Von idyllischem Open-Air über Weltstar-DJs, der längsten Ausstellung der Welt, bis hin zu Aperol Spritz auf dem Boot: Die erste Etappe unserer Clubtour zur SCHIRN Sommer-Ausstellung führt uns am Mainufer entlang zum Hafen 2, Robert Johnson, Kunstverein Familie Montez und Yachtklub.

Auf der Sommerwiese des Hafen 2

Das Kulturzentrum Hafen 2 am Offenbacher Nordring. Wegen einer Baustelle wurde der Eingang vor kurzem an das Hafenbecken auf die Ostseite verlegt. Von dort aus hat man einen Panoramablick auf das neu eingezäunte Gelände: Die idyllische Wiese mit der Open-Air-Bühne und der Kinoleinwand. Das Zirkuszelt, unter dessen Kuppel sich Schafe und Gänse im Heu tummeln. Die Konzerthalle und das Café mit den vielen Fenstern. „Wir haben jetzt das Publikum nicht mehr im Rücken, sondern sehen gleich vom Café aus, wer reinkommt“, erzählt Andrea Weiß. Sie sitzt an einem Tisch vor einem ehemaligen Zirkuswagen, der als Backstagebereich und Personalbüro dient und nach Vorbild der Schiffe auf dem Main einen eigenen Namen bekommen hat: „Daisy.“

Andrea Weiß und Alexander Braun gehörten Mitte der Neunzigerjahre zu einem Kollektiv rund um das „KOZ“ auf dem Campus der Frankfurter Uni. Gemeinsam veranstalteten sie illegale Open-Air-Partys an urbanen Orten wie Tunnels oder Autobahnbrücken. In der Offenbacher Innenstadt eröffneten sie 2000 die Clubbar „Rotari“. „Die Anfangsgruppe hat sich mit der Zeit in alle Winde verstreut“, erinnert sich Weiß. „Viele zogen nach Berlin oder anderswohin.“ 2003 eröffneten Braun und Weiß den „Hafen 2“ im ehemaligen Lokschuppen der Hafenbahn – rund 800 Meter vom aktuellen Standort entfernt. „Die Stadt hat uns die Auflage gemacht, ein täglich geöffnetes Café zu betreiben, was uns wegen der verstecken Lage des Gebäudes damals absurd vorkam“, sagt Weiß. „Von der Straße aus war lediglich eine fensterlose Mauer zu sehen.“ Braun und Weiß fingen schon bald damit an, das Gelände nach ihren Vorstellungen umzugestalten und setzten sich etwa dafür ein, dass ein Fahrradweg verlegt wurde und künftig am Lokschuppen vorbeilief.

Der Mietvertrag galt zunächst für nur zwei Jahre. Schon damals war klar, dass am Hafen ein neuer Stadtteil entstehen sollte. Doch Braun und Weiß wollten nicht bloß die Rolle einer kreativen Vorhut spielen, die künftigen Investoren den Boden bereitet. „Es war uns von Anfang an wichtig, die Stadtentwicklung in Offenbach nachhaltig mitzugestalten, auch wenn wir nicht in irgendwelchen Gremien sitzen“, sagt Weiß. 2013 zog der Hafen 2 mainaufwärts in den – auch dank vielen Spendengeldern – eigens geschaffenen Neubau.

Es war uns von Anfang an wich­tig, die Stadt­ent­wick­lung in Offen­bach nach­hal­tig mitzu­ge­stal­ten [...]

Andrea Weiß
Foto: Neven Allgeier

„Alex prescht oft mit Ideen nach vorne und manchmal will er auch mit dem Kopf durch die Wand. Ich trete dann auf die Bremse, um noch einmal mit Weitblick alles zu überdenken“, beschreibt Weiß die unterschiedliche Arbeitsweise der beiden. „ Das Wichtigste ist aber, dass wir inhaltlich und ästhetisch auf einer Wellenlänge liegen.“ Braun und Weiß sind auch privat ein Paar, haben zwei gemeinsame Kinder.

Weiß erzählt uns von einem Paris-Trip, den sie für Juli geplant haben. Anlass ist ein Konzert des Rappers Gaël Faye. „Er hat ein Buch über seine Kindheit in Burundi geschrieben, das mich total fasziniert hat. Dass er auch Musik macht, habe ich erst später erfahren. Das Buch wurde verfilmt. Ich warte darauf, dass der Film einen deutschen Verleih findet, damit wir ihn hier zeigen können.“ Neben Kino und Kunst gehören Konzerte zum Programm des „Hafen 2“, das sich wegen Corona in diesem Sommer ausschließlich draußen abspielt. Auf der Wiese stehen Pagodenzelte, die als Regenschutz dienen. Rund 60 Open-Air-Konzerte sind geplant.

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier
Auf der Terrasse des Robert Johnson

Vor dem Robert Johnson steigen Ata Macias und Florian Reinke aus einem Taxi. Wie Einbrecher klettern wir über ein Geländer, streifen kurz das Objektiv einer Überwachungskamera, die unsere Gesichter live auf die Website des Clubs streamt, und setzen uns auf die Terrasse. „Vorhin hatte ich ihn noch“, sagt Macias – und meint den Generalschlüssel, den er leider verlegt hat. Unter uns trainiert eine Rudermannschaft auf dem Main. Ein Mann im Motorboot gibt Kommandos. „Er hat den besten Job“, sagt Reinke und lacht. Sein eigener Job ist aber auch nicht schlecht: Zusammen mit Macias betreibt Reinke das hauseigene Plattenlabel und gehört zu einem fünfköpfigen Team, das für die musikalische Ausrichtung des Clubs verantwortlich ist. „Für elektronische Musik interessiere ich mich erst seit rund sieben Jahren“, bekennt er. „Früher habe ich fast nur Punk gehört.“ Für das „Robert Johnson“ hat er zunächst DJs betreut. „Meine Aufgabe war es, Leute vom Flughafen abzuholen und dafür zu sorgen, dass sie einen guten Abend haben.“

Macias betreibt in Frankfurt die beiden Bars „Plank“ und „Amp“. Ursprünglich wollte er Innenarchitekt werden. 1999 gründete er – zusammen mit Sebastian Kahrs – das Robert Johnson und entwarf auch die betont minimalistische Einrichtung.

Foto: Neven Allgeier

„Ein paar Dinge waren mir von Anfang an wichtig“, erinnert er sich: „Der Club braucht eine gute Musik-Anlage und darf sich nicht in einem Keller befinden. Die Tür muss von Frauen geregelt werden, weil es dann weniger Stress gibt. Die Möbel sollen nicht fest, sondern beweglich sein. Und: Für das Ambiente gilt ‚Weniger ist mehr‘. Wir haben sogar auf Getränkekarten verzichtet. Jeder soll völlig frei entscheiden, was er trinken möchte. An der Bar sorgt das manchmal für Verwirrung.“ Das „Robert Johnson“ ist einer der wenigen Clubs der Region mit internationaler Strahlkraft. Regelmäßig wird er in den Rankings von Fachmagazinen auf den vorderen Plätzen gelistet. „Wir konnten DJs zu unseren Residents zählen, die mittlerweile Weltstars sind“, erklärt Macias einen wichtigen Teil des Erfolgsrezepts. „Nimm zum Beispiel Roman Flügel oder Ricardo Villalobos: Die haben eine völlig neue Schublade aufgemacht innerhalb der elektronischen Musik.“

Zu den DJs, die hier (wenn nicht gerade Corona ist) regelmäßig auflegen, gehören Chloé, Dixon, Gerd Janson, Paramida und Solomun. Aber auch bildende Künster*innen von Weltrang haben in der Clubgeschichte ihre Spuren hinterlassen: Tobias Rehberger steuerte einst den Namen „Robert Johnson“ bei, Anne Imhof und Haegue Yang haben viele Jahre lang an der Tür gearbeitet. Viele befreundete Kreative unterstützten den Club während des Lockdowns, indem sie limitierte Kunstwerke und Designobjekte anfertigten, die über eine Website verkauft wurden. Der Erlös kam dem „Robert Johnson“ zugute. Die heruntergelassenen Rollläden trennen uns vom knallgelben DJ-Pult, das der Bar direkt gegenüber liegt. Dazwischen gibt es im Normalbetrieb Platz für rund 250 Clubgänger*innen. Unter der Decke hängen Neonröhren und TV-Monitore. In Partybetrieb werden die Fenster ganz bewusst nicht abgedunkelt. „Das ist immer ein ganz besonderer Moment, wenn du im Club plötzlich merkst: Jetzt beginnt der Tag“, sagt Macias.

Wir konn­ten DJs zu unse­ren Resi­dents zählen, die mitt­ler­weile Welt­stars sind.

Ata Macias
Foto: Neven Allgeier
Bei Familie Montez unter der Honsellbrücke

Der Kunstverein Familie Montez in den denkmalgeschützten Rundbögen unter der Honsellbrücke. Anders als im Café draußen auf der Terrasse ist es drinnen angenehm kühl. Mirek Macke sitzt an einem Tisch mit Blumentischdecke und trinkt Kaffee aus einer Tasse, die ebenfalls geblümt ist. Hinter ihm an der Wand: Blumenbilder. Seine Podenco-Hündin Emmy räkelt sich auf einem der vielen Ledersofas, die auf unzähligen Orientteppichen stehen. Aus den Boxen hinter der Bar dringt ganz leise klassische Musik. Auf einem Flachbildschirm laufen Videos, die von einem wunderbar lässigen Kunstverständnis zeugen, das hier praktiziert wird: Jugendliche springen auf BMX-Rädern kreuz und quer zwischen Kunstwerken herum. Macke hat sie unter den vielen Sportler*innen rekrutiert, die sich gleich gegenüber im Hafenpark tummeln.

Um uns herum ist eine Ausstellung zum Thema „Diversity“ aufgebaut. Eine große Wirtschaftskanzlei hat sie in Auftrag gegeben. Der Kurator hat dafür auf Objekte aus der Sammlung der Familie Montez zurückgegriffen und auch zwei Arbeiten von Macke ausgewählt: Ein blauer Kinderpullover, auf dem drei Flecken Ölfarbe prangen. Außerdem ein Regal voller Einweckgläser. Zwischen unzähligen roten Tomaten finden sich vereinzelt auch einige gelbe. „Exiltomaten“ hat Macke sein Werk genannt. Während im Juli die SCHIRN-Ausstellung stattfindet, wird im Kunstverein Familie Montez bereits die nächste Schau zu sehen sein: Nina Hollein zeigt Arbeiten zwischen Mode und Kunst. Philipp Schweiger steuert Gemälde bei. Am elften des Monats ist auf der sommerlichen Terrasse zeitgleich eine Ausgabe der Live-Musik-Reihe „Jazz Montez“ geplant.

Foto: Neven Allgeier

 

Anfang der Neunzigerjahre studierte Macke an der Städelschule bei Hermann Nitsch. Im Studium lernte er Anja Czioska kennen, mit der er 2000 das Lola Montez in der Frankfurter Innenstadt eröffnete. Obwohl auch dieser Ort in erster Linie der Kunst gewidmet war, wurde er nicht zuletzt für seine Underground-Partys legendär. „Darauf hatten wir es aber nie angelegt“, erzählt Macke. „Die Partys haben wir zunächst nur für Freunde gemacht, und später dann, um unsere Kunst zu finanzieren.“ In der Presse wurde Macke damals oft als „Clubbetreiber“ oder „Partymacher“ tituliert. Wirklich recht war ihm das nie. „Ich wollte weg von diesem Image.“

Als das Gelände in der Breiten Gasse verkauft werden sollte, musste der 2007 gegründete Kunstverein Familie Montez ausziehen. 2012 fand die letzte Ausstellung statt: „Sämtliche Werke haben wir an den Wänden hängen lassen. Sie sollten mit dem Gebäude abgerissen werden. Wir fanden diese Vorstellung romantisch“, erinnert sich Macke. Allerdings hat wohl niemand damit gerechnet, dass es noch ganze neun Jahre dauern sollte, bis die Bagger kommen. Erst im vergangenen Mai war es soweit. „Das war definitiv unsere längste Ausstellung“, sagt Macke und lacht. Vorher hat er sich zusammen mit seinem Hund noch einmal heimlich auf die Baustelle geschlichen, um Fotos zu machen und endgültig Abschied zu nehmen.

Die Partys haben wir zunächst nur für Freunde gemacht, und später dann, um unsere Kunst zu finan­zie­ren.

Mirek Macke
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier
Im Bootshaus des Yachtklubs auf dem Main

Etwa zweieinhalb Kilometer mainabwärts betreten wir über eine Gangway ein schwimmendes Bootshaus, das in einem idyllischen Winkel zwischen Alter Brücke und Maininsel vor Anker liegt. Auf dem Dach prangt der Schriftzug „Yachtkl“. Die beiden fehlenden Buchstaben sind eine Folge von Vogelschlag und werden kurz nach unserem Besuch erneuert. Im Kübel eines Olivenbaums auf der großen Terrasse hat während des Lockdowns eine Ente gebrütet. In der Blumenerde liegen noch Reste von Eierschalen. Drinnen gibt es eine große Bar, einen DJ Pult und (jedenfalls im Normalbetrieb) viel Platz zum Tanzen. In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde das Bootshaus von einem Ruderverein genutzt. Damals war es noch zweistöckig. „Unten waren Boote und Riemen untergebracht, oben waren die Umkleidekabinen“, erzählt Klaus Unkelbach.

Seit 2016 betreibt er zusammen mit Antonia Behrend (Öffentlichkeitsarbeit), Lukas Bender (Gastronomie und Geschäftsführung) und Silvio Cappucci (Geschäftsführung und Veranstaltungstechnik) den Yachtklub. Saison ist jeweils von April bis Oktober. Anschließend wird das Bootshaus in den Osthafen gebracht und dort winterfest gemacht. Im Laufe seiner Geschichte wechselte das schwimmende Gebäude einige Male den Besitzer – meist kurz bevor teure Wartungsarbeiten fällig wurden. „Wir müssen regelmäßig in den Trockendock, um die Schwimmkörper zu erneuern“, sagt Unkelbach. „Dann muss die ganze Kiste raus aus dem Wasser. Alleine schon jemanden zu finden, der uns schleppen kann und darf, ist ein großer Aufwand. Das letzte Mal hat diese Aufgabe ein Eisbrecher übernommen. Unsere Anlage ist zu lang und zu breit, um flussaufwärts durch die Schleuse zu kommen. Sie kann nur flussabwärts geschleppt werden.“

Foto: Neven Allgeier

Zum kulturellen Programm an Bord gehören Konzerte, Partys, Lesungen, Tango-Abende, Theatervorstellungen und Podiumsdiskussionen. Sonntagsmorgens wird manchmal kostenlos Yoga angeboten. Die Betreiber*innen sind offen für spontane Ideen. „Vor Saisonstart wissen wir manchmal selbst nicht so genau, was uns hier alles erwartet“, sagt Unkelbach. „Wir machen den Yachtklub nicht, um uns selbst zu verwirklichen, sondern für alle Menschen, die diese Enklave am Mainufer wollen und brauchen.“ Es gibt Gäste, die wollen hier nur mal eben ein Stück Kuchen essen – lassen sich dann aber bereitwillig durch die verschiedenen Phasen eines Sommertages treiben, sitzen noch nachmittags mit einem Glas Aperol Spritz vor einem Teller Tapas und bleiben schließlich die ganze Nacht auf dem Main. „Das passiert hier wirklich sehr oft.“

Obwohl sich der Yachtklub abseits der Hauptschifffahrtsstraße befindet (weshalb sich in der Umgebung auch so viele Enten, Gänse und Kormorane wohl fühlen), spürt man die sanfte Bewegung der Wellen. „Manchmal schwankt das Bootshaus oder liegt etwas tiefer im Wasser – zum Beispiel wenn große Schubverbände passieren oder 400 Leute an Bord Rambazamba machen“, sagt Unkelbach. Die vielen Rettungsringe überall sind deshalb auch mehr als bloß maritime Dekoration.

Wir machen den Yacht­klub nicht, um uns selbst zu verwirk­li­chen [...]

Klaus Unkelbach
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier
Clubwalk

DISTANT BODIES DANCING EYES

9. bis 11. Juli 2021, GIBSON, HAFEN 2, LOLA MONTEZ, NACHT­LE­BEN, ROBERT JOHN­SON, SILB­ER­GOLD, TANZ­HAUS WEST und YACHT­KLUB

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