Bei Maurizio Cattelan sind sich offenbar alle einig: Scherzkeks, Witzbold, Provokateur mit Hang zur Albernheit. Was wäre eine „Unendlicher Spaß“-Ausstellung ohne den 53-jährigen Wahl-New Yorker?

Regelmäßig taucht sie wieder auf, die Frage: Darf man sich über ihn lustig machen? Maurizio Cattelan hat´s getan -- er ließ Adolf Hitler als (ziemlich komische) Skulptur anfertigen: Keine lebensgroße Figur, eher ein Diktator im Miniformat, noch dazu kniend, die Hände zum Gebet gefaltet. Devot und andächtig statt übermächtig kommt der Führer daher. An Stelle der Parteikluft trägt er einen schicken grauen Tweed, nur der ewig grimmige Blick, Seitenscheitel und das obligatorische Oberlippenbärtchen lassen keinen Zweifel an seiner Identität. Mit "Him", zu Deutsch schlicht: "Er", fertigte Maurizio Cattelan einen für die einen provokanten, für die anderen längst überfälligen Kommentar zum NS-Führer, der eben nicht nur machtversessener Diktator und brüllender Wahnsinniger war, sondern im wahrsten (und vielleicht schlechtesten) Sinne des Wortes ein Mensch -- und ein von Millionen Anhängern heiß geliebter Politiker dazu.

Cattelan macht Hitler also klein, im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann über ihn lachen, er kann sogar fast ein wenig Mitleid hervorrufen, eine oberflächliche und sehr unmittelbare Reaktion natürlich. Verharmlosung? Nicht zwangsläufig. Geschmacklos? Vielleicht. Ausgerechnet im Warschauer Ghetto ließ Maurizio Cattelan "Him" aufstellen und erntete dafür enorm viel Kritik. Der Künstler selbst beteuerte, weder provozieren noch verletzen zu wollen -- die Skulptur entspreche vielmehr seinem Bild von Adolf Hitler, einem kleinen Mann, niemand, vor dem man Angst haben müsse. Man weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Hitlers wahnhaften Ideen nicht auf derart fruchtbaren Boden getroffen wären -- oder umgekehrt, ob auch ein anderer die Massen hätte mobilisieren können wie er. Der Kniefall wiederum ist von Altkanzler Willy Brandt entliehen, der mit der berühmt gewordenen Geste 25 Jahre zuvor an selber Stelle seinerseits für Aufsehen gesorgt hat. Und, auch das darf man nicht vergessen, hiermit keineswegs überall auf positive Resonanz gestoßen ist.

Humor als galanter Ausweg

Grenzüberschreitend und (auch ungewollt) provokant sind Maurizio Cattelans Arbeiten zweifellos. Allerdings eben auch und vor allem -- lustig. Kein ätzender Zynismus, der einem in zeitgenössischer Kommentarkunst manchmal unangenehm aufstößt, eher feiner Spott bis hin zu ziemlich ausgewachsenen Albernheiten. Man muss sich nur vor Augen halten, was dieser Wahl-New Yorker aus dem italienischen Padua so alles macht: Als Einbrecher in seine eigene Ausstellung eindringen, Pferde durch Galeriewände stürmen lassen, eine Fotozeitschrift mit dem Titel, klar, "Toiletpaper" herausbringen. Die Gepflogenheiten des Kunstbetriebs mit seinen Erwartungen und Zahlen, der Pflicht zur Produktion und Präsentation konterkariert der 53-jährige gern aufs Äußerste -- und ist damit natürlich erst recht erfolgreich. Seine erste Ausstellung ließ der Künstler komplett leer, nur ein Schild „Be back soon" baumelte an der Tür. Auf der Biennale in Venedig bekommen die Besucher statt eines echten Cattelans bloß eine Werbeagentur zu sehen.

Wenn er in Interview überhaupt persönlich auftaucht, dann erklärt er gern, dass seine Werke Auftragsarbeiten sind, die andere für ihn ausführen -- vielleicht notwendig, um dem enormen Spieltrieb überhaupt gerecht werden zu können. Ideen haben, umsetzen lassen, während man im Kopf bereits die nächsten drei Projekte parallel in Arbeit hat: Auch das ist Maurzio Cattelan. Insofern kommt der Ausstellungsbesucher dem New Yorker vielleicht selten so nah wie in der aktuellen Ausstellung "Unendlicher Spaß": 250 Latexmasken hängen dort an der Wand, allesamt dem Gesicht des Künstlers ähnlich -- aber eben nicht ganz. "Spermini", Spermien. 250 Mini-Me's des Künstlers, 250 Variationen, keine davon gleicht der anderen haargenau. Alle Gummimasken repräsentieren das Antlitz ihres Schöpfers mit seinen dunkelbraunen Haaren und der charakteristischen Nase auf je unterschiedliche Weise-- in wechselnden Schattierungen, mit kleinen Fehlern und Unebenheiten. Und obwohl sich die Gummimasken so sehr ähneln, lässt sich gar nicht genau sagen, wie sie überhaupt dreinschauen: Freundlich, schelmisch, unentschlossen, vielleicht sogar ein bisschen verärgert. Falls die Zuordnung noch beim einzelnen Exemplar gelingt, spätestens an der Gruppe muss sie scheitern. Ich, das sind viele -- und ebenso viele, die es, der Analogie der Spermien folgend, nicht geschafft haben. Der Künstler entzieht sich der Eindeutigkeit, indem er das Selbstporträt kurzer Hand um eine große Dimension erweitert: Humor als galanter Ausweg.