Gustave Caillebottes „Parkettschleifer“ gilt als Meisterwerk des impressionistischen Malers. Im Entstehungsjahr sorgte das Gemälde für jede Menge Wirbel.

Neugierige Städter, Kunstkritiker und Maler drängen sich in den Räumen des Pariser Kunsthändlers Paul Durand-Ruel in der Rue Le Peletier Nr. 11. Es ist das Jahr 1876, die Besucher sind gekommen, um die zweite Ausstellung der Impressionisten zu sehen, den Enfants Terribles der Kunstwelt. Hier ist vieles anders. Statt dicht an dicht und über die ganze Höhe der Wand verteilt wie in anderen Ausstellungen, hängen die Gemälde hier luftig nebeneinander, dazwischen ist viel Raum. Der traditionelle Pariser Salon, eine von der Akademie der Schönen Künste organisierte Ausstellung im Louvre, lehnt die unkonventionellen Werke der Impressionisten immer wieder ab -- jetzt inszenieren sie eigene Schauen. Auch Caillebottes „Parkettschleifer" lässt die Jury des Pariser Salon nicht zu. Da nimmt er die Einladung der Impressionisten, gemeinsam mit ihnen auszustellen, gerne an.

Gustave Caillebotte, Die Parkettschleifer (Ausschnitt), 1875.

Doch die „Parkettschleifer" sorgen selbst in diesem progressiven Umfeld für Wirbel. Das Gemälde zeigt drei auf dem Boden kniende Arbeiter, die in einer luxuriösen bürgerlichen Wohnung mit Keilen das Parkettholz abziehen. Sie bringen die neue Welt der durch die Industrialisierung zu Wohlstand gekommenen Bourgeoisie auf Vordermann. Die drahtigen, schwitzenden Körper der Männer sind in sanftes Licht getaucht. Sie arbeiten konzentriert und scheinbar gemächlich, eine Flasche Rotwein steht für sie bereit. Die Nüchternheit, mit der Caillebotte die Arbeiter in verschiedenen Stadien ihrer monotonen Bewegung darstellt, bestürzt seine Zeitgenossen.

Die Ästhetik des Moments

Keine romantische Überhöhung? Keine moralische Stellungnahme? Die Zeitgenossen sind außer sich. Es ist eine banale Szene, wie sie erst durch die Vorstöße der französischen Realisten um Gustave Courbet möglich ist, die die Kunst von dem Zwang befreiten, religiöse und politische Szenen in überhöhter klassizistischer Ästhetik zu malen. Doch sie machten die Malerei zum kritischen Spiegel gesellschaftlicher Realitäten. Warum übt Caillebotte hier keine Kritik am sozialen Ungleichgewicht? Auch die Komposition erregt die Gemüter: Die Raumdarstellung sei bizarr, werden Kritiker später schreiben, es schiene ja gerade so, als würden die Arbeiter auf dem schiefen Boden auf den Betrachter zu rutschen.

Gustave Caillebotte, Die Parkettschleifer (Ausschnitt), 1875.

An Sozialkritik sind die Impressionisten nicht interessiert. Ihr Anliegen ist der erste ungefilterte Eindruck, die Ästhetik des Moments, so banal dieser auch scheint. Caillebotte zeigt hier keine Schuftenden, sondern Arbeitsabläufe in einer exakten Bewegungsstudie. Elegant mutet es an, wie die Parkettschleifer, umringt von Holzlocken, mit ihren überlangen Armen die oberste Holzschicht des Parkettbodens abhobeln. Sie sind Teil einer neuen Welt, der Aufbruchsstimmung am Morgen der Moderne, der Metamorphose von Paris zur Vorzeigemetropole -- ihnen kommt der Feinschliff zu.

Mutiger Bruch mit Sehgewohnheiten

Die auf dem Gemälde abgebildete Wohnung ist Caillebottes eigene. Im Gegensatz zu den meisten anderen Malern der Impressionisten-Gruppe gehört er dem modernen Großbürgertum an -- er kann sich eine Prunkwohnung mitten im neuen Paris leisten, malen, ohne von Verkäufen abhängig sein und sogar als Mäzen wirken. Später trägt er auch finanziell bedeutend zu den Ausstellungen der Impressionisten bei.

Gustave Caillebotte, Die Parkettschleifer (Ausschnitt), 1875.

Nach Caillebottes frühem Tod im Jahr 1894 werden sich erneut viele Menschen bei Paul Durand-Ruel versammeln, denn noch im gleichen Jahr richtet er eine Retrospektive mit 122 Gemälden des Verstorbenen aus. Die „Parkettschleifer" betrachten die Besucher jetzt mit Begeisterung. Jüngere Künstler wie Edouard Vuillard und Pierre Bonnard bestaunen die Motivwahl, die kühne Perspektive und vor allem den Mut, derart mit den Sehgewohnheiten des Publikums zu brechen.