Gerhard Richter, ein Star des Kunstbetriebs und einer der teuersten Künstler der Gegenwart, ist gleichzeitig ein auffallend ruhiger Zeitgenosse. In der Ausstellung "Paparazzi!" sind seine Arbeiten "Herr Heyde" und "Queen Elizabeth II" zu sehen.

Den Titel als teuerster lebender Künstler musste Gerhard Richter letztes Jahr an seinen amerikanischen Kollegen Jeff Koons abgeben. Dessen "Balloon Dog" wurde im November 2013 für 58,4 Millionen Dollar bei Christie's in New York versteigert. Erst ein paar Monate vorher hatte Richters "Domplatz, Mailand" bei Sotheby's für nur 37 Millionen Dollar den Besitzer gewechselt. Beide Künstler könnten unterschiedlicher nicht sein. Jeff Koons frönt immer wieder der Selbstinszenierung, Gerhard Richter ist diese so fern wie Köln von New York. Richter scheut die Öffentlichkeit, er ist und war eigentlich immer ruhig.

Zurückhaltend, bescheiden, trotzdem offen und humorvoll

Diesen Eindruck bekommt man auch in der Dokumentation "Gerhard Richter painting" (2011). Zu diesem Zweck hatte der Künstler der Filmemacherin Corinna Belz die Pforten zu seinem Atelier geöffnet und ließ sich beim Arbeiten filmen. Es entstand ein sehr persönlicher und -- wie könnte es anders sein -- ruhiger Film. Er kommt gänzlich ohne Musik aus. Was dem Zuschauer im Gedächtnis bleibt, ist das Knatschen, wenn die Farbe mit einem riesigen Rakel auf die Leinwand aufgetragen und verstrichen wird. Ansonsten Stille. Es gibt vermutlich auch keine Musik, die zu Richter passen würde. Der Künstler selbst kommentiert sein Arbeiten kaum: "Ich habe nichts zu sagen und sage es." Er bleibt zurückhaltend, bescheiden, aber trotzdem offen und humorvoll.

Richters Werke sind weder dokumentarisch noch fiktional. Sie sind im Stil hyperrealistisch oder aber abstrakt. Innerhalb der Technik, der Genres oder der Motive gibt es keine Hierarchien, Richter nimmt sie alle in Beschlag. Er experimentiert, hat sich über die Jahre als Fotograf, Zeichner und Bildhauer versucht. Aber nur der Malerei hält er die Treue. Richter ist überzeugt, dass „das Malen zu unseren Grundeigenschaften gehört, so wie Tanzen und Singen."

Gerhard Richter kopiert nicht, er verstärkt

Die Motive seiner Bilder findet der Künstler oft in Magazinen und Zeitungen. Über die Jahrzehnte ist so sein "Atlas", eine Motivsammlung von Fotos, Collagen und Skizzen entstanden, die weiterhin wächst. Richter sammelt alles, was ihm zum Wegwerfen zu schade ist. Viele der Fotos (Familienfotos und Fotos, die er selbst gemacht hat) arrangiert er seit den 1970er-Jahren auf Papier. Davon existieren derzeit über 800 Tafeln.

Sein Gemälde „Herr Heyde" von 1965 basiert auf einem Foto aus dem Magazin "Der Spiegel". Auf dem Bild sind zwei Männer zu sehen, der vordere schützt offensichtlich den hinteren. Von ihm können wir nur das Gesicht sehen.

Das Gesicht gehört Werner Heyde. Die Szene wurde aufgenommen, kurz nachdem sich Heyde 1959 den Behörden gestellt hatte. Er war eine der zentralen Figuren bei der Umsetzung des Euthanasieprogramms der Nazis in den späten 1930er-Jahren. Fünf Tage vor dem Prozessbeginn beging er Selbstmord. Richter kopiert das Bild nicht eins zu eins, er verstärkt die Effekte. Etwa den Schatten, der durch den ausgelösten Blitz auf die Wand hinter den Männern geworfen wird. Auch die Bewegung der Figuren wird übertrieben dargestellt, die Konturen sind verzerrt, man könnte meinen, die Männer rasen. Dies alles und die partielle Verdeckung des Hauptmotivs sind typisch für Paparazzi-Fotos. Elemente der Paparazzi-Ästhetik finden wir auch bei der Arbeit "Queen Elizabeth II.": Das Gemälde erinnert an eine Fotografie, die aus großer Distanz mit einem Teleobjektiv aufgenommen wurde. Die Umrisse des Kopfes und des Gesichts lösen sich im Hintergrund beinahe auf. Das Bild ist grob gerastert und unscharf, wie man es von stark vergrößerten Abbildungen aus Zeitungen kennt.

Richters Anspruch ist es, seine Bilder wie Fotografien aussehen zu lassen und doch verwischt er die feuchte Farbe und legt so eine Art Schleier über das eigentliche Motiv. Er verschleiert die Wahrheit des Bildes und möchte so den Blick des Betrachters schärfen. Denn dieser muss zweimal, dreimal hinschauen, um den Gegenstand des Bildes unter Umständen genau zu identifizieren. Das Medium der Fotografie gilt als eines der Objektivität. Auch wenn Richters Bilder Fotografien gleichen, die Objektivität wird ihnen durch das Verschleiern entzogen.

„Herr Heyde" und „Queen Elizabeth II" sind frühe Beispiele des unscharfen und verschwommenen Stils, der für Gerhard Richter typisch geworden ist und den er bis in die frühen 2000er-Jahre verfolgt und perfektioniert hat. Sowohl farbig als auch schwarz-weiß sind dabei nicht nur Porträts entstanden, sondern auch Landschaftsbilder, Stillleben oder sogar ein Historiengemälde: die „Verkündigung nach Tizian".