Mit seinen Porträtmalereien festigte Gustave Caillebotte seinen Ruf als Ausnahme-Impressionist. Der Blick, mit dem er sein Gegenüber auf die Leinwand bringt, unterscheidet ihn in gleich mehreren Aspekten deutlich von anderen Künstlern seiner Zeit.

Die Beine galant übereinandergeschlagen, sein Gegenüber fest im Blick: für Monsieur R. scheint das Modellsitzen nichts Außergewöhnliches. In lässig-eleganter Haltung lehnt er sich gegen den fein gespannten Stoff des luxuriösen Sofas, dessen Farbe und Muster perfekt mit der dahinter befindlichen Tapete harmonieren. Gustave Caillebotte allerdings hat mit dieser 1877 entstandenen Malerei durchaus etwas Außergewöhnliches geschaffen: In Anlehnung an das impressionistische Credo, die abgebildete Person habe wie ein Ensemblemitglied im Theater ihre Position einzunehmen und ihre Rolle zu spielen, inszeniert Caillebotte den französischen Monsieur in dessen privater Wohnumgebung.

Die Inszenierung des Innenraumes

Das elegante Sitzmöbel, die gestreifte Tapete und selbst der im linken Bildausschnitt befindliche Kamin werden so zum unverzichtbaren Bestandteil des Bildes. Durch die Inszenierung des Innenraumes entsteht eine Interaktion zwischen Figur und Interieur, zwischen großbürgerlicher Wohnumgebung und Bürger. In ganz ähnlicher Weise fertigt Caillebotte in den folgenden Jahren zahlreiche weitere Porträts, darunter auffallend häufig männliche Personen. Viele davon sind mit ihm persönlich befreundet, beispielsweise der Journalist und Herausgeber Richard Gallo, von dem der Maler im Laufe der Jahre mehrere Porträts auf die Leinwand bringt. Neben der Einbindung des Interieurs weisen die Malereien eine weitere Besonderheiten auf: Caillebotte wählt den Bildausschnitt des Porträts, wie wir es heute von Fotografien gewohnt sind. Möbel und Personen werden an den Bildrändern angeschnitten, Blick und Körperhaltung unterscheiden sich deutlich von den damals gängigen Formen des repräsentativen Porträts.

Tatsächlich finden sich entsprechende Darstellungen in der Fotografie erst geraume Zeit später -- Gustave Caillebotte ist somit nicht malerischer Nachahmer des neuen künstlerischen Mediums der Fotografie, sondern kann durchaus zu den Vorreitern dieser fotografischen Perspektive gezählt werden. Ähnlichkeiten finden sich zum Beispiel im Werk des französischen Fotografen Dornac, der die von ihm porträtierten Personen nahezu ausschließlich in deren privater Wohnumgebung ablichtete und dem Interieur einen ähnlichen Stellenwert beimaß wie Gustave Caillebotte.

Gerüchte und offene Fragen

Neben jenen Gemälden, in denen Caillebotte seine Modelle in deren bürgerlicher Wohnumgebung porträtiert, erregten damals wie heute noch andere Motive das Interesse des Publikums. War die Betonung des Interieurs in den Porträts bereits ungewöhnlich, so trieben die männlichen Aktmalereien Caillebottes künstlerische Ausnahmestellung auf die Spitze. So zeigt das 1884 entstandene „Mann im Bad, sich trocknend" einen durchtrainierten, schlanken Mann, der dem Betrachter seinen Rücken zuwendet. Bis auf ein Stoffhandtuch, mit dem er sich abtrocknet, ist der Mann völlig nackt. Seine Körperlichkeit dominiert das Bild, im Schatten kann man das Geschlecht des Porträtierten erahnen.

Scheinbar achtlos auf den Boden geworfene Kleidungsstücke und Fußabdrücke auf dem Holzboden lassen vermuten, dass es sich bei diesem Motiv nicht um eine inszenierte Darstellung handelt, sondern dass Caillebotte hier vielmehr eine Erinnerung aus seinem privaten Umfeld auf die Leinwand bringt. Es sind Bilder wie diese, die Gerüchte über die sexuelle Orientierung des Malers aufflammen ließen und bis heute Diskussionsstoff bieten. Ob Caillebotte homosexuell war oder nicht, bleibt sein Geheimnis. Überliefert ist lediglich, dass er lange Zeit mit einer Frau in wilder Ehe zusammenlebte -- was zu seiner Zeit ebenfalls mehr als unkonventionell gewesen sein dürfte.