Oliver Hardt lebt und arbeitet in Frankfurt. Im Bahnhofsviertel hat der Filmregisseur Quartier bezogen. Meistens aber reist er durch die Welt, um außergewöhnliche Menschen und Themen für seine Filme zu finden.

„Komm, wir gehen aufs Dach", sagt Oliver Hardt. Er kramt den Schlüssel hervor, eine schmale Treppe führt hinauf. Der Ausblick ist spektakulär. Wir sind von Hochhäusern umzingelt, Wolkengebilde ziehen über uns hinweg. Gegenüber, auf dem Dach eines Designhotels, sehen wir eine Gruppe Jugendliche, die Parcours-Sprünge probt und sich dabei filmt. „Ich gehe oft hier hoch, um den Kopf freizubekommen, setze mich ein paar Minuten hin, höre Musik", sagt Hardt.

Wir schauen hinunter, auf das Straßengeflecht des Bahnhofsviertels. Oliver Hardt erzählt von den griechischen Kürschnern und ihren Pelzgeschäften, die die Gegend lange geprägt haben, und davon, was sich in den vergangenen Jahren durch den Zuzug der Kreativwirtschaft ins Viertel verändert hat. „Diese Entwicklung wird immer nur positiv gesehen, was ich nicht so recht verstehe. Man muss sich doch auch mal fragen, wem es wirklich nützt, wenn die Mieten steigen", sagt er. „Manchmal denke ich: Wir müssten mehr daran arbeiten, dass das Bahnhofsviertel seinen schlechten Ruf behält." Damit Freiräume bleiben.

Wieder im Büro. Hardt holt eine Flasche Wasser und eine Tüte Gummibärchen. Sein Atelier teilt er sich mit zwei Grafikern. „Wir treffen aber nur selten aufeinander, weil alle so viel unterwegs sind." Hardts Arbeitsplatz ist aufgeräumt, spartanisch. Ein Schreibtisch, ein MacBook, ein großer Bildschirm, eine Designerlampe. Auf einem zweiten Tisch liegen Flyer, Programmhefte von Filmfestivals, Bücher. An der Wand hängt ein Poster, das Plakat zu seinem Film „The United States Of Hoodoo". Vor etwas mehr als einem Jahr kam der Dokumentarfilm ins Kino. Es war Oliver Hardts erster Kinofilm. Vorher hat er vor allem fürs Fernsehen (und dort für Arte) gearbeitet oder Imagefilme für Firmen oder Institutionen produziert. Für den in Frankfurt ansässigen „Rat für Formgebung" etwa entwickelt er seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Gestalter Markus Weisbeck die Visuals für die Preisverleihung zum „German Design Award".

Für den Dokumentarfilm „The United States Of Hoodoo" reiste der Regisseur gemeinsam mit dem Autor Darius James durch die Vereinigten Staaten, begab sich auf die Suche nach den Spuren von schwarzer Voodoo-Kultur. Hardt und James wollten wissen, welchen Einfluss diese aus Afrika importierte, spirituelle Kultur heute noch auf die Werke von Künstlern oder Intellektuellen ausübt. „The United States Of Hoodoo " ist ein Roadtrip, der Hardt und James nach New York, Oakland oder New Orleans führt, quer durchs Land, zu Autoren, einer DJane, einer Kuratorin, einer Voodoo-Priesterin. Der Film -- ruhig erzählt, mit vielen betörend schönen Bildern -- will dabei keine These aufstellen, sondern sammelt unterschiedliche Positionen ein. „The United States Of Hoodoo" hat damit einen Nerv getroffen, wurde auf viele Filmfestivals in aller Welt, nach New York, Warschau, in die nigerianische Hauptstadt Lagos oder nach Perth in Australien eingeladen.

Nach außergewöhnlichen Geschichten suchen, besondere Menschen für seine Filme entdecken, das treibt Oliver Hardt an. Und er will seinen Protagonisten nahe kommen, will mit ihnen „Gespräche führen, in denen sie etwas erzählen, dass jenseits von dem, was sie schon hundertmal gesagt haben, liegt." Die Arbeit oder der Alltag von Schwarzen spielt dabei häufig eine Rolle. Gerade hat er ein Porträt über den Architekten David Adjaye, der in Washington das neue National Museum of African American History and Culture baut, gedreht. 2005 hat er mit „Black Deutschland" einen Film über das Leben von Schwarzen in Deutschland vorgelegt.

„Natürlich gibt es da auch einen autobiografischen Ansatz. Viel wichtiger ist mir aber, dass mich ein Thema fesselt", betont Oliver Hardt. Und: „Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es eine schwarze Kultur überhaupt gibt. Was wir heute haben, sind hybride Kulturen." Hardt sagt, dass es immer das Lokale ist, dass ihn interessiert, „aber eben nicht nur im Frankfurter Bahnhofsviertel, sondern in der ganzen Welt." Sein jüngstes Projekt hat ihn nach Peking geführt, wo er für die Arte-Musiksendung „Tracks" ein Porträt über die junge Elektronik-Subkultur der Stadt gedreht hat. „Das ist Musik, die so nur dort entstehen kann, obwohl sie natürlich von elektronischer Musik aus dem Westen beeinflusst ist", erklärt er.

Dass er Filmemacher wird, war lange nicht ausgemacht. Studiert hat Oliver Hardt am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, der Kaderschmiede für junge deutsche Performancekunst. Schon während seines Studiums brachte er erste eigene Produktionen auf die Bühne, in Frankfurt arbeite er zu Beginn der 1990er-Jahre dann am innovativen TAT (Theater am Turm). „Meine Inszenierungen waren wie Musikkompositionen angelegt", beschreibt er sein damaliges Konzept. Mit vielen der Künstler, mit denen er bei seinen Theaterstücken kooperierte, arbeitet Hardt immer noch zusammen, zum Beispiel mit dem Komponisten Albrecht Kunze, der bis heute häufig Musik zu seinen Filmen beisteuert. „Arbeitszusammenhänge sind bei mir ganz oft auch Freundschaften", sagt Hardt.

Die Bühnenkunst wurde für ihn irgendwann zur Sackgasse. „Mich hat gestört, dass das Theater ständig mit etwas anderem in Verbindung gebracht werden sollte, erst mit dem Tanz, dann plötzlich mit der Bildenden Kunst. Dafür war ich zu stur: Theater muss nicht gepimpt werden." Er entschließt sich, die Bühnenarbeit zu beenden, sucht nach einem neuen Weg -- und bekommt 1997 plötzlich das Angebot, an einer Arte-Dokumentation über die Documenta X mitzuarbeiten. Über 60 Interviews mit Künstlern führt er für das Projekt. Und er fängt Feuer für den Dokumentarfilm. So wurde Oliver Hardt zu einem der bemerkenswertesten Filmemacher Deutschlands.