Blick auf das Thema. Als ob Feminismus etwas Böses wäre. So hat das auf uns gewirkt.“, erinnert sich Mukhacheva. „Wir haben uns gefragt: Es gibt doch so viele starke weibliche Positionen in der Kunst“, ergänzt Rado. „Warum zeigen wir die denn nicht?“

Foto: Neven Allgeier

Es gibt doch so viele starke weibliche Positionen in der Kunst. Warum zeigen wir die denn nicht?

Naomi Rado
„Künstler*innen sollen selbst entscheiden"

Ihre allererste Ausstellung in einem ehemaligen Bürohaus in der Mainzer Landstraße 229 war ein ambitionierter Gegenentwurf zur Ausstellung im Städel. „Für uns war das ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt Rado. „Mit zehn Künstler*innen haben wir 200 Quadratmeter auf zwei Etagen bespielt. Auf einem Stockwerk mussten wir noch Strom verlegen, um Licht zu haben.“ Drei weitere Ausstellungen folgten. „Wir laden Künstler*innen ein, schlagen Themen vor und kümmern uns um die ganze Bürokratie“, erklärt Mukhacheva. Wichtige Entscheidungen werden stets gemeinsam getroffen. Das offene Konzept lässt sich am ehesten als „Kollektive Kuration“ bezeichnen. „Die Künstler*innen sollen selbst entscheiden, welche Werke sie zeigen und wie sie vor Ort präsentiert werden“, sagt Rado.

Die beiden geben ihre Skills auch in Workshops weiter. Eines ihrer Anliegen ist es, Künstler*innen zu empowern, die keine akademische Ausbildung haben. „Wir möchten dabei helfen, Hindernisse zu überwinden“, sagt Rado. „Zum Beispiel, wenn es darum geht, Finanzierungsanträge zu schreiben. Künstler*innen ohne klassische Ausbildung sind oft völlig aufgeschmissen, weil sie das nie gelernt haben.“

Foto: Neven Allgeier

Weil Mukhacheva und Rado mit eigenen Plänen beschäftigt sind, kommen die +FEM-Projekte oft nur langsam voran. „Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen“, sagt Mukhacheva, die an der Goethe-Uni Kunstpädagogik studiert hat und seit vergangenem Dezember im Management des Offenbacher Klingspor-Museums arbeitet. Nebenbei erschafft sie auch eigene Kunst: Im ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld an der Frankfurter Konstablerwache befindet sich ihr Atelier. „In der letzten Zeit habe ich dort viel mit Druckverfahren experimentiert.“

Naomi Rado, Foto: Neven Allgeier
Kristina Mukhacheva, Foto: Neven Allgeier

Rado ist studierte Kunsthistorikerin und schreibt gerade ihre Masterarbeit im Fachbereich Ästhetik. Als Autorin verfasst sie Texte über Kunst und Politik. „Ich beschäftige mich viel mit postmarxistischen Kunsttheorien.“ Zuletzt ist ein Essay von ihr in einem von Jonas Höschl herausgegebenen Sammelband erschienen. Außerdem sitzt sie im Vorstand von Synnika e.V. – einem „experimentellen Raum für Praxis und Theorie“ im Frankfurter Bahnhofsviertel. 2019 hatte +FEM hier eine Ausstellung mit dem mehrdeutigen Titel „Power Strip“. Ein Foto, das die beiden lächelnd Arm in Arm auf der Finissage zeigt, hängt in der Wohnküche am Kühlschrank, direkt über dem Putzplan.

Neben dem Sofa steht ein Karton voller T-Shirts, die von der befreundeten Künstlerin Tina Kohlmann für die jüngste Ausstellung „ora forma“ designt wurden. Veranstaltungsort war ein Blumenladen. Welche Objekte gehören zum Inventar? Bei welchen handelt es sich um Ausstellungsstücke? Das sollte sich erst auf den zweiten Blick offenbaren. „Anders als in Museen üblich, hatten wir die Kunstwerke nicht beschriftet. Stattdessen haben wir den Besucher*innen einen Plan in die Hand gedrückt“, erinnert sich Mukhacheva. „Das war ein bisschen wie bei einer Schnitzeljagd.“

Auf einem kleinen Nierentisch liegt ein Notizbuch, in dem Brainstorm-Ergebnisse versammelt sind. Die Idee zu einem Theaterstück zum Beispiel. „Es geht um eine Selbsthilfegruppe von Männern, die aus der toxischen Männlichkeit aussteigen wollen und auf der Bühne von ihren Erfolgen und Rückfällen berichten – ein bisschen so, wie man das von Therapiesitzungen bei den Anonymen Alkoholikern kennt“, verrät Rado. „Das ist unsere Art, einem ernsten Thema mit Witz zu begegnen“, ergänzt Mukhacheva.

Foto: Neven Allgeier
Mehr Netzwerkplattform als Gruppe

„Wir würden in Zukunft gerne mehr Kunst von Frauen und queeren Personen ausstellen, die sie in ihrem Heimatland nicht zeigen können, weil sie sonst womöglich eingesperrt oder ermordet würden“, sagt Rado. Mukhacheva erzählt mit großer Begeisterung von der Ateliergemeinschaft „L‘ Atelier des Artistes en Exil“ in Paris, bei der sie dieses Jahr zu Besuch war. „Mit den Leuten dort würde ich gerne einmal zusammenarbeiten“, erzählt sie. Den Ort hat sie durch die queere, iranischstämmige Künstlerin Maral Bolouri kennengelernt, die 2021 an der +FEM-Ausstellung „Am I in Your Way?“ mitwirkte.

Das nächste Projekt wird keine Ausstellung, sondern ein Buch sein. Eine Art Rückblick auf die fünf Jahre, in denen es +FEM nun schon gibt. „Wir haben Gespräche mit vielen Künstler*innen geführt und sie um Beiträge gebeten“, erzählt Mukhacheva. Sie und Rado verstehen +FEM nicht als Gruppe mit einer festen Anzahl von Mitgliedern, sondern eher als Netzwerkplattform. „Alle Künstler*innen, mit denen wir zusammenarbeiten sind ein Teil davon“, sagt Rado.

Detail: Foto: Neven Allgeier

Wir würden in Zukunft gerne mehr Kunst von Frauen und queeren Personen ausstellen, die sie in ihrem Heimatland nicht zeigen können, weil sie sonst womöglich eingesperrt oder ermordet würden

Naomi Rado

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