Mit seinen „Paseos“ wurde Francis Alÿs weltberühmt. In der SCHIRN flaniert jetzt ein gezeichnetes Alter Ego des Künstlers.

Mit Spaziergängen fing alles an. Eigentlich hatte der gebürtige Belgier Architektur studiert. Dann kam Francis Alÿs für ein Projekt nach Mexico City. Bei seinen Streifzügen verliebte er sich in die Stadt und blieb. In den frühen Neunzigern machte er dort seine ersten „Paseos", Aktionen, bei denen er durch den öffentlichen Raum spazierte. Mal zog er einen magnetischen Hund hinter sich her, an dem metallische Straßenabfälle kleben blieben. Mal schob er einen riesigen Eisblock durch die Straßen, bis nur noch ein paar Tropfen übrigblieben und auf dem heißen Asphalt verdampften. Sogar mit einer geladenen Waffe in der Hand traute er sich durch die als eine der gefährlichsten der Welt geltende Stadt und machte so auf massive Kriminalität aufmerksam. Nur zwölf Minuten dauerte dieser Spaziergang, dann überwältigte ihn die Polizei.

Stundenlang kann man Alÿs bei seinen Ausflügen beobachten. Auf seiner Webseite veröffentlicht er Videodokumentationen seiner Aktionen oder für die Kamera nachgestellte Versionen. Er implementiert pointierte Irritationen in alltägliche Umgebungen und begreift Kunst als Intervention, die vor allem außerhalb des Museums Wirkung entfaltet. Seine Arbeiten sind trotzdem längst weltweit in großen Ausstellungen zu sehen, oft zusammen mit Zeichnungen oder Fotografien. Die Londoner Tate Modern widmete ihm 2010 eine umfassende Retrospektive. Alÿs ist heute einer der gefragtesten Künstler der Gegenwart, auch wenn er den Rummel mit einem Augenzwinkern genießt: Zur Biennale in Venedig schickte er 2001 einen Pfau, der begleitet von einem Wachmann durch die Giardini stolzierte und den Künstler bei abendlichen Empfängen vertrat.

Poetische Gesten, politische Statements

In der Ausstellung „Unendlicher Spaß" ist eine Arbeit aus der Sammlung des Museums für Moderne Kunst Frankfurt zu sehen, die ein wenig untypisch für Alÿs ist, auch wenn mal wieder ein Spaziergänger im Mittelpunkt steht. „Time Is a Trick of the Mind" aus dem Jahr 1998 besteht aus zwei Projektionen des gleichen Zeichentrickfilms. Ein Mann geht an einem hohen Zaun vorbei und lässt einen Stock über die Eisenstangen gleiten, so dass aus den Klängen eine rhythmische Komposition entsteht. Wie der Künstler selbst mit seinen Aktionen und Videos formt der Spaziergänger Zeit. Die Tonspuren laufen leicht versetzt, so entsteht eine Spannung zwischen dem Vergehen der einen und der anderen Zeit. Im Jahr 2004 entstandene Videos und Stills zeigen die Arbeit noch einmal als Intervention. Der Künstler zieht mit einem Drumstick in der Hand durch London und erzeugt Klänge an verschiedenen Zäunen. In dieser Umgebung lässt sich die Arbeit auch als Kritik an Eigentum und territorialen Besitzansprüchen wie jenen lesen, die die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien zum Teil bis heute erhebt.

Mit minimalistischen poetischen Gesten macht der 1959 in Antwerpen geborene Künstler seine Werke zu politischen Statements. Er lenkt Aufmerksamkeit auf Zustände in Armenvierteln, auf Korruption, auf Umweltverschmutzung, auf Krisenherde, kurz: auf Dynamiken geopolitischer Prozesse und die Folgen der Globalisierung. Doch die im Zentrum seiner Aktionen stehenden Metaphern bleiben ein Stück weit offen, so dass jeder mit seiner eigenen Interpretation ansetzen kann. Für seine Reihe „Schläfer" dokumentierte er in Mexico City reglos am Boden liegende Menschen, der Betrachter bleibt mitunter im Unklaren darüber, ob sie schlafen oder tot sind. Für die Arbeit "Painting/Retoque" malte er detailliert von Hand ausgeblichene Markierungen auf einer Straße nach, die direkt am Panamakanal auf einem strategisch wichtigen Landstreifen liegt, den lange Zeit die USA kontrollierten. Nur eine seiner Arbeiten hat monumentalen Charakter: Für „Faith Moves Mountains" versetzten mehr als 500 Helfer mit Schaufeln eine 200 Meter hohe und 500 Meter lange Sanddüne in Peru um zehn Zentimeter. Wie sehr sich die Welt auch manchmal von ihrer schlechten Seite zeigen mag: Bei Alÿs schwingt immer auch ein Funke Hoffnung mit.

In Jerusalem ließ er im Gehen grüne Farbe auf den Boden fließen und zog so die 1948 von Hand in eine Landkarte eingezeichnete Linie nach, die einen Waffenstillstand zwischen Israelis und Arabern markierte. „The Green Line -- Sometimes doing something poetic can become political and sometimes doing something political can become poetic" („Die grüne Linie -- manchmal kann eine poetische Geste zur politischen werden, manchmal eine politische zur poetischen") heißt die Arbeit aus dem Jahr 2004. Der Titel bringt Alÿs' gesamtes Schaffen auf den Punkt.