Ab 14. Juni 2013 zeigt eine umfangreiche Ausstellung in der SCHIRN Kunsthalle, wie sich Glam zu einem weltweiten Phänomen entwickelte und dabei maßgeblichen Einfluss auf nahezu alle kulturellen Bereiche genommen hat.

Die Glam-Ästhetik der frühen 1970er-Jahre hatte als visuell überbordende Ausdrucksform einen weit über die Kunstszene hinausreichenden stilprägenden Einfluss. Glam bezeichnet den extravaganten Stil, den Musiker wie David Bowie und Marc Bolan im Großbritannien der frühen 1970er-Jahre populär machten und der mit seiner respektlosen Verbindung von Hoch- und Subkultur sowie der Infragestellung gesellschaftlich tradierter Begriffe wie Identität und Geschlecht zum weltweiten Phänomen wurde.

Andy Warhol und Richard Hamilton

Der Zeitraum zwischen 1970 bis 1975 stellt einen der seltenen Momente in der Geschichte dar, in dem ein Stil in alle Bereiche der Kultur vordrang, ob in Mode, Kunst, Film, Fotografie oder in die Popmusik. Ausgehend von der visuellen Ikonografie, die Andy Warhol 1962 mit Gründung der Factory und dem Konzept der Superstars vorgegeben hatte, fand Glam als exzentrische Bündelung künstlerischer Strategien seinen Ausgangspunkt Ende der 1960er-Jahre an den britischen Kunsthochschulen. Der Pop-Art-Künstler Richard Hamilton war als Dozent an der Newcastle University mit seiner Lehre, dass es keine Hierarchie von Hoch- und Massenkultur gibt, maßgeblich an der Entwicklung dieser neuen Ästhetik beteiligt.

Die kongeniale Verschmelzung von Pop und bildender Kunst fand ihre konsequente Umsetzung in der Band Roxy Music, die die beiden Kunsthochschulabsolventen Bryan Ferry und Brian Eno 1971 gemeinsam gründen sollten: Von der Musik über die Covergestaltung bis hin zur Bühnengarderobe war das grelle Gesamtkunstwerk Roxy Music von kühl-präzisem Design, mondäner Erotik und einer ästhetischen Sensibilität aufgeladen, die Oberflächen, Codes und Zeichen aus der jüngeren wie fernen Vergangenheit erstmals als Stile verstand, die nun angewandt, frei gesampelt und neu abgemischt werden konnten -- Glam war geboren, und Roxy Music wurde zum weltweit erfolgreichen Pop-Phänomen.

David Bowie alias Ziggy Stardust

Ob Stylisten, Visagisten, Modedesigner wie Antony Price, Models wie Gala und Amanda Lear oder Künstler wie David Hockney, Derek Jarman, Peter Phillips, Duggie Fields und Andrew Logan -- sie alle prägten gemeinsam den neuen, eklektischen, gänzlich postmodernen Stil. Gerade Logan initiierte mit dem erstmals 1972 in seinem Atelier stattfindenden „Alternative Miss World"-Wettbewerb -- einer Mischung aus Happening, Gay-Pride-Demonstration und Freakshow -- ein Schlüsselereignis der britischen Glam-Bewegung: Die exzessive Feier der Dekadenz und sexuellen Subversion verbeugte sich mit ihrem schamlos zur Schau gestellten Narzissmus und Exhibitionismus nicht nur vor Warhols Devise, dass es jedem erlaubt sei, ein Superstar zu sein, sie etablierte auch den daraus resultierenden performativen Aspekt. Dieser sollte sich in Bühnenproduktionen wie The Rocky Horror Show oder Andy Warhol's Pork (beide 1973) niederschlagen und als Strategie eines inszenierten Lebensstils weite Kreise ziehen.

Jeder Gang vor die Tür war fortan ein Auftritt, bei dem man wild und fantastisch aussehen wollte: Ob mit Plateauschuhen, Federboa, paillettenbesetzter Tigerprintjacke, Glitzerkostüm, Lidschatten oder eng geschnittenen Lederhosen -- Stil wurde zur Pose, zum Ausdruck dramatischer Überinszenierung. Illusion und Ironie ersetzen auch in der Popmusik den Anspruch auf Authentizität. Der ehemalige Hippie Marc Bolan trug beim Auftritt seiner Band T.Rex 1971 in der TV-Sendung „Top of the Pops" Glitzer auf den Wangen und markiert damit den Durchbruch des Glam als Massenphänomen. Am geschicktesten borgte sich dagegen der einstige Folksänger David Bowie die diversen Elemente des Glam und bündelte sie 1972 in der Rolle des androgynen Ziggy Stardust. Mit der permanenten Neuerfindung fiktiver Persönlichkeiten trieb Bowie den performativen Aspekt des Glam auf die Spitze und steht bis heute stilbildend für diese Ära.

Cindy Sherman und Katharina Sieverding

Der Einfluss dieser Stilrevolte auf die zeitgenössische Kunstproduktion war ebenfalls mannigfaltig und wird in der Ausstellung in neun Kapiteln präsentiert: Den performativen Aspekten des Glam, insbesondere Vorstellungen eines manierierten Dandytums, wird mit Arbeiten von Gilbert & George, Bruce McLean sowie der performativen Glam-Installation Celebration? Realife (1972) von Marc Camille Chaimowicz Rechnung getragen. Die Glam-Kultur der New Yorker Undergroundszene thematisieren Werke von Jack Smith, Peter Hujar sowie Andy Warhol. Künstlichkeit und Erotizismus spielen dagegen in den fetischisierten Skulpturen des britischen Pop-Art-Künstlers Allen Jones eine ebenso tragende Rolle wie bei dem französische Modefotografen Guy Bourdin.

Cindy Sherman arbeitet dagegen seit den 1970er-Jahren mit den Mitteln der Maskerade beständig an der Transformation ihres eigenen Bildes und thematisiert dadurch das zeitgenössische Verständnis von Identitätsbildung. Dem Wandel im Verhältnis von Geschlecht und Identität widmen sich Katharina Sieverdings Projektion Transformer (1973‒1974) und Ulays Serie von Auto-Polaroids sowie die ebenfalls Transformer betitelte Fotoserie des Performancekünstlers Jürgen Klauke aus dem Jahr 1973. Glam bot auch Künstlerinnen wie Margaret Harrison und Hannah Wilke eine Plattform, angesichts der Pseudofemininität männlicher Glam-Stars ihre eigene Identität auszuloten, während sich in den in den 1970er-Jahren entstandenen Gemälden Sigmar Polkes, Ed Paschkes oder Evelyne Axells deutlich eine Fortführung von psychedelischen Wahrnehmungen der 1960er-Jahre erkennen lässt.

Die Ausstellung „Glam! The Performance of Style" wurde von der Tate Liverpool, in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt und dem Lentos Kunstmuseum Linz, organisiert.