Reden ist eigentlich auch Arbeit. Zumindest in der zeitgenössischen Kunstwelt, wo Hans Ulrich Obrist oder Doug Aitken ihre Konversationen zu Filmen oder Büchern verarbeiten.

Andy Warhols Interviews sind einigermaßen legendär. Ein Kunsthistoriker sprach einmal von "absurd oberflächlichen Interviews". Zum Beispiel wurde #Warhol gefragt, ob er an fliegende Untertassen glaubt, welche Seife er benutzt oder ob er gern Schnittlauch mag. Aber seien wir ehrlich: Das sind die Fragen, die die meisten Menschen interessieren. Das enttäuscht diejenigen Kunsthistoriker, die sich von Interviews tiefe Einsichten ins Werk erhoffen. Diese Erwartung hat eine lange Tradition, denn der Anfang der Kunstgeschichte war eben die Künstlergeschichte. In seinen "Viten" hat der italienische Renaissancemaler Giorgio Vasari mit den Künstlern in seiner Umgebung gesprochen und sich davon einen privilegierten Zugang zu den Werken erhofft. Ein Kunstwerk, am besten ein Meisterwerk, braucht jemanden, der entschlüsselt und erklärt. Das ist die Aufgabe der Kunsthistoriker und Kunstkritiker, die mittels Atelierbesuchen und Künstlergesprächen ganz nah an den Ursprung des Werks herankommen. Diese Ansicht hält sich zumindest bis weit ins 20. Jahrhundert.

Pop und Interview

Seit es Massenmedien gibt, werden Interviews mit Stars geführt. Popstars sind unsere Zeitgenossen, aber unerreichbar. Umso wichtiger, dass es Interviews gibt, in denen man den Stars nah sein kann. Andy Warhol hat Pop ziemlich gut verstanden, und er hat auch verstanden, dass diese Nähe nur vorgespielt ist. In einem Fernsehinterview von 1966 fragt ihn ein Reporter: Warum Warhol aufgehört hat zu malen, oder ob er glaubt, dass sein Ruf seiner Kunst gerecht wird. Warhol ist das alles zu kompliziert. Darum bittet er den Interviewer, die Antworten vorzugeben, denn: "I'm so empty today, I can't think of anything."

In der Bundesrepublik gibt es einige Maler, die ihre eigene Variante von Pop-Kunst machen. Werbung, Mode und Popmusik sind ein Ausweg aus dem tristen BRD-Alltag. Vom Authentizitätsgerede der etablierten Kunstkritik halten die jungen Maler ohnehin nichts, deshalb hat Sigmar Polke 1964 selbst ein Interview erfunden. Polke lässt den Kritiker John Anthony Thwaites mit seinem Malerfreund Gerhard Richter sprechen. Richter sagt, dass er körperlich fit ist, dass er mit einem Expander seine Arme trainiert. Auch künstlerisch sieht sich der fiktive Richter auf der Höhe seiner Kräfte. Es geht putzig los. Aber die harmlosen Langeweile und normalen Niedlichkeit gibt es im Nachkriegsdeutschland nicht einfach so. Der erfundene Gerhard Richter erzählt, seine Bilder seien so gut, dass er sie niemandem zeigen kann. In Konzentrationslagern wurden seine Bilder zur Folter eingesetzt und Stalin ist mit nur zwei Richter-Gemälden an die Macht gekommen.

Lieber reden

Heute gibt es kaum ein Museum, das nicht einen Polke oder Richter besitzt. Polke und Richter sind die Vielproduzenten der 1960er- und 1970er-Jahre. Ende der 1970er gibt es aber auch Künstler, die lieber reden. Martin Kippenberger sagt: "Das mache ich auch mit Vorliebe. Niemals malen, malen dauert zu lange, deswegen habe ich's auch sein lassen. Lieber reden. Reden kommt gut." Das ist 1978, und er ist in seinem Büro in Berlin. #Kippenberger geht gegen Mittag ins Büro, dort sitzt er dann in seinem Anzug. Nachts betreibt er eine Disco, das SO 36. Ansonsten lässt Kippenberger Aufkleber drucken, mit Aufschriften wie "Kippenberger raus aus Berlin." "Was das mit der Kunst zu tun hat? Wüsste ich nicht," behauptet er. Dabei weiß er, dass die Zeit der fleißigen Kunstarbeiter vorbei ist. Denn wer redet, ist auch produktiv.

Noch einmal zurück zu Andy Warhol und seiner "absurden Oberflächlichkeit". Warhol hat aufgehört zu malen, dann hat er Filme gemacht und schließlich wieder angefangen, zu malen. Dazwischen hat er die Zeitschrift inter/View gegründet. Zunächst eine Filmzeitschrift, die um Warhols Factory und seine Superstars kreiste, wurde inter/View bald zur "Kristallkugel des Pop." Warhols Zeitschrift unterscheidet sich in den 1970ern von anderen Hochglanzmagazinen, denn die von Warhol setzt auf scheinbar unredigierte Interviews, alles im angenehmen Plauderton. Zum Beispiel Jodie Foster, die Warhol 1976 interviewte, als die Schauspielerin gerade 14 Jahre alt war. Die junge Jodie hat Schluckauf, und Andy Warhol erzählt von einer Party: "It was so exciting!" Es scheint nicht mehr darum zu gehen, über Kunst zu sprechen oder gar Sinn zu produzieren, solange nur geredet wird.

Mittlerweile gibt es noch eine andere Form. Weder Popstar-Interview, noch Kippenbergersche Arbeitsverweigerung, haben Doug Aitkens Gespräche in "The Source" auch etwas mit Produktivität zu tun. Unermüdlich fährt Aitken durch die USA, besucht Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Musiker. Neugierig fragt er sie danach, wie sie arbeiten, wo sie arbeiten und warum sie es tun. Der Erfinder dieser Gesprächsform, Hans Ulrich Obrist sagte einmal: "Es geht darum, dass man immer etwas herausfindet bei diesen Gesprächen." Was Doug #DougAitken herausgefunden hat, ist zu dem Film "The Source" geworden, den man sich online anschauen kann.