Teresa Köster, stellvertretende Chefredakteurin des Berliner Onlinemagazins Stylemag, beschreibt für LES BLOGGERS DE MONTMARTRE das Leben der selbstbewußten und unangepaßten Künstlerin Suzanne Valadon.

Vergnügungssucht zwischen den zahlreichen Cafés, Varietés und Cabarets, im Tanz und Exzess -- jene Bilder haben sich tief in die Köpfe eingebrannt, sobald das Stichwort „Montmartre" fällt; jenes Pariser Viertels, das heute ein Touristenmagnet ist, einst ein kaum beachteter, dörflicher und ärmlicher Fleck am Rande der Stadt war, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert jedoch zum Melting Pot der jungen Kunst wurde. Mit Montmartre als temporärer Ideenschmiede und Zufluchtsort vor der Pariser Bourgeoisie dokumentierten Künstler wie Renoir, Vincent van Gogh, Toulouse-Lautrec und Picasso in jenen Jahren um 1900 ihr wechselseitiges Leben auf Leinwand: den Realismus ihres neuen Kontextes, ihre Arbeiter-Nachbarn, Außenseiter sowie ihre topografische Umgebung parallel zum Leben jener neuen Bohème, die zwischen Exzess, Dekadenz, Akt und Experiment eine neue Form der Selbstdarstellung und damit auch ein verändertes Verständnis der gesellschaftlichen Rolle des Künstlers ermalte. Selbst einst ein beliebtes Modell, glänzt zwischen all diesen männlichen Namen eine selbstbewusste Frauenfigur hervor, die jene neue Künstlerdefinition inmitten jener Blüte für sich zu nutzen wusste und vom beliebten Malermodell zur angesehenen Künstlerin avancierte: Suzanne Valadon.

„Paris im Blut -- und Montmartre", war nach ihrem Tod im April 1938 über die Tochter einer Wäscherin zu lesen und tatsächlich ist ihr Werdegang nicht ohne jene Hochburg der neuen Bohème zu verstehen, die zum Vorbild für zahlreiche künstlerische Außenseiter-Nachfolger wie Berlin werden sollte. In Montmartre einen Großteil ihres Lebens weilend, bahnte sich Suzanne Valadon zunächst als beliebtes Modell ihren Weg gen Kunst: Henri de Toulouse-Lautrec porträtierte sie in ebenso in gelassener Pose mit Zigarette und halbleerem Glas unter ihrem abwesenden Blick als „Die Trinkerin" (um 1888) wie auch als selbstbewusste Frau mit aufwendigem Kopfschmuck („Porträt der Suzanne Valadon",1886-87). Mit tief ausgeschnittenem Dekolleté bannte auch Auguste Renoir in jenen Jahren Suzanne Valadon mehrfach mit stets abgewandten Blicken auf seine Bilder.

In einer Zeit, in der Frauen zwar unverzichtbarer Bestandteil der Kunst waren, jedoch fast ausschließlich als Motiv und nicht als kreative Schöpferin, konnte sich Suzanne Valadon bereits in den ersten Zügen ihres eigenen Schaffens renommierter Unterstützer rühmen. Renoir, Henri de Toulouse-Lautrec, vor allem aber Edgar Degas ermöglichten ihre erste Ausstellung im Pariser „Salon de la Societé Nationale des Beaux-Arts" im Jahr 1948. Eineinhalb Jahrzehnte später war ihr Name längst in den großen Salons der Avantgarde zu lesen. Mit sicherem Strich, nie aber beschönigend, porträtierte die Autodidaktin ihre Mutter, Modelle, Freunde, Lebensgefährten und später immer wieder ihren Sohn Maurice Utrillo, um zum Ende ihrer Karriere hin in den zwanziger und dreißiger Jahren zusehends auch mit schonungslosem Blick das eigene Altern auf Papier zu bannen. Als Affront gegen das Ideal junger weiblicher Schönheit, spiegelt ihr letztes Selbstbildnis von 1931 ihren alternden Körper im Halbakt -- ein selbstbewusster Schritt, den nur wenige Künstlerinnen zuvor gewagt hatten.

„Ja, sie ist wirklich eine von uns", schrieb Degas. Doch so sehr ihre Arbeiten die Konkurrenz mit ihren männlichen Kollegen mühelos aufnehmen können und ihre Selbstporträts, Akte und Abbilder die Medien zu zuweilen unkonventionellen Interpretationen führen, ist Suzanne Valadons weiblicher Avantgardismus vor allem Teil eines größeren Lebenskonzeptes. Als „Trinité Maudite" , die „verfluchte Dreieinigkeit", wie das Künstler-Trio in Montmartre genannt wurde, formten Valadon, ihr talentierter, aber trinksüchtiger Maler-Sohn Maurice Utrillo und ihr junger Geliebter André Utter eine ungewöhnliche Künstler-Familien-Gemeinschaft, die die Maßstäbe der neuen Künstlergeneration auf die reale Lebenspraxis übertrug. Statt wie Charlotte Behrend-Corinth, Minna Tube-Beckmann oder Francoise Gilot hinter ihre Künstler-Ehemänner zurückzutreten, unterstützten und inspirierten sich Valadon und die beiden Künstler gegenseitig und setzten einen neuen Maßstab für ein ausgewogenes Kräfteverhältnis. Damit fügt sich Suzanne Valadon weder in das proletarische noch in das bürgerliche Bild der Frau um 1900. Ihre Lebensgeschichte wird vielmehr zum Spiegel einer neuen Pariser Kunstszene, in der die Bohème es ihr ermöglichte, einen Platz für ihre unkonventionellen Schaffens- und Lebensentwürfe zu finden.