Philip Guston entblößt seine schlechten Eigenschaften in seinen Gemälden wie kaum ein anderer Künstler. Eine Sinnsuche zwischen all den Zigaretten, dem Fast-Food und den schmutzigen Pinseln auf seinen Leinwänden.

Da steht er, mit 54 Jahren in seinem Atelier, das weiße Hemd leger auf- und sehr weit hochgeknöpft, die obligate filterlose Camel im Mund. Ein „Paintoholic“ im Angesicht des Fotografen. Der Gürtel spannt, erst etwas essen, gemalt wird nachts. Links vor dem Künstler hängt eine Glühbirne von der Decke, zu seiner Rechten zwei Leinwände, die größere vertikal und ohne jede Neigung, denn so malte Guston. Hinter der Leinwand schließt ein Bett an, daneben ein Stuhl vor einem leuchtenden Fenster.

Die Glühbirne, der rauchende Kopf, das Bett, die Leinwände, Schuhe: dies alles bevölkert die Bilder seiner 12 letzten Schaffensjahre, als er nicht mehr in New York, sondern zwei, drei Autostunden nördlich davon, im selbstauferlegten Exil in Woodstock lebte. Nach einer persönlichen Krise begann seine produktivste Phase, ein Rückkehr zur Figuration, eine Neuorientierung. Wäre ein Martin Kippenberger oder einen Jörg Immendorf ohne Philip Gustons letzte Bilder denkbar? Aber war es wirklich nur eine Rückkehr, nur eine Neuorientierung oder eben doch das Fortschreiben eines Lebensweges?

Er malte nächtelang, rauchte viel zu viel und liebte die italienische Küche. Der Autor Ross Feld berichtet in seinen "Erinnerungen an Philip Guston", dass Guston nach seinem ersten Herzanfall 1979 "unbekümmert jede strenge Vorschrift [ignorierte]: er hörte nie auf zu rauchen und zu trinken oder zu essen, was er gern essen wollte."

Es wird viel geraucht in seinem Spätwerk. In "Talking“ von 1979 sehen wir den ausgestreckten Arm des Malers, mit seinem weit hochgekrempelten, von Farbflecken gemusterten weißen Hemd, beim Versuch im Dunkeln die Kette einer Lampe zu fassen um Licht zu machen. Doch das Unterfangen missglückt, die Hand ist bereits beschäftigt und kann nichts mehr greifen außer der glimmenden Zigarette – auf die bereits die nächste wartet, die nie die letzte ist.

Der Maler im Atelier, nun im Profil. Der Kopf zu einer vernarbten, aufgedunsenen, rosaroten Kartoffel mutiert, ein paar Bartstoppeln, ein zum Lachen anmutender Vokuhila-Schnitt mit Koteletten. Anstelle des Mundes eine schlaff nach unten hängende, glühende Kippe, der Körper in gestisch-malerischen Rauch aufgelöst. So könnte es aussehen auf den aneinandergereihten Leinwänden, die uns den Rücken zukehren. Kein Mund, aber ein großes Ohr: der Maler malt, er redet nicht, ist aber empfindlich gegenüber den Meinungen der anderen.

Über dem Zyklopenauge liegt die Stirn ungläubig in Wulste gefaltet: Habe ich das wirklich gemalt? Als schwebe er, blickt der Künstler auf ein mit Reißzwecken an der Wand befestigtes Blatt – eine Parodie minimalistischer Tendenzen? Oder die reduzierteste aller Zeichnungen – eine Linie? 

Malen bezeichnete Guston als eines seiner Laster. Es war ihm wie das Rauchen und wohl auch das Essen eine Grundlage, eine Sucht. Offen stellt er diese Laster zur Schau und bannt damit seine Dämonen im Bild.

"Da liegt ein Typ im Bett, isst Pommes frites und stellt sich dabei diesen großen Haufen Zeugs vor, der über ihm abgebildet ist.“ Mit diesem lapidaren Satz beschreibt Philip Guston 1978 sein Gemälde "Painting, Smoking, Eating". Das Bild ist in gleichsam unzeitgemäßem wie dreckigem Rosa gemalt. Auf der Folie eines Abfallhaufens aus schweren Schuhen liegt ein fahler, rauchender Kopf unter einer schweren Bettdecke. In derselben Schräglage wie der Glimmstängel deutet der ausgestreckte Finger einer zusammengeballten Hand nach rechts oben, als wolle er "Vorwärts!" sagen. Aber wohin?

"Kunst wird nicht gebraucht […]. Sie bewegt sich nicht – ich habe das Bewegen satt – und wo soll man sich hinbewegen?", sagte Philip Guston einmal. Wozu also die vielen Schuhe im Hintergrund? Verdeutlichen sie doch die Bewegungslosigkeit des Dargestellten umso stärker. Sind es Symbole der Seele (soul = Seele klingt im Amerikanischen wie sole = Sohle)? Geben die Nägel in den Schuhsohlen Halt – oder verweisen sie auf eine Verletzung der persönlichen Integrität in ihren Grundfesten, dort wo man seinen Halt hat? Verweist der Schuhhaufen auf den Kaufrausch der Konsumgesellschaft, der in der Pop-Art klinisch rein zelebriert wurde? Oder bilden die schweren und unförmigen Wanderschuhe eine Erinnerung an den Vater, der mit Trödel handelte und sich am Ende als Lumpensammler verdingte?

Im Mittelgrund ein leerer Farbeimer, daneben ein weiterer, in dem einige Pinsel stecken. Am äußeren Bildrand hängt rechts eine Schnur, links ein Glühbirne herab. Im Spätwerk Gustons ist die Glühbirne eine ikonographische Konstante. Doch was bedeutet sie? Symbolisiert sie die Sehnsucht nach dem Vater, der sich selbst tötete als Guston gerade einmal zehn Jahre alt war? Nach dessen Tod saß Philip viel in einem Schrankzimmer und zeichnete – wenn ihm langweilig war, auch die Glühbirne die ihm leuchtete. 

Ein Mensch im Bett, dem Ort des Denkens und Träumens, des Schlafes und der Liebe, des Lesens und des Essens. Neben dem Kopf ein Teller Pommes, als American Way of Eating, in gefährlicher Schräglage. Rechts kommt etwas grüne Farbe durch – wie alt mögen die Fritten wohl sein? Doch das Bild lügt nicht. Es ist Malerei, das Grün „Imprimatura“, Malspuren die durchscheinen. Eine Anspielung des belesenen Malers an Walter Benjamins Vorstellung von Kunst als Verfall?

Guston erzählt nichts, sondern zeigt eine absurde, illustrierende Reihung. Was eröffnet Gustons melancholische Allegorie außer Stillstand im Sinne eines sich ständig erneuernden Wechsels? Und so wenig akkurat sie gemalt zu sein scheint, so ist sie doch wahrer als jeder vergebliche Versuch einer großen Perfektion.

Painting, Smoking, Eating: Er hat gemalt, er hat geraucht. Kurz bevor sich der Vorhang seines Lebens für immer schließen sollte, war der Siebenundsechzigjährige, gemeinsam mit seiner Frau Musa, bei Freunden zum Abendessen. 1980 starb der Künstler, während er seinen Nachtisch aß.