Mit ihren Instructions und Event Scores war Yoko Ono eine Pionierin der Konzeptkunst, in dem Buch „Grapefruit“ hat sie diese Arbeiten versammelt. „Grapefruit“ zeigt aber auch, wie virtuos Ono mit Sprache umgehen kann.

George Maciunas, der große Zampano der Fluxus-Bewegung, hatte sich übernommen, nicht nur finanziell. Die Projekte, mit denen er Fluxus bekannter machen wollte, wurden immer zahlreicher und unübersichtlicher, seine Kasse immer leerer. Und so wäre die Idee, die Instructions und Event Scores der Künstlerin Yoko Ono zusammenzufassen, beinahe untergegangen. Doch Ono, die New York 1962 für einige Jahre wieder in Richtung Tokio verlassen hatte, nahm das Ruder selbst in die Hand. Zum Glück, denn sonst hätte es „Grapefruit" wohl nie gegeben.

500 Exemplare des Buches ließ die Künstlerin drucken, Wunternaum Press hatte sie ihren Verlag getauft. Den Titel wählte Ono, weil sie die Grapefruit als Hybrid, als Mischung zwischen Orange und Zitrone begriff. Sie selbst empfand sich genauso als Hybrid -- zwischen Japan und Amerika stehend, zwischen Ost und West, zwischen bildender Kunst, Musik und Performance. Das Buch präsentierte sich in einem quadratischen Schuber. Ganz klein, am Rand, stand der Titel darauf. Wer „Grapefruit" schon vor der Veröffentlichung gekauft hatte, zahlte nur drei Dollar, nach dem Erscheinen stieg der Preis auf sechs Dollar. Heute ist die Erstauflage längst ein Sammlerstück und Kultobjekt.

Die Fantasie ist wichtiger als ein tatsächliches Ergebnis

Die in dem Buch versammelten Event Scores und Instructions sind Handlungsanweisungen, Ideenskizzen für Performances, die im Grunde jeder, der diese Anweisungen liest, durchführen könnte. Entstanden ist diese Kunstform im Umfeld des experimentellen Komponisten John Cage, der in den späten 1950er-Jahren an der New School of Social Research unterrichtete und eine Gruppe von späteren Fluxus-Künstlern und Avantgarde-Komponisten um sich versammelte. Ichiyanagi Toshi, Onos damaliger Ehemann, gehörte zu diesem Kreis. Die Idee der Event Scores: Ein Kunstwerk, eine Aktion, ein Musikstück entsteht im Kopf, entsteht dadurch, dass man die Idee zu Papier bringt -- und nicht so sehr durch eine tatsächliche Aufführung. Das Wichtigste ist die Imagination, die Fantasie.

Eine von Yoko Onos Instructions, geschrieben 1960, heißt zum Beispiel „Painting to be stepped on". „Leave a piece of canvas or finished painting on the floor or in the street", schlägt sie darin vor. Im Kopf des Lesers entsteht ein Bild dieser Performance, bei der ein Gemälde den Fußtritten der Passanten preisgegeben werden soll. Bedeutend bei diesem Werk ist der Gedanke, das Konzept. Ob jemand die Handlungsanweisung wirklich ausführt, spielt dagegen eigentlich keine Rolle. Denn auch wenn die Aktion virtuell bleibt, verliert sie nichts an ihrer Aussagekraft. Anweisungen wie diese zeigen, dass Yoko Ono eine Pionierin der Konzeptkunst war, eine Geistesverwandte von Künstlern wie Sol LeWitt, Hans Haake, Gordon Matta-Clark oder dem Kollektiv Art & Language.

Onos Instructions überzeugen auch als Literatur

Doch „Grapefruit" geht noch einen Schritt weiter. Indem es die unterschiedlichen Handlungsanweisungen zwischen zwei Buchdeckeln bündelt, macht es sie zu Literatur. Liest man „Grapefruit" am Stück, dann entdeckt man schnell die poetische Kraft und die sprachliche Präzision der kurzen Texte. Etwa das „City Piece": „Walk over the city with an empty baby carriage", heißt es da. Knapper und eindringlicher kann man die Einsamkeit von Menschen in einer Metropole kaum beschreiben. Andere Instructions haben etwas Komisches und Absurdes wie das „Tuna Sandwich Piece": „Imagine one thousand suns in the sky at the same time. Let them shine for one hour. Then, let them gradually melt into the sky. Make one tuna sandwich and eat."

In den Instructions zeigt sich einmal mehr, dass Yoko Ono sich nie auf ein Thema, ein Genre oder einen Stil festlegen wollte. Ihre Handlungsanweisungen bewegen sich zwischen Lyrik, Konzept- und Performancekunst, einige Kritiker erkennen in den knapp gehaltenen Texten auch noch eine Auseinandersetzung mit dem japanischen Haiku. Verschiedene Medien miteinander zu kombinieren und dabei Grenzen zu überwinden, das gelingt Ono immer wieder neu. Man könnte auch sagen: Sie ist bis heute eine Grapefruit geblieben.

„Grapefruit" ist übrigens auch, zumindest ein bisschen, ein Frankfurter Werk. Die zweite, erweiterte Auflage des Buchs (für die John Lennon ein sehr kurzes, sehr kryptisches Vorwort schrieb) war es, die „Grapefruit" schließlich weltweit bekannt machte. Erschienen ist sie parallel in drei Verlagen: bei Simon & Schuster in New York, bei Peter Owen Ltd in London und beim kleinen Frankfurter Verlag Bärmeier und Nikel.