In dem unscheinbaren Bücherregal "Paradise" von Tobias Rehberger steckt die wechselhafte Geschichte eines mondänen, verlassenen Hotels in den Italienischen Alpen.

Der französische Verlag Onestar Press publiziert seit dem Jahr 2000 Künstlerbücher, Filme und Multiples, ohne auf die Autoren bezüglich des Inhalts Einfluss zu nehmen. Seit dem Jahre 2007 beauftragt er auch Künstler, Regale für ihre Bücher zu entwerfen. 2009 gestaltete Tobias Rehberger sowohl ein Buch als auch ein Bücherregal, beide mit dem Titel „Paradise“. 

Im Buch sind ohne schriftliche Erläuterungen schwarzweiße Fotografien eines leerstehenden Gebäudes in alpiner Umgebung zu sehen. Mehrmals sind auf den Aufnahmen Hinweisschilder in deutscher und italienischer Sprache mit der Aufschrift „Betreten verboten“ zu sehen. Die Abbildungen aus dem Inneren des Hauses dokumentieren jedoch, dass sich der Fotograf trotzdem Zutritt verschafft hat. Der Titel „Paradise“ in Kombination mit dem verwahrlosten Gebäude lässt eher an ein verlorenes Paradies denken.

Das Buchregal besteht aus Material, das aus dem verlassenen Hotel „Paradiso del Cevedale” im Val Martello in Südtirol, Italien stammt. Dieses Gebäude liegt idyllisch und abgelegen hinter einem Stausee auf 2160 m. ü. M. Es ist ein ehemaliges Luxushotel mit 250 Betten, Post- und Telegraphenamt im Haus, Metzger, Konditor, Friseur, Masseur, Skilehrer, Lesesaal mit englischen Kaminen, Sauna und Taverne. Es wurde zwischen 1933 und 1935 auf Initiative des italienischen Fremdenverkehrsministeriums und mit Unterstützung der faschistischen Partei für eine exklusive Elite – Repräsentanten des Finanz- und Industriekapitals sowie faschistische Parteigrößen – gebaut. 1943 diente es als Urlaubsstützpunkt für Soldaten der deutschen Wehrmacht, die es in Beschlag genommen hatten. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg erfreute sich das Haus regen Gästezuspruchs, ging aber 1946 in Konkurs. 1952 erwarb es der venezianische Reeder Benati, ließ es allerdings ab 1955 verfallen. Ein letzter Besitzwechsel fand 1966 statt, als die Liegenschaft von den Eignern der Brauerei Forst erworben wurde, welche das Hotel aber bis heute nicht wieder zu Leben erweckten.

Die Ruine und ihre Geschichte faszinieren. 1994 wurde von der Frankfurter Regisseurin Carmen Tartarotti ein Dokumentarfilm über das Hotel gedreht. Neben der Historie kommt hinzu, dass es sich nicht um irgendeinen Entwurf handelt, sondern der bekannte Mailänder Architekt und Designer Gio Ponti damit betraut war. Für das abgelegene Tal war Pontis Bau aus einer Mischung des Novecento und der Moderne etwas gänzlich Ungewohntes. Tobias Rehberger hat sich in der Gruppenausstellung „Ciao Milano“ (2009) in der Galerie Mehdi Chouakri ebenfalls mit dem Werk Pontis auseinandergesetzt. Er inszenierte in comichaften Collagen einen fiktiven Dialog zwischen Ponti und seinem jüngeren Kollegen Ettore Sottsass.

„Paradise Bookshelf“ wurde mit für Rehberger typischen Farbtönen bemalt. Jedoch könnte sich hinter diesen eine weitere Hommage an das Hotel befinden: das äußere Rot-Orange des Regals ähnelt dem Rosso veneziano, in welchem die Hotel Ruine momentan gestrichen ist. Es war die Lieblingsfarbe des vorletzten Besitzers, des venezianischen Reeders, der das Haus umstreichen ließ. Ponti hatte es grün entworfen, es sollte sich in die Natur eingliedern. Auch Grün findet sich in Rehbergers Regal wieder – an den Seiten. 

Bei „Paradise Bookshelf“ ist nicht genau zu erkennen, ob das Regal ein vorgefundenes Objekt ist oder ob es zusammengezimmert wurde. Da es sich aber um Holz aus dem Hotel handelt, ist es gewissermaßen ein Gio Ponti und somit eine Hommage an einen Design-Klassiker des frühen 20. Jahrhunderts. Mit dieser Designepoche beschäftigte sich Rehberger ebenfalls in seiner Serie der Kamerun Stühle.