Print-Journalismus in jung, cool, politisch und erfolgreich: Lena Schumacher und Tim Evers haben – ganz ohne journalistische Vorerfahrung – kurz nach dem Abi das Magazin OLDSCHOOL gegründet. Wir haben die beiden in der Redaktion besucht.

Die ehemalige Neckermannzentrale im Frankfurter Ostend ist freundlich und hell, aber auch so groß und verwinkelt, dass man sich in den Gängen verlaufen kann. Zum Glück holen uns Lena Schumacher und Tim Evers vor dem Getränkeautomaten am Eingang ab, um uns in ihr Büro zu bringen. Schumacher ist heute ganz in Blau gekleidet, Evers trägt Pink. Genderklischees gegen den Strich gebürstet. „Ein Zufall“, sagt Schumacher und lacht. „Wir haben uns nicht abgesprochen.“ Im vergangenen November haben die beiden sich hier unter dem Dach des riesigen Kreativzentrums am Danziger Platz die Redaktion ihres Magazins OLDSCHOOL eingerichtet. Das Inven­tar besteht aus char­man­ten Vintage-Möbeln, die auf Ebay verschenkt wurden. In der Mitte des Raums stehen sich zwei per Knopf­druck höhen­ver­stell­bare Schreib­ti­sche gegen­über. „Die hat uns die FAZ abge­tre­ten“, erzählt Evers. Die Tisch­plat­ten wirken blitz­blank und perfekt aufge­räumt.

Foto: Neven Allgeier

Alles, was an kreativem Chaos im Zimmer ist, konzentriert sich auf einen handgeschriebenen Zettel, der an der Wand pinnt. Schumacher und Evers haben sich hier beim Brainstorming zum Thema „Sommerkörper“ ausgetobt – so lautet das Titelthema der aktuellen Ausgabe. Bei unserem Besuch steckt sie noch in der Vorbereitung. Inzwischen ist sie erschienen.

„Wir erzählen die Geschichten unserer Generation“

Sieben Ausgaben gibt es bereits, aktuell beträgt die Auflage 1000 Exemplare. Jede ist hundert Seiten dick und widmet sich einem anderen Schwerpunktthema. Das Bekenntnis zum Print-Journalismus mag im besten Sinne altmodisch sein, die Themen hingegen sind ganz von heute: Um „Psyche & Mentale Gesundheit“, „Privilegien & Diskriminierung“ oder „Außenseiter:innen“ ging es in vergangenen Heften. Alle vier Monate erscheint ein neues. „Wir erzählen die Geschichten unserer Generation und können den Menschen, die wir interviewen, auf Augenhöhe begegnen“, erzählt Evers. Alle, die bei OLDSCHOOL mitarbeiten, sind jünger als 30 Jahre alt. Das ist kein Zufall, sondern Prinzip. „Klassische Print-Medien vernachlässigen oft die Perspektive junger Leute. Nimm zum Beispiel den ‚Spiegel‘. Da muss ich bei jedem Artikel erst einmal einen Gedankentransfer leisten und mir die Frage stellen: Was genau hat dieser Text mit mir und meinem Leben zu tun?“

Foto: Neven Allgeier

Schumacher und Evers sind gerade mal knapp über 20. Nach ihrem Abi hatte sich Schumacher als sogenannte Stadtteilbotschafterin bei der Polytechnischen Gesellschaft beworben, einer Frankfurter Stiftung, die gemeinnützige Projekte fördert. Mit Unterstützung der Stiftung schuf sie den Protototypen für ein Magazin, das kostenlos verteilt wurde. „Wir“ lautete der Titel – obwohl Schumacher damals noch alleine war. Evers kam erst später dazu. Zusammen haben die beiden das Konzept für OLDSCHOOL entwickelt. „Eigentlich wollten wir nach dem Abi ins Ausland reisen, mussten dann aber wegen Corona zuhause bleiben und hatten viel Zeit, ein Magazin aufzubauen“, erinnert sich Schumacher.

Emanzipation und Verlagsgründung

Inzwischen kostet jedes Heft 9,50 Euro. Bestellen kann man es über die eigene Website. Außerdem wird es in ausgesuchten Läden verkauft. Jede Veröffentlichung wird mit einer Party im Offenbacher Club „Hafen 2“ gefeiert. Mittlerweile haben Schumacher und Evers einen Verlag gegründet und sich von der Polytechnischen Gesellschaft emanzipiert. „Wir wollten komplett unabhängig sein und durchstarten“, sagt Evers. Ihr Magazin soll in Zukunft durch Werbung finanziert werden – auch damit die vielen Mitarbeitenden entlohnt werden können. 

Lena Schumacher, Foto: Neven Allgeier

„Am Anfang waren wir so sehr mit dem Aufbau unseres Magazins beschäftig, dass wir kaum dazu kamen, Artikel zu schreiben“, sagt Evers. Mittlerweile produzieren er und Schumacher vier, fünf längere Texte pro Heft. Nicht nur für ihre Recherchen sind die beiden oft gemeinsam unterwegs – auch ihre Artikel verfassen sie nicht selten im Teamwork. Eine Reportage über junge Strafgefangene in Deutschlands zweitgrößtem Jugendgefängnis, der JVA Adelsheim, ist so entstanden. Für eine andere Ausgabe haben sich Schumacher und Evers in Paris mit der Aktivistin Beate Klarsfeld getroffen, die 1968 im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig bekannt wurde, als sie den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte.

Unter den Top 30 Nachwuchsjournalist*innen des Landes

Früher ging es den beiden vor allem darum, mit Gleichgesinnten etwas auf die Beine zu stellen. Talentierte Freund*innen wurden eingespannt. An Hochschulen, wo Schumacher und Evers ihr Magazin vorstellten, fanden sich Student*innen, die mitmachen wollten. „Heute arbeiten wir vor allem mit angehenden Journalist*innen und Fotograf*innen zusammen“, sagt Evers. Schumacher und er sind Autodidakt*innen. Selbst für eine Schülerzeitung haben die beiden nie geschrieben. „Früher habe ich gedacht, dass Journalismus eine Branche ist, in die man nur über ein Studium plus Volontariat oder Praktikum hineinkommt“, sagt Schumacher. „Inzwischen wissen wir, dass es auch anders geht.“ Der Erfolg gibt ihnen Recht: 2022 wurden sie vom Branchenblatt „Medium Magazin“ in eine Liste mit den Top 30 Nachwuchsjournalist*innen des Landes aufgenommen.

Tim Evers, Foto: Neven Allgeier

Von etablierten Kolleg*innen werden sie nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert. „Es gab von Anfang an eine große Offenheit“, freut sich Evers. „Wir haben viel von älteren Journalist*innen gelernt, mit denen wir in Kontakt gekommen sind. Leute, die für die „Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung" oder den „Spiegel“ arbeiten, haben sich immer mal wieder zwei, drei Stunden mit uns zusammengesetzt, um mit uns unser Heft durchzugehen und Tipps zu geben.“ Inzwischen ist auch ihre eigene Expertise gefragt. Am Literaturhaus Frankfurt haben sie einen Journalismus-Workshop für Schüler*innen geleitet. Das renommierte Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat Schumacher und Evers nach Hamburg in die Redaktion eingeladen, wo sie vor den versammelten Kolleg*innen eine Blattkritik abhalten durften. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir das Selbstbewusstsein hatten, voller Überzeugung zu behaupten: Wir sind Journalist*innen“, bekennt Evers. „Inzwischen ist es soweit.“

Es hat eine Weile gedau­ert, bis wir das Selbst­be­wusst­sein hatten, voller Über­zeu­gung zu behaup­ten: Wir sind Jour­na­list*innen. Inzwi­schen ist es soweit.

Tim Evers

OLDSCHOOL Magazine

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