Sophie Calle dringt mit ihrer Kunst gerne in die Privatsphäre fremder Menschen ein. Die Ausstellung „Privat“ zeigt allerdings Arbeiten, die viel über die Persönlichkeit der Künstlerin selbst verraten.

Wie ein roter Faden zieht sich das Thema „Privatsphäre" durch das Œuvre der französischen Künstlerin Sophie Calle: In verschiedensten Formen wird es immer wieder aufgegriffen und verarbeitet. Dabei können die Grenzen klassischer Ausdrucksformen verschwimmen, wie auch in „Privat" in der SCHIRN zu beobachten ist: Präsentiert werden drei Arbeiten aus der Serie „Wahre Geschichten" (1988-1992). Neben den in der Ausstellung gezeigten Fotografien und Schriftstücken haben diese Arbeiten jedoch eine weitere wichtige Ebene -- das Konzept, welches in diesem Fall ein tiefes Eindringen in die Privatsphäre der Künstlerin selbst bedeutet. Zumindest auf den ersten Blick.

Verfolgungsjagd durch Paris

Sophie Calle wird 1953 in Paris geboren. Nach dem Schulabschluss verdient sie sich Geld mit Nebenjobs, um anschließend die Welt zu erkunden -- es ist die Zeit der Traveller, ganze sieben Jahre soll ihre Weltreise dauern. Als sie mit 26 Jahren wieder nach Paris zurückkehrt, fällt die Umstellung auf das sesshafte Leben in der westeuropäischen Metropole anfangs schwer. Sophie Calle beschließt, sich der Stadt auf ungewöhnliche Weise anzunähern: Um der Einsamkeit und Orientierungslosigkeit in ihrer einstigen Heimatstadt zu entgehen, verfolgt sie wildfremde Menschen mit Fotokamera und Notizblock. Ein Jahr zuvor hat sie die Fotografie für sich entdeckt, jetzt nutzt sie das Medium, um ihre Projekte zu dokumentieren. Im Gegensatz zum Stalker, der das Objekt seines Interesses zunehmend auch privat bedrängt, bleibt die Künstlerin jedoch stets auf Abstand. Für einige Stunden taucht sie in das Leben anderer Menschen ein, ist ihnen dicht auf den Fersen, lernt abgeschiedene Winkel der Stadt kennen. Persönliche Aufzeichnungen und Bilder ihrer stillen Verfolgungsjagden durch Paris präsentiert Sophie Calle in einer Ausstellung -- ein erster Schritt in ihrer künstlerischen Laufbahn.

In folgenden Arbeiten bleibt die Französin dabei nicht immer so diskret und rücksichtsvoll, einige Werke sorgen für einen handfesten Skandal: 1983 findet Sophie Calle ein Adressbuch. Sie ruft einige der angegebenen Telefonnummern an und befragt ihre Gesprächspartner über den unbekannten Besitzer. Nach und nach erstellt sie eine Art Fahndungsprofil des Mannes, erfährt Details über seine liebste Freizeitbeschäftigung und lässt ihre Ergebnisse zusammen mit den transkribierten Telefongesprächen in der Zeitung „Libération" abdrucken. Der Besitzer des verlorenen Adressbuchs entdeckt die Artikel schließlich und fordert die Zeitung zum Abdruck eines Nacktfotos von Sophie Calle auf -- gewissermaßen als Ausgleich für die von ihm erlittene Verletzung seiner Privatsphäre. Die Künstlerin verpflichtet sich schließlich dazu, die Arbeit bis zum Tode des Mannes nicht mehr veröffentlichen zu lassen.

Drei Wahre Geschichten

Doch die Künstlerin belässt es nicht dabei, intime Details anderer Menschen zu präsentieren: Auch sie selbst steht immer wieder im Mittelpunkt ihrer eigenen Kunstwerke. Beispiele hierfür liefert die aktuelle SCHIRN-Ausstellung: Zwei Fotografien („Die falsche Hochzeit", „Der Streit") und ein überdimensional vergrößertes Schriftstück („Die Rivalin") sind hier zu sehen. Diese „Wahren Geschichten" werden jeweils ergänzt durch einen kurzen Text der Künstlerin, der eine Einordnung des Gezeigten ermöglicht. So entfalten sich drei Anekdoten aus dem Leben Sophie Calles, vom Liebesbrief ihres Partners an eine Rivalin über die Eheschließung in der „Little White Chapel" in Las Vegas bis hin zum falschen Hochzeitsfest, das nach der eigentlichen Heirat in Las Vegas mit der gesamten Familie in Frankreich nachgestellt wurde.

Angst, mit ihrer Kunst zu viel von sich selbst preiszugeben, hat Sophie Calle offenbar nicht. In einem Interview mit der „ZEIT" erklärte die Künstlerin, dass die Eigenschaften „authentisch" und „fiktiv" durchaus gleichzeitig zutreffen könnten. So seien die von ihr ausgestellten Fragmente, Briefe und Fotografien stets wahrhaftig und nicht erfunden. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich Calle deutlich von anderen Künstlern ihrer Generation, die das Spiel mit falschen Identitäten, mit dem nur scheinbar authentischen und persönlichen zum Gegenstand ihrer Arbeiten gemacht haben. Der Ausgangspunkt, das Rohmaterial ihrer Kunst ist „echt". Trotzdem betont Sophie Calle, dass sie hierdurch nicht zwangsläufig etwas Elementares über sich preisgibt.

Calles Arbeiten regen die Phantasie des Betrachters an

Jedes einzelne Puzzleteil, das die Künstlerin der Öffentlichkeit präsentiert, stellt nur einen winzigen Ausschnitt ihres eigenen Lebens dar und bleibt als Bruchstück quasi fiktiver Natur. Was das bedeutet, können Ausstellungsbesucher leicht selbst beobachten: Ohne den zugehörigen kurzen Text, ohne die Geschichte der Künstlerin wirken die präsentierten Arbeiten wie lose Fragmente. Durch die Erläuterungen aber eröffnet sich dem Zuschauer eine neue Welt, eine Persönlichkeit und ihre Vergangenheit entfaltet sich. Die Phantasie jedes einzelnen Betrachters ist gefragt um die Lücken zu schließen, die die nur angedeuteten Einblicke in die Privatsphäre der Künstlerin hinterlassen.