Der Raum „Auf der Bühne“ zeigt in der Ausstellung „Edvard Munch. Der moderne Blick“ welchen Einfluss das zeitgenössische Theater auf die Arbeit des großen Malers hatte.

Euphorische Jubelrufe und lautes Klatschen hallen durch den intimen Theatersaal. Frauen in langen Kleidern und Männer mit Fräcken und Monokeln stehen auf und lassen ihrer Begeisterung freien Lauf. Auf der kleinen Bühne verbeugt sich das Ensemble zwischen den von Edvard Munch in stimmungsvolle Töne getauchten Wänden. Imposant flackern die Schatten darauf. Intendant Max Reinhardt strahlt. Er gehört zu den Visionären der Moderne und zu den ersten, die einen bildenden Künstler für ihr Theater engagieren. Heute Abend – wir schreiben den 8. November 1906 – haben die Kammerspiele am Deutschen Theater in Berlin mit Henrik Ibsens „Gespenster“ eröffnet. Der gefeierte norwegische Dramatiker, in dessen Stücken auch Munch viele Themen und Motive findet, ist gerade verstorben.

Kein Graben trennt das Geschehen vom Publikum

Der modern gestaltete Raum, in dem jetzt alle jubeln, ist ungewöhnlich klein und wirkt so gar nicht wie die übrigen Theater. Eher wie ein Zimmer. Das ist ganz neu, denn sonst fasst ein Theatersaal mindestens doppelt so viele Zuschauer. Eben saßen die Zuschauer noch ganz dicht vor den Schauspielern. Kein Graben trennt das Geschehen vom Publikum. Während der Aufführung war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. „Man atmete die Luft der Verzweifelung“ und „fühlte die brennende Angst“ wird morgen die Berliner Börsen-Zeitung schreiben. Reinhardt hat das clever geplant. Er will das Publikum emotional viel stärker involvieren. So, wie es auch der Film schafft – Reinhardt ist von diesem neuen Medium begeistert, und später wird er selber Filme machen.

Überall in der Stadt waren Anzeigen für die Premiere verteilt, darauf stand: „Nach den Entwürfen von Edvard Munch.“ Das hat den Maler nervös gemacht, schließlich hat er noch nie eine Bühnendekoration entworfen. Er war für die Proben angereist und hatte Stimmungsskizzen gezeichnet – darum hatte Reinhardt ihn gebeten. Munch ist als der „Stimmungsmaler“ aus Norwegen bekannt, spätestens seit seiner Skandalausstellung in Berlin im Jahr 1892. Eine „gewaltige Stimmung“ liege über den skizzierten Figuren, findet Munchs Freund Ludvig Ravensberg. Er hatte ihn zu den Proben begleitet und gesehen, wie die Schauspieler die Skizzen intensiv studierten, um sich in ihre Rolle einzufühlen.

Auf die Empathie kommt es an!

Jetzt entflieht Munch dem Premieren-Trubel in die kühle Berliner Nacht, vielleicht zieht es ihn in sein Stammlokal, das „Schwarze Ferkel“. An der Ecke Unter den Linden/Neue Wilhelmstraße trifft sich die Bohème, auch die norwegische, um über die moderne Kunst und die politischen Verhältnisse zu diskutieren. Der schwedische Dramatiker August Strindberg ist oft hier, erst er hat das Lokal „Zum Schwarzen Ferkel“ getauft. Er argumentiert wie Reinhardt mit Nachdruck für das intime Theater, das sei genau das richtige Ambiente für seine psychologischen Dramen. Auf die Empathie kommt es an! Das subjektive Empfinden ist entscheidend!

Ganz Munchs Meinung: Für das Theaterhafte hat er Feuer gefangen. Die Figuren stehen auf seinen Leinwänden wie auf einer Bühne, mal stolz, mal gebeugt, oft direkt zum Betrachter gedreht, als säße dieser vor ihnen in einem Theatersessel. Als Munch schließlich von Reinhardt um Bühnenskizzen und einen Fries für die Kammerspiele gebeten wird, ist das der Startschuss für eine wahre Bilderflut. Munch ist fasziniert von den stimmungsvoll eingesetzten Farb- und Lichteffekten auf der Theaterbühne. Im Sommer des Jahres 1907 entsteht der Zyklus „Das grüne Zimmer“ mit Bildtiteln wie „Hass“, „Eifersucht“ oder „Begierde“. In einem grün tapezierten Zimmer zwängt Munch seine Figuren eng zusammen, arbeitet mit Untersichten und stilisiert Requisiten, wie den wuchtigen Tisch in „Begierde“, zu dramatischen Akteuren. In diesem Sommer übersetzt Munch auf seinen Leinwänden, was er in Reinhardts intimen Theaterraum gefühlt hat: die inszenierte Nähe.

Wie eine Szene aus den Kammerspielen, betrachtet aus der ersten Reihe

Kräfteraubend ist diese Zeit in Berlin, zu der Munch sich nur schwer hatte durchringen können. Im März 1907 liefert er nach dem Triumph der „Gespenster“ noch einmal Bühnenentwürfe für eine Ibsen-Produktion, die aber nicht an den Erfolg anknüpfen kann. Der ständige Termindruck macht ihm zu schaffen, die schwierigen Preisverhandlungen trüben sein sensibles Gemüt. Im „Schwarzen Ferkel“ betäubt er seinen Frust mit Alkohol. Ende des Jahres 1907 ist der Fries endlich vollendet. Und Munchs Zusammenarbeit mit den Kammerspielen auch. Die Ästhetik des intimen Theaters aber wird seine Kunst noch viele Jahre begleiten. Ganz deutlich wird sie sich in seinen 1915 entstandenen Varianten des „Todeskampf“ manifestieren, in dem sich Munch einmal mehr mit dem Tod seiner Schwester Sophie auseinandersetzt: Die betende Familie steht um das schmale Bett herum, Licht strahlt sie von unten an, die Gesichter wirken dämonisch, die Figuren werfen große dunkle Schatten an die rotgrüngelb getupften Wände des kleinen Zimmers. Es mutet an wie eine Szene in den Kammerspielen, betrachtet aus der ersten Reihe.