Der Künstler Dash Snow lieferte intime Einsichten in sein exzessives Privatleben. In der Ausstellung „Privat“ sind seine berühmten Polaroid-Aufnahmen zu sehen.

„Lebe wild und gefährlich“: Wenn sich ein zeitgenössischer Künstler dieses Motto des Schriftstellers Arthur Schnitzler zu Herzen genommen hat, dann war es Dash Snow. Ein exzessiver Hedonist aus gutem Hause, der schon als Teenager auf der Straße lebte und allen Gesetzeswidrigkeiten zum Trotz irgendwie immer durchkam. Für ihn spielte es offensichtlich keine Rolle, wo „privat“ aufhörte und wo „Arbeit“ anfing. Was er zusammen mit seinen Freunden, mit Frauen und Wildfremden erlebte, dokumentierte er mit der Polaroid Kamera.

Während andere Künstler seiner Generation ihre Motive entweder langfristig planen, Licht und Objektive sorgfältig auswählen oder Fotos überhaupt nur noch als digitale Datei aufnehmen, werden Dash Snows Ideen quasi intuitiv binnen Sekunden auf Polaroid gebannt. Er benötigte keine Vermittlung zwischen Motiv und Medium, er vergeudete keine Zeit mit abstrakten Theorien und künstlerischen Konstrukten – die Unmittelbarkeit war Dash Snows Konzept. Was nicht heißen soll, dass er selbst keinen Hang zur Inszenierung hatte: Auf vielen Polaroids schmeißen sich Snow und seine Freunde in Pose, kreieren Sekunden-Installationen aus nackten Körpern und gefundenen Objekten, starten eine Kissenschlacht, legen sich zusammen in die Badewanne, nehmen Drogen, trinken und rauchen oder bekritzeln sich gegenseitig mit Filzstift die blanke Haut.

Immer wieder dazwischen der Künstler selbst, wie ihn andere sahen und wie er selbst sich wohl auch gesehen hat: Mit verwegenem Bart, langen, braunen Haaren, einer ganzen Armada an Tätowierungen, Hut und Sonnenbrille wirkte Dash Snow wie eine Figur aus einer anderen Zeit. Nicht wenige fühlten sich bei ihm an einen Künstler aus den 60er- oder 70er-Jahren erinnert – nicht nur durch sein Outfit, sondern auch durch seine massive Kompromisslosigkeit: Denn was Snow hier in seinen frühen 20er-Jahren zur Schau stellte, waren keine sorgsam durch den Kunsthochschulbetrieb geschliffenen Werke. Seine Polaroids entsprangen geradewegs seinem ureigenen Leben, waren ursprünglich gar nicht für die Ausstellung in Galerien und Museen gedacht – und lieferten vielleicht gerade deshalb dieses besondere Moment, eine Authentizität, nach der sich der Kunstbetrieb so sehnt. Der Exzess, den er zur Schau stellte, war echt.

Exzess und Hype

Gerade im Zusammenspiel entwickeln die verschiedenen Polaroids eine magische Sogkraft, der man sich schwer entziehen kann. In der aktuellen SCHIRN Ausstellung „Privat“ wurden verschiedene Motive in sieben Rahmen zu einer Art Kaleidoskop aneinander gereiht. Sie erlauben einen direkten Einblick in das Leben eines Künstlers, der sich selbst anfangs gar nicht als solcher verstanden hat: Erst gute Freunde wie Ryan McGinley, dessen Werke in dieser Ausstellung direkt vis-à-vis präsentiert werden, überzeugten Dash Snow schließlich davon, seine Polaroids zu Geld beziehungsweise Kunst zu machen. Fotografiert hat Snow sein ausschweifendes Leben aber schon sehr viel früher, als Jugendlicher – einem Interview zu Folge waren Erinnerungslücken nach durchfeierten Nächten ein Grund dafür, die möglicherweise bald vergessenen Erlebnisse noch rechtzeitig fotografisch festzuhalten. Und weil Alkohol und Drogen permanenter Begleiter des Künstlers sind lauert der Blackout überall und jederzeit. Entsprechend dokumentiert Dash Snow, was immer ihm vor die Linse kommt: Exzessive wie intime Momente, beispielsweise mit seiner Freundin Jade und der gemeinsamen Tochter Secret Midnight Magic Nico.

Dass Dash Snow überhaupt zu einem gefeierten Underground-Künstler wurde ist angesichts seiner Biografie nicht selbstverständlich: Seine Eltern gehören der wohlhabenden de Menil-Dynastie an; aus Frankreich emigrierte Aristokraten, die es mit dem Handel von Textilien und Öl zu beachtlichem Wohlstand gebracht haben. Sein Großvater ist Robert Thurman, berühmter Vertreter des tibetischen Buddhismus, Freund des Dalai Lamas und Vater der gleichnamigen Hollywood-Schauspielerin Uma. Beste Voraussetzungen also für eine große Karriere. Der junge Dashiell aber kann sich nur schwer in die Familie einfügen, wird bereits mit 13 Jahren in einer Privatschule für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten unterrichtet – sein langjähriger Freund Ryan McGinley erklärte in einem Nachruf des „Vice“-Magazins, er habe nie zuvor einen Menschen mit stärker ausgeprägtem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom kennengelernt.

Irgendwann zieht es Dash ins sündige New York, wo er mit 18 die Künstlerin Agathe Snow heiratet und ihren Namen annimmt. Hier lernt er Gleichgesinnte kennen, feiert und sprayt Graffitis, hält sein ausschweifendes Leben auf Polaroids fest, lässt sich schließlich davon überzeugen, die Fotos auszustellen, zu verkaufen – und löst binnen weniger Jahre einen solchen Hype aus, dass selbst das „Wall Street Journal“ eine ausdrückliche Anlageempfehlung für Dash Snow-Werke ausgibt. Was ihm wiederum in späteren Jahren, gänzlich entgegen der Idee seines eingeschlagenen Lebensweges, einen beachtlichen, auch finanziellen, Erfolg beschert. Neben Polaroids fertigte Dash Snow Collagen und Installationen, ähnlich roh und direkt: Schnipsel aus der Boulevardzeitung werden mit Sperma überdeckt, Galeriewände mit Urin und Wein bearbeitet. Sein Leben, das er in zahllosen Polaroids dokumentiert und an Orten wie der Royal Academy oder der Saatchi Gallery präsentiert hat, endet früh. Im Sommer 2009, nur wenige Tage vor seinem 28. Geburtstag, stirbt Dash Snow im noblen Lafayette House – vermutlich an einer Überdosis Heroin.