In der Rotunde der SCHIRN und in Frankfurts Straßen sind jetzt Porträtstudien der US-amerikanischen Künstlerin Roni Horn zu sehen. Ihre Arbeiten drehen sich um Fragen der Identität.

Menschenströme, hupende Taxis, blinkende Werbetafeln, Gesichter über Gesichter: Das ist Roni Horns Alltag in New York, wo sie geboren wurde, lebt und arbeitet. Rauschende Wasserfälle, heiße Quellen, mit Moos bedeckter Boden, Vögel über Vögel: Auch das ist Horns Alltag, denn seit sie 1975 das erste Mal in Island war, kehrt sie jedes Jahr zurück, um auch dort zu leben und zu arbeiten.

Die Werke der 1955 geborenen Künstlerin entstehen zwischen Extremen. Vielleicht drehen sie sich deswegen meist um Existenzielles, um Fragen zu Identität, um Selbst- und Fremdwahrnehmung. In minimalistischen Skulpturen, abstrakten Zeichnungen, assoziativen Sprachspielen, konzeptuellen Künstlerbüchern und fotografischen Porträtserien unternimmt Horn künstlerische Studien. Jedem Medium lässt sie Raum, sich seiner Natur entsprechend zu entfalten.

Mit der 2005 entstandenen und für die Präsentation der SCHIRN erweiterten Arbeit „Portrait of an Image (with Isabelle Huppert)" dringt sie erstmals in den öffentlichen Raum. Die 100 Bilder der Porträtserie sind in der Rotunde der SCHIRN ausgestellt, eine Auswahl ist auf Frankfurts Straßen und in Bahnhöfen weiterer Städte zu sehen, dort, wo sonst Werbeplakate hängen. Von allen Bildern aus blickt die französische Schauspielerin Isabelle Huppert den Betrachter an. Sie mimt das Repertoire an Theater- und Filmrollen, die sie in ihrer Karriere verkörpert hat. Ihre medial inszenierten Identitäten werden re-inszeniert, variiert, vervielfältigt, das Bild „Isabelle Huppert" verschwimmt. Wer ist das, Isabelle Huppert?

In Horns New Yorker Galerie Hauser & Wirth sind gerade neue Arbeiten zu sehen. „Untitled (‚My name is Mary Katherine Blackwood. I am eighteen years old, and I live with my sister Constance. I have often thought that with any luck at all I could have been born a werewolf, because the two middle fingers on both my hands are the same length, but I have had to be content with what I had. I dislike washing myself, and dogs, and noise. I like my sister Constance, and Richard Plantagenet, and Amanita phalloides, the deathcup mushroom. Everyone else in my family is dead.')" lautet der Titel einer Skulptur, die aus einigen im Raum verteilten Glaszylindern in unterschiedlichen Grüntönen besteht. Es ist ein Zitat aus einem Roman. Der Spagat könnte kaum größer sein: eine abstrakte Raumvermessung auf der einen Seite, eine dezidierte literarische Charakterstudie auf der anderen, und dazwischen entsteht eine Fläche, auf die der Betrachter (und Leser) seine Vorstellung einer Figur projizieren kann. Wer ist das, Katherine Blackwood?

Alles ist im Fluss. Wer sich einlässt auf das Hin-und-Her-Schaukeln in diesen konzeptuellen Strömen, wird belohnt. Und tatsächlich: Wasser taucht in Horns Arbeiten immer wieder auf, es ist Metapher und Sujet, etwa in ihrem Bilder-Zyklus „Some Thames". Er besteht aus mehreren Aufnahmen der Oberfläche der Themse, zu sehen sind immer neue Konstellationen von Wirbeln und Schatten. Es ist eine Meditation auf die verbindende Kraft des Wassers, auf unzählige Variationen im immer Gleichen. Für die Präsentation in der Londoner Tate hat sie die Arbeit um Fragmente von Geschichten erweitert, dafür recherchierte sie in Polizeiakten nach in der Themse gefundenen Leichen. Ihre Identitäten bleiben ganz im Verborgenen.

Eine ihrer bekanntesten Arbeiten ist „You are the Weather“, ebenfalls als Serie angelegte Porträtstudien. Zu sehen ist das Gesicht der isländischen Künstlerin Margrét Haraldsdóttir Blöndal, deren Name im Titel aber nicht erwähnt wird. Sie steigt gerade aus einer heißen Quelle, wird gleichsam daraus geboren, eine Analogie zur griechischen Aphrodite (und römischen Venus), die bei ihrer Geburt aus dem Meeresschaum stieg und zur Göttin der Liebe und Begierde wurde. Die Aufnahmen sind kurz nacheinander entstanden, Mimik und Bildausschnitt weichen wie in der Reihe mit Isabelle Huppert nur leicht voneinander ab.

Wer ist diese Aphrodite? Was passiert mit Identitäten zwischen medialer Vermittlung und Wiederholung? „Roni Horn aka Roni Horn" lautete der Titel einer großen Retrospektive zu Horns Œuvre vor einigen Jahren. Wer ist das, Roni Horn? Kunst muss Fragen nicht beantworten, wohl aber welche stellen.