Beuys und Immendorff haben die deutsche Nachkriegskunst maßgeblich geprägt. Die Ausstellung "Künstler und Propheten" zeigt, wie Immendorff trotz seiner Verehrung für seinen Meister einen humorvollen Umgang für dieses besondere Verhältnis in seiner Kunst gefunden hat.

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Joseph Beuys schreitet auf den Betrachter zu. Er trägt schwarze Stiefel, eine weiße Anglerweste und seinen berühmten Filzhut. Er weiß, wo es lang geht. Am rechten Bildrand steht: "La rivoluzione siamo Noi". ("Die Revolution sind Wir"). Die Aufnahme stammt von Giancarlo Pancaldi aus dem Jahr 1971. Beuys verwendete sie als Plakat für seine erste Ausstellung in Italien. Er war in das Sehnsuchtsland Goethes und vieler anderer deutscher Künstler gereist, um seine politischen Ideen zur Veränderung der europäischen Gesellschaft vorzustellen.

Er forderte von seinen Zuhörern, ein Leben im Einklang mit der Natur zu führen sowie ein politisches Engagement, das sich mehr am Geist als am tagespolitisch Notwendigen orientierte. Beuys kannte sich aus mit den Schriften des Esoterikers und Philosophen Rudolf Steiner und war davon überzeugt, in dessen Auftrag zu handeln. Er sah sich in der Rolle des Volksaufklärers, der sich dafür einsetzte, jeden Menschen seiner Berufung zuzuführen und ihn Schritt für Schritt mit dem Übersinnlichen vertraut zu machen. Er scheute keine Mühe und fing bei einer Anti-Reagan-Demonstration auf den Rheinwiesen gar an zu singen.

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"Jeder Mensch ist ein Künstler"

[Translate to English:] JOSEPH BEUYS

[Translate to English:] Auch wer noch nie ein Werk von Beuys gesehen hat, kennt seinen vielzitierten, aber auch oft missverstandenen Satz: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Damit wollte er nicht zum Ausdruck bringen, jeder Mensch sei ein Maler, Architekt oder Komponist, sondern darauf hinweisen, dass jede menschliche Tätigkeit den Anspruch der Kunst haben kann und als solche angesehen werden sollte.

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Im Jahre 1982 fand eine der größten Aktionen des Kunstprofessors, Schamanen und Grünen-Politikers Beuys statt. Für das Kunstprojekt "7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ ließ er 7000 rohe Basaltblöcke vor dem Museum Fridericianum in Kassel abkippen. Bis 1987 wurden in Kassel 7000 Eichen gepflanzt und neben jede von ihnen einer der Steinblöcke aufgestellt. Beuys interessierte sich für das Verhältnis zwischen dem sich unveränderbaren Naturwesen Stein und dem sich ständig weiter entfaltenden Lebewesen Baum. Sie bildeten für ihn eine Einheit. Eine solche Aktion bezeichnete der Künstler als "soziale Plastik", denn die Bäume sind heute noch sichtbar und erfreuen die Kasseler Bürger, wenn sie den Beuys-Park besuchen. Als er von einem Reporter gefragt wurde, ob er unsterblich werden wolle, antwortete er: "Ich bin es bereits."

"Beuysritter" trifft Bildungsschickeria

Es verwundert nicht, dass ein Künstler mit einem solchen Charisma einen großen Einfluss auf junge Künstler ausgeübt hat. Dazu zählt auch Jörg Immendorff, der als Student der Kunstakademie Düsseldorf 1964 in die Klasse von Beuys kam und rasch zu einem seiner Lieblingsschüler avancierte. Als der angesehene Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela Beuys darum bat, seine neuesten Arbeiten bei sich zu präsentieren, machte es der Künstler zur Bedingung, zunächst die Werke des jungen Immendorff der Öffentlichkeit vorzustellen.

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So kam der damals 20-jährige Student 1965 zu seiner ersten richtigen Ausstellung, die allerdings nicht sonderlich erfolgreich verlief. Immendorff kommentierte diese frühe Galerieerfahrung im Rückblick so: "Nach der ersten großen Enttäuschung mit dem arroganten Galeriebetrieb der Bildungsschickeria bei Schmela wandte ich mich ganz meinem Professor [Beuys] zu. Ich war angetan von seinen Worten über die Freiheit der Menschen durch die Kunst und über die bewußtseinsverändernde Kraft der Kunst." Aus dieser Zeit existiert ein Foto des jungen Immendorff in einer Tunika, auf der "Beuysritter" steht. In der linken Hand hält er ein Schwert aus Karton, das auf ironische Weise seine Bereitschaft unterstreicht, für seinen "Meister" in die Kunstschlacht zu ziehen – wovon es einige gab.

Während seines gesamten Schaffens hat Immendorff in vielen Werken die besondere Beziehung zu Beuys auch auf parodistische Weise thematisiert. In dem Gemälde "Esst deutsche Äpfel" taucht dreimal aus einem bunten Haufen von Äpfeln Beuys mit seinem Filzhut auf, was auf dessen Naturverbundenheit anspielt. Dass ausgerechnet drei Köpfe zu sehen sind, könnte man als Anspielung auf die Dreifaltigkeit deuten und als humorvollen Kommentar zu Beuys’ Selbstverständnis als Christus-Gestalt verstehen. Aber selbst Beuys ist nicht vor der "verbotenen Frucht" gefeit und hat sich in deren Fänge begeben.

"Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?"

Sogar noch im Jahr 2002 setzte sich Immendorff in seinem Werk "Affenplastik" mit dem Verhältnis zum bereits 1987 verstorbenen Beuys auseinander. Immendorff hat sich, wie so oft, selbst als Maleraffen mit Pinsel dargestellt. Beuys guckt auf ihn herunter und gibt mit ausgestrecktem Arm gleichzeitig die Richtung vor. Der kleine Affe guckt verloren in die Ferne und wirkt wie ein dem Vater gehorchendes Kleinkind. Die Skulptur bringt zum Ausdruck, wem Immendorff seinen Weg als politischer Künstler zu verdanken hat. Beuys war für ihn eine Art Kunst-Katalysator, der ihn dazu ermutigte, in der Malerei völlig neue Themen und Formen zu verwenden. Dazu zählen seine "Baby"-Arbeiten wie "Teine Tunst mache" (1965), in denen er durch die Verwendung der Babysprache logische Denkprozesse aufzulösen versucht oder seine Gemälde für die Arbeiterklasse (1972/73), in denen er sich als Künstler mit dem Kampf des Proletariats solidarisiert und generell die Frage in seinen Werken verhandelt, wo ein Maler oder Bildhauer mit seiner Kunst politisch stehen sollte. Bei all seinen Aktionen blieb er Beuys’ Losung stets treu: "La rivoluzione siama Noi".