Autodidakt und Einzelgänger: Die Bilder von Uwe Lausen sprechen von einer Zeit des kollektiven Schweigens, in der zwar Demokratie gepredigt wurde, aber gesellschaftliche Zwänge, Verbote und Tabus vorherrschten.

Ein Mann mittleren Alters sitzt entspannt mit verschränkten Armen auf einem bequemen Sessel. Sein Körper ist nach vorne gerutscht und unter den halbgeöffneten Lidern zeichnet sich ein Lächeln ab. Unter die Vaterfigur ist in Op-Art-Manier mit breiten Linien ein Teppich gemalt. Im Hintergrund über einer Leiste eine Reihe überdimensionierter Köpfe. Junge Männer mit halblangen Haaren und Pony, die in ein Mikrophon singen. Die Köpfe sind nicht ganz deutlich und teilweise deformiert wiedergegeben. Vorne der Vater und im Hintergrund The Who in doppelter Ausführung?

Das ganz in schwarz-weiß gehaltene Bild stammt von Uwe Lausen, der 1941 als Sohn des späteren sozialdemokratischen Abgeordneten Willy Lausen in Stuttgart geboren wurde. Lausen erhielt in frühen Jahren klassischen Geigenunterricht und wuchs in einem liberal-antifaschistisch eingestellten Umfeld auf. 1960 brach er sein Philosophiestudium in Tübingen ab und ging nach München, wo er sich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät einschrieb und dann doch den Weg des Künstlers einschlug. Gegen die von der Vätergeneration gefeierte Abstraktion übte sich der Autodidakt in figurativer Malerei. Erst wurde er Mitglied der Münchner Künstlergruppe SPUR, für deren Zeitschrift er den „Brief eines Zurückgebliebenen" schrieb. Lausen wurde wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften, Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt. Die Hilfe des Vaters -- ein Anwalt und ein Gutachten durch den Rektor der Stuttgarter Kunstakademie -- lehnte Lausen ab. Lieber ins Gefängnis gehen!

1961, ein Jahr vor den Schwabinger Krawallen, der das Ende der Adenauer-Ära einleiten sollte, wurde Lausen Mitglied der Situationistischen Internationale, die von der Kulturrevolution träumte. Als Lausen 1965 ein Happening organisierte wurde er ausgeschlossen, da diese (neuartige) Kunstform der linksradikalen Gruppe viel zu reaktionär war. Es folgt eine Phase in der Lausen, stilistisch der Pop-Art nahe, sich mit der von ihm als erdrückend empfundenen Gesellschaft des Wirtschaftswunderlands auseinandersetzt.

Die Vaterfigur ist in vielen seiner Gemälde vorhanden. So auch in „Raumfleisch" von 1967: eine surrealistisch-psychedelische Wohnzimmerlandschaft mit einem leeren Stuhl, einem sich in Auflösung befindlichen Anzug, einer roten Hornbrille, drei Bilderrahmen, zwei Wasserwolken und einem blauen Rohr. Vorne ein Gespenst mit Hut und Krawatte, den Attributen des Spießbürgertums. Fast durchgehend verzichtet Lausen auf Modellierung und Übergänge und setzt helle und dunkle Partien scharfkantig nebeneinander. Eine Technik, die HP Zimmer als „Polarisation" und als „Basis der Pop-Art" bezeichnete.

Lausen malt pop-artig, verweigert sich aber dem affirmativen, positiven Charakter der anglo-amerikanischen Pop-Art. Er zeigt ein klaustrophobisch wirkendes bürgerliches Wohnzimmer aus dem es kein Entrinnen gibt. Der Künstler variiert das Motiv Wohnzimmer in allen Varianten. Trotz Blümchentapete und Ohrensessel ist es ein Ort der Ungemütlichkeit und der Gewalt.

1967, im Jahr als Benno Ohnesorg in Berlin vor der Deutschen Oper von einem Polizisten erschossen wird, lässt Lausen einen Ordnungshüter mit psychedelisch sich vergrößernder blauer Farbe über den Kopf eines Generals schießen. Der General weint wie weltvergessen. Lausen zeigt ihn wie erdrückt zwischen einer rot-blauen Karo-Tischdecke und einer Kartoffel. Die Autoritätsfigur ist selbst Opfer des Patriarchats geworden, das bürgerliche Leben ist eine Last.

Lausen ist hin- und hergerissen zwischen behaglicher Bürgerlichkeit und revolutionärem Befreiungsschlag. 1962 heiratet er die zwei Jahre ältere Fotografin Uta Stolz, mit der er zwei Töchter hat. Sie ziehen südlich von München auf einen Bauernhof. Doch weder seine Familie noch die idyllische Landschaft scheinen ihm Halt zu geben. 1968 kehren die Lausens zurück in die Stadt. Lausen konsumiert zunehmend Drogen, hört das Malen auf und widmet sich der Improvisations-Musik. Nach mehreren Trennungen verlässt Uta ihren Mann 1969 endgültig. Uwe Lausen ist ohne festen Wohnsitz, verliert jeden Halt, konsumiert LSD und Ketamin und nimmt sich schließlich mit 29 Jahren, am 14. September 1970, im elterlichen Haus das Leben. Er hatte es angekündigt: „wer end-gültiges will, soll sich umbringen".