Pop Art in deutschen Städten, Teil 1: Düsseldorf konnte gar nicht anders, als eine Avantgarde gebären.

Kunstgeschichte wird in Kneipen geschrieben. Vor allem dann, wenn die Kneipen in einer Stadt mit einer berühmten Kunstakademie liegen. Und wenn dort Leute zugegen sind wie Joseph Beuys, Gerhard Richter oder Sigmar Polke. Und aufgeweckte Kunstkritiker wie Yvonne Friedrichs von der Rheinischen Post oder Galeristen wie Alfred Schmela. Schreibt man dann auch noch die frühen Sechziger Jahre in Westdeutschland, dann bringt das Wirtschaftswunder Geld, das in Kunst investiert werden kann. Düsseldorf konnte gar nicht anders, als eine Avantgarde gebären.

Kunstgeschichte wird in Düsseldorf nicht nur in Kneipen geschrieben, sondern zum Beispiel auch in Möbelhäusern und Metzgereien. Die Avantgarde ist zu radikal, als dass sie in etablierten Ausstellungsinstitutionen gezeigt werden könnte. 1963 richten Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner die Schau „Grafik und Malerei Sonderausstellung" in einem angemieteten Ladenlokal in der Düsseldorfer Kaiserstraße aus. Sie haben sich beim Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie kennengelernt. Richter kündigt in einem Brief an die Presse an, dass in der Ausstellung erstmals Kunst aus Deutschland zu sehen sei, für die Begriffe wie „Pop Art", „Imperialistischer oder Kapitalistischer Realismus" oder „German Pop" kennzeichnend seien. Es ist schon ein verrücktes Jahr: Joseph Beuys, George Maciunas und Nam June Paik feiern in Düsseldorf auch ihr Fluxus-Festival.

Richter und Co bedienen sich wie ihre Kollegen in Großbritannien oder den USA aus der schillernden Welt der Massenmedien. Sie adaptieren Fotografien aus Magazinen und Zeitungen, eignen sich Banales wie Werbeanzeigen an, führen das deutsche Bürgertum und die Kulissen des neuen Wohlstands vor, hinter die Erinnerungen an die Ereignisse der jüngeren Geschichte gefegt werden. Da putzt bei Polke ein in Bildpunkte aufgerasterter Junge mit starrem Lächeln seine Zähne. Da amüsieren sich bei Richter „unscharfe" mondäne junge Leute im Motorboot. Konrad Klapheck porträtiert Geräte wie Schreibmaschinen oder Nähmaschinen und Objekte wie Stiefel oder Autoreifen. Seine Kontakte nach New York sind gut, er hat dort schon 1960 beim Pop-Galeristen Leo Castelli ausgestellt, der Künstler wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg unterstützt. German Pop macht die Runde.

Später im Jahr 1963 verwandeln Richter und Lueg das mehrstöckige Möbelhaus Berges in ein Pop-Environment mit dem Titel „Leben mit Pop -- eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus". Die Aktion wird mitten in der Möbelausstellung durchgeführt. Sie hängen Rehbockgeweihe an die Wände, stellen lebensgroße Pappmachéfiguren von John F. Kennedy und Alfred Schmela auf. Auf einem Podest präsentieren sie einen mit frisch gebrühtem Kaffee, Marmorkuchen, Korn und Bier gedeckten Tisch. Sie sitzen selbst daneben in Anzug und Krawatte, auf einem Sofa und einem Sessel, ebenfalls erhöht auf Podesten. Im Fernsehen läuft ein Bericht über die Adenauer-Ära. Irgendwo liegen eine Biografie von Winston Churchill und eine Ausgabe der Zeitschrift „Schöner Wohnen". Tanzmusik und Rezitationen aus Möbelkatalogen schallen aus Lautsprechern. Später führen Richter und Lueg durch die Möbelausstellung, in der Küchenabteilung trinkt man noch Bier.

Und dann kommt doch noch eine Kneipe, eine Kultkneipe. 1967 eröffnen Bim und Achim Reinert das „Creamcheese". Hier treffen sich Künstler und Krautrocker, hier spielen Bands wie Kraftwerk oder Can. In einem Beitrag des WDR erinnert sich ein ehemaliger Stammgast von damals: „Hier stand der Achim Reinert mit seiner Geldbox und hat erstmal fünf Mark kassiert. (...) Da vorne stand der Kunstnagel. Hier rechts die Fernsehwand und hinten war die Disco, da ging dann die Post ab". Den „Kunstnagel" -- einen Nagel hinter einem Drahtgitter -- steuert natürlich Zero-Künstler Günther Uecker bei, der mit seinen Kollegen Heinz Mack und Otto Piene ebenfalls in Düsseldorf wirkt und den Nagel zum Markenzeichen seiner Kunst etabliert. Gemeinsam mit Filmemacher Lutz Mommartz und Künstler Ferdinand Kriwet gestaltet Uecker das Innere der Kneipe. Dia- und Filmprojektoren hängen über dem DJ-Pult und bespielen den Raum mit Bildern und Farben. Auf besagter Fernsehwand, einer Installation mit rund 20 klobigen Fernsehgeräten, laufen Live-Bilder der Tanzenden, die mit einer über der Tanzfläche angebrachten Kamera aufgenommen werden. Hier amüsiert sich Zero, Fluxus, Pop. Und Düsseldorf wird als „Paris am Rhein" gehandelt.