Unter dem Namen VALENTIN macht Hannah Valentin Technopop mit deutschen Texten und veröffentlicht demnächst ihr Debutalbum. Außerdem ist sie Unternehmerin, malt Tuschebilder und betreibt einen Kiosk.

„Möchtest Du Süßigkeiten? Der Kaffee ist auch gleich fertig“. Die Maschine befindet sich noch in der Aufwärmphase. Während der Sommermonate (und dieses Jahr vielleicht auch bis in den Winter hinein) betreibt Hannah Valentin den Kiosk Yok Yok Eden auf dem Wiesenhüttenplatz nun schon in der zweiten Saison – zusammen mit ihrem Mann Babak Farahani und ihrem Geschäftspartner Alexander Zochowski.

Der idyllische Name der Adresse trügt nicht. Das Bahnhofsviertel zeigt sich hier von seiner entspanntesten Seite: Neben hohen Kastanienbäumen stehen weiße Sonnenschirme, Klapptische aus Holz und türkisfarbene Stühle im Kies. Der Laden ist ein Ableger des Yok Yok City Kiosks in der Münchener Straße. Dessen Betreiber Nazim Alemdar animierte die drei Unternehmer*innen 2017 dazu, ihre eigene Firma zu gründen. Unter dem Namen yokyok TREATS vertreiben sie seitdem selbstkreierte Spirituosen – zum Beispiel Likör mit Darjeeling und Kardamom.

„Vor vier Jahren hat sich mein Leben radi­kal verän­dert“

„Vor vier Jahren hat sich mein Leben radikal verändert“, erzählt Valentin „Ich habe angefangen, meine eigene Musik zu machen, eine Firma gegründet, eine wunderbare Beziehung begonnen und bald darauf eine Tochter bekommen.“ Die dreijährige Niv hat Valentin mit zu unserem Treffen genommen. Sie steckt in der Jeansjacke ihrer Mutter, weil es heute etwas windig ist. Die junge Familie lebt eigentlich in Berlin Kreuzberg. In Frankfurt wohnte sie bis jetzt immer nur in den Sommermonaten und zur Zwischenmiete.

Foto: Neven Allgeier

Valentin ist nicht nur Unternehmerin, sondern auch Musikerin und Produzentin. In einem Tonstudio in Bornheim nimmt sie zurzeit eine EP auf – zusammen mit den Elektro-Musikern vom MPC Orchestra. Zusätzlich arbeitet sie an ihrem ersten Soloalbum, auf dem neben neuem Material auch Songs zu hören sein werden, die bereits auf Youtube und Bandcamp veröffentlicht wurden. Valentin macht Technopop mit deutschen Texten. Auf der Bühne spielt sie meist nur mit minimalistischem Set-up: Laptop, Interface und Mikrofon.

„Wenn ich denke: Ich bin gut, dann singe ich: Ich bin die Beste“

„Früher hatte ich oft auch meine Klarinette dabei. Weil ich viel tanze und dabei meine Hände frei haben möchte, geht das aber nicht mehr.“ Valentins Musik ist tanzbar und kraftvoll. Ihre Texte strotzen nur so vor Selbstbewusstsein. „Wenn ich denke: Ich bin gut, dann singe ich: Ich bin die Beste. Man muss die Dinge größer machen, damit sie auch wirklich ankommen“, erklärt sie. „Schlag mich noch einmal – dann töte ich dich“ heißt es im Song „Britney“. Die drei ersten vier Worte sind eine düstere, allzu wörtliche Übersetzung der wohl bekanntesten Textzeile von Britney Spears. Es geht um eine toxische Beziehung.

Foto: Neven Allgeier

Valentin ist in Heidelberg in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen. Die Mutter ist klassische Sängerin und ausgebildete Pianistin, der Vater Künstler. „Seit ich mich erinnern kann, habe ich auf einer Bühne gestanden.“ Als Kind trat Valentin mit ihrer Klarinette bei Musikwettbewerben wie „Jugend musiziert“ auf und gewann Preise. Später spielte sie in verschiedenen Bands und schrieb eigene Songs. Heute ist das Computerprogramm Ableton ihr wichtigstes Instrument. „Als ich es vor vier Jahren für mich entdeckt habe, hat mir das Freiheiten gegeben, die ich zuvor nicht hatte“, erzählt sie. „Meine Art, Musik zu machen, hat sich dadurch total verändert.“

„Seit ich mich erin­nern kann, habe ich auf einer Bühne gestan­den“

Nach dem Abi zog sie nach Berlin, um Modemanagement zu studieren. „Ich habe mich vor allem für die Produktionsbedingungen interessiert, die ich verändern wollte“, erinnert sie sich. „Doch bald habe ich gemerkt: So richtig ist das nicht meine Welt.“ Ihr Studium brachte sie trotzdem zu Ende. Anschließend widmete sie sich der Schauspielerei. „Ich habe einfach auf Google geschaut, wo Filme gedreht wurden und dann dort vorgesprochen.“ Mit Erfolg. In „Mona kriegt ein Baby“, einer öffentlich-rechtlichen Produktion, die 2014 zur besten Sendezeit in der ARD ausgestrahlt wurde, spielte sie die rebellische Schwester der Protagonistin. „Irgendwann hatte ich aber genug davon, von Castings abhängig zu sein und von einer Künstlerabhängigkeit in die nächste zu geraten. Ich habe generell ein großes Problem mit Abhängigkeit. Es fällt mir schwer, jemanden um etwas zu bitten oder auf etwas zu warten. Also habe ich gedacht: Okay, jetzt mache ich mein eigenes Ding. Seitdem bin ich glücklich mit meiner Musik.“

Foto: Neven Allgeier

Ihren ersten Auftritt hatte Valentin auf der Partyreihe „Kabinett der Kuriositäten“ im Atelier Frankfurt. „Ich bin mit jemandem befreundet, der dort als Clown gearbeitet hat.“ Ganz in Schwarz gekleidet stand sie damals auf der Bühne. „Ich war noch so genervt von den Leuten aus meinem Modestudium und wollte demonstrieren, dass ich nicht mehr dazu gehöre“, erinnert sie sich. Mittlerweile sind extravagante Outfits unverzichtbarer Teil ihrer Bühnenshows und Musikvideos. Entworfen werden sie vom Berliner Modedesigner Stinny Stone, mit dem Valentin befreundet ist. Besonders deutsche Künstler*innen vernachlässigen oft das Visuelle, findet Valentin. „Sie handeln nach dem Motto: Bloß nicht auffallen.“

Auf das Konzert in Frankfurt folgten weitere Auftritte – zum Beispiel auf der Fusion. Dieses Jahr sollte sie mit der Berliner Band Mia auf Tour gehen. Das erste Mal wurden die Termine wegen Corona gecancelt. Das zweite Mal wegen der Schwangerschaft von Mia-Sängerin Mieze. Vermutlich wird es nun Ende 2022 soweit sein. Diesen Herbst geht Valentin nun erst einmal alleine auf Tour.

Foto: Neven Allgeier

Neben ihrer Musik betätigt sich Valentin auch als Malerin. „Das ist ein wichtiger Teil meines Lebens“. Aus dem Kofferraum ihres Autos holt sie eine Handvoll Bilder, die in weißen Rahmen stecken, und gruppiert sie um die Stange eines Sonnenschirms. Noch vor kurzem waren die Werke in einem Café in Heidelberg ausgestellt. Mit Spachtel und Tuschepinsel malt Valentin Motive, die – zumindest den medizinischen Laien – entfernt an japanische Kaligraphie erinnern. In Wahrheit handelt es sich bei den filigranen Gebilden um die kunstvolle Abbildung von Nervensträngen, bei denen sich die umgebende Myelinscheide in Auflösung befindet.

„Man ist einfach freier im Kopf“

„Meine Kunst ist eine Auseinandersetzung mit der Diagnose Multiple Sklerose, die ich mit 15 bekommen habe“, erklärt Valentin. „Die Krankheit habe ich lange verheimlicht, weil sie für mich – vor allem während der Pubertät – beschämend war. Ich habe gedacht, ich dürfte mit niemandem darüber reden, weil ich mir sonst die Zukunft verbaue und weder einen Mann noch einen Job finde.“ Irgendwann hat sie sich dafür entschieden, das Schweigen zu brechen. „Ich wollte kommunizieren und zeigen: So sieht es aus in meinem Kopf.“ Die künstlerische Auseinandersetzung mit ihrer Krankheit versteht sie nicht als Therapie, sondern als Aufklärungsarbeit. „Ich habe nie Kunst studiert“, erklärt das Multitalent Valentin. „Ich habe großen Respekt vor Menschen mit einer akademischen Ausbildung, bin aber der Meinung, dass es große Vorteile hat, Autodidaktin zu sein. Man ist einfach freier im Kopf.“

Foto: Neven Allgeier

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