Die SCHIRN macht mit dem Projekt „Playing the City 2“ erneut die Frankfurter Innenstadt zum Schauplatz zahlreicher Performances. Rund 20 Aktionen beschäftigen sich ganz individuell mit dem „participatory turn“ in der zeitgenössischen Kunst.

„Playing the City 2“ stellt nach dem vorjährigen Erfolg des Projekts erneut eine große Bandbreite künstlerischer Aktivitäten im öffentlichen Raum vor, die auf unterschiedlichste Weise die Stadt und ihre Bewohner involvieren. Vom 8. bis 26. September 2010 finden täglich neue Aktionen in der Frankfurter Innenstadt statt, die von Performances über Installationen bis zu „Guerillaaktionen“ reichen.

Im Zentrum des Ausstellungsprojekts steht die kontrovers geführte Diskussion über den öffentlichen Raum und den „participatory turn“ innerhalb der zeitgenössischen Kunst. „Playing the City 2“ vereint rund 20, teils eigens für das Projekt konzipierte kollaborative und partizipatorische Arbeiten von Nina Beier, Clarina Bezzola, Julien Bismuth, Clegg & Guttmann, Cosalux, Christoph Faulhaber, For Use / Numen, Swetlana Gerner, Jördis Hille, Christoph von Löw, Josef Loretan, Jan Lotter, Annika Lundgren, Lee Mingwei, Ivan Moudov, Anny und Sibel Öztürk, Paola Pivi, Plural Art Collective feat. Junge Deutsche Philharmonie, Reactor, Annika Ström, Leonid Tishkov, Gavin Turk sowie Vanja Vukovic.

Parallel dazu ist in den Ausstellungsräumen der SCHIRN ein Projektbüro als „Zentrale“ eingerichtet, in dem das Projektteam öffentlich seiner Arbeit nachgeht, die Website bespielt, Fragen zur Ausstellung beantwortet sowie sämtliche Aktionen organisiert und dokumentiert.

WAS VERSTEHT MAN UNTER ÖFFENTLICHEM RAUM?

Auch über das Internet als digitale Erweiterung des öffentlichen Raums lässt sich „Playing the City 2“ verfolgen: Die für das Projekt entwickelte Website www.playingthecity.de versammelt aktuelle Videos, Text- und Bildmaterial, Ausstellungskalender und Weblog und wird durch die Einbindung in zahlreiche Social Media Networks über den Ort des Geschehens hinaus vernetzt. Sie ist damit Katalog, Ausstellungsforum und Diskussionsplattform in einem.

„Playing the City 2“ erschließt den öffentlicen Raum als einen kollektiven, freien und gestaltbaren Raum, stellt Fragen nach seinen Grenzen und nach der Einbezogenheit seiner Bewohner. Die ortsspezifischen Aktionen bewegen sich in einem zeitlich limitierten Rahmen, in dem sie hergestellt und erfahren werden können; Produktion und Rezeption sind eng miteinander verbunden oder nahezu identisch. Die Arbeiten negieren sowohl den traditionellen Begriff des Werks als auch den der Autorschaft, die beide seit den 1960er-Jahren nicht zuletzt durch die Aktionskunst zur Disposition gestellt werden.

Viele der für „Playing the City 2“ entworfenen Arbeiten – ob Aktionen, die eine zufällige Konfrontation auf der Straße herbeiführen, oder Skulpturen, die zur Verwendung einladen – können erst durch die Beteiligung der Öffentlichkeit realisiert werden. Mindestens aber sind sie darauf ausgerichtet, eine Konfrontation und ein Gespräch mit dem – teils zufälligen – Publikum herzustellen und den öffentlichen Raum in ein Spielfeld mit gemeinschaftlich erprobten Regeln zu verwandeln.

Ist der öffentliche Raum tatsächlich als Ort unterschiedlicher Meinungen und Stimmen wahrnehmbar? Woraus besteht die öffentliche Meinung? Was versteht man unter öffentlichem Raum? Das sind einige der Fragen, die das Projekt „Playing the City 2“ aufwirft.

BEGEHBARES NETZ AUS KLEBEBAND IN DER ROTUNDE

Die Zentrale von „Playing the City 2“ in der SCHIRN

Die Idee, die das Ausstellungsprojekt „Playing the City 2“ auf unterschiedlichen Ebenen umsetzt, denkt wichtige Avantgarden des 20. Jahrhunderts weiter. Schon Dada hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner Ablehnung „konventioneller“ Kunst bzw. Kunstformen und bürgerlicher Ideale auf die Straße begeben.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Situationismus um Guy Debord, der über 50 Jahre später noch starken Einfluss auf die aktuelle Kunstszene, besonders jene der sogenannten „Public Art“, ausübt und Theoretiker wie etwa Michel de Certeau angeregt hat, den Raum als ein Handlungsfeld („practiced place“) und seine Bedeutung als die der Aktivitäten darin zu verstehen.

Ähnlich argumentiert der Urbanismusforscher Armando Silva, der die Stadt in eine architektonische Tatsache und in eine aus menschlichen Interaktionen bestehende Darstellung differenziert. Für Künstlerinnen und Künstler der sogenannten Relationalen Ästhetik sind Verfahren wie Intersubjektivität und Interaktion sowohl Ausgangs- als auch Endpunkt ihrer künstlerischen Arbeit.

Das utopische Potenzial derart errichteter Kunsträume liegt, nach Nicolas Bourriaud, darin, alternative Formen von Sozialität, Kritik und Fröhlichkeit anbieten zu können. Sie alle haben sich von dem transformatorischen Potenzial großer Erzählungen abgewendet und sehen stattdessen in der Begegnung mit Menschen die Chance auf Veränderung.

„Playing the City 2“ gibt einen aktuellen Einblick in die breit gefächerten Spielarten partizipatorisch-kollaborativer Kunst: Mit einer groß angelegten Installation bespielt das österreichisch-kroatische Designkollektiv For Use / Numen die Architektur der SCHIRN mit einem begehbaren Kokon aus durchsichtigem Klebeband. Sowohl erfahr- als auch begehbar, wird die Installation schnell zu einem festen Bestandteil des öffentlichen Lebensraums und kann von seinen Bewohnern als solcher genutzt werden.

DISKUSSIONSPLATTFORM MIT VERHALTENSREGELN

Das Künstlerduo Michael Clegg & Martin Guttmann befragt mit der Installation „Open Debate Station, Frankfurt“ die Funktion und Struktur öffentlich geführter Debatten. Dazu wird eine Diskussionsplattform entworfen, die mittels fest installierter Möbel und festgeschriebener Verhaltensregeln die Folie für einen öffentlichen, vor allem aber strukturierten und fairen Meinungsaustausch bilden soll. Die beiden Künstler beziehen sich mit dieser Arbeit sowohl auf die Tradition der Auslegung des Talmuds als auch auf die Geschichte der Frankfurter Schule.

Clegg & Guttmann, „Open Debate Station“, Frankfurt, 2010

Die italienische Künstlerin Paola Pivi wird im Rahmen ihres Beitrags im öffentlichen Nahverkehr der Stadt Frankfurt überraschende Situationen initiieren: Während der Rushhour wird zunächst ein einzelner Akteur mit einem Lied beginnen, in das nach und nach – für die übrigen Fahrgäste wie zufällig erscheinend – weitere Musiker mit Gesang oder Instrumenten einstimmen und die alltägliche Situation einer stummen Fahrt in Bus oder Bahn aufbrechen.

Auch die übrigen Aktionen bedienen sich unterschiedlicher Mittel und Medien, um einerseits im Stadtraum zu intervenieren (u. a. Nina Beier, Vanja Vukovic oder Julien Bismuth), gesellschaftliche Strukturen und Prozesse zur Disposition zu stellen (u. a. Ivan Moudov) oder Kooperations- und Interaktionsformen zwischen den Künstlern und der Bevölkerung in Frankfurt herzustellen (u. a. Clarina Bezzola, Lee Mingwei, Leonid Tishkov oder Reactor).

Wesentliches Merkmal der Aktionen und Aktivitäten ist ihre zeitliche Begrenztheit: Nach Ablauf des Ausstellungsprojekts werden die einzelnen künstlerischen Arbeiten auf der Website fotografisch und filmisch dokumentiert, während sich die Spuren im öffentlichen Raum nach und nach verlieren.
MU/PD/DA

Kontext zu Paola Pivi: Weine nicht, wenn der Regen fällt
Website: www.playingthecity.de
Alle Videos zu den Kunstaktionen auf Youtube

Film zur Performance von Clarina Bezzola