Jeff Koons’ neue Werkserie „Antiquity“ ist in der SCHIRN erstmals zu sehen. Darin katapultiert er die Ursprünge der westlichen Kunst in eine flirrende zeitgenössische Ästhetik.

Die stolze Aphrodite hält ihre linke Hand schützend vor ihre Scham, die rechte droht mit einer Sandale. Offenbar gilt das Drohen dem ihr gerade zu Leibe rückenden Hirtengott Pan, halb Mensch, halb Ziegenbock. Über den Beiden schwebt ein schmunzelnder Eros mit ausgebreiteten Flügelchen, es ist der Sohn der Aphrodite. In der römischen Mythologie tritt der freche kleine Gott als Amor auf und treibt mit Pfeil und Bogen sein Unwesen, Aphrodite ist dort als Venus bekannt. Bunte wilde Wellen mit pastosen weißen Schaumkronen peitschen hinter der Figurengruppe. Davor ist ein kleines Segelboot auszumachen, es wurde scheinbar mit braunem Filzstift in schnellen Strichen gezeichnet. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich in der Form eine Vagina, geschwungene Linien rechts, links und darüber deuten die Oberschenkel und den Bauch einer liegenden Frau an.

Die vielschichtige Komposition „Antiquity 1“ gehört zu Jeff Koons neuer Werkreihe „Antiquity“, die jetzt in der SCHIRN erstmals zu sehen ist. Sie stiftet Verwirrung. Das Meer ist offensichtlich gemalt, doch die antiken Skulpturen wirken hyperrealistisch, wie eine blasse Fotografie. Wie kam diese ungewöhnliche Collage auf die großformatige Leinwand? Ist es ein Druck? Tatsächlich handelt es sich bei dem Tableaux um ein akribisch von Hand gefertigtes, auf einer digitalen Collage basierendes Ölgemälde. Es wirkt auf mehreren Ebenen, zuallererst ganz direkt und unverblümt, denn es erzählt von Leidenschaft, Begierde und Sexualität. Das verbindet, betrifft, berührt alle Menschen. Jeder findet Zugang zu den Werken der „Antiquity“-Reihe, auch ohne ein gewiefter Kunstkenner zu sein. Doch auch diese kommen auf ihre Kosten, wenn sie sich daran machen, Koons’ Motive zu enträtseln.

Wer hat das gemalt?

Zumindest im Fall von „Antiquity 1“ wird das aber kaum jemandem gänzlich gelingen. Mit ein wenig Recherche lässt sich herausfinden, dass hier „Aphrodite, Pan und Eros“ aus dem Archäologischen Nationalmuseum in Athen zu sehen sind. Die Figurengruppe wurde 1904 auf der griechischen Insel Delos gefunden. Doch woher kommt das Meer im Hintergrund? Auch in den anderen Gemälden der „Antiquity“-Reihe überlagert Koons verschiedene kunsthistorische Verweise. „Antiquity (Daughters of Leucippus)“ etwa zeigt antike Statuen vor Peter Paul Rubens’ „Töchter des Leukippos“. Das Gemälde des alten Meisters ist durch die Überlagerung wie auch das schäumende Meer nur in Ausschnitten zu sehen. Doch wer hat dieses Werk gemalt?

Darauf wird weder der Laie noch der Kenner kommen, denn Koons hat das Ölgemälde vor 30 Jahren auf der Straße gefunden -- der Urheber ist anonym. Koons gibt damit nicht nur Rätsel auf, sondern zieht, wie auch in anderen Werkserien, eine egalisierende, Hierarchien abbauende Ebene ein: Er hebt den unbekannten Künstler auf eine Stufe mit Rubens. Auch das dritte Element der Komposition, die naiv anmutende, scheinbar mit Filzstift angefertigte Skizze, die ein wenig an die Arbeiten von Cy Twombly erinnert, hat in Kombination mit den antiken Meisterwerken -- lange Zeit normatives ästhetisches Ideal der westlichen bildenden Kunst -- einen egalisierenden Effekt.

 

„Eine Art digitaler, tausendjähriger Pop"



Doch Koons' flirrende Kompositionen, insbesondere die aus der „Antiquity"-Serie, bestechen nicht nur durch das Miteinander verschiedener Stile und Epochen. Der us-amerikanische Kunsthistoriker Scott Rothkopf hat für seinen Katalogbeitrag zur Ausstellung den Titel „Drucker-Realismus" gefunden und meint damit einen neuen, von Koons geprägten realistischen Stil. Fast wie im von Georges Seurat entwickelten Pointillismus lässt Koons Punkt für Punkt akribisch Ölfarbe auf die Leinwand auftragen -- ähnlich funktioniert der Farbauftrag mit einem Tintenstrahldrucker. Dafür collagiert Koons im ersten Schritt mithilfe des Bildbearbeitungsprogramms Photoshop sorgfältig die von ihm gewählten Motive und druckt danach eine Vorlage aus. Damit der tatsächliche Farbauftrag dem Druck so nah wie möglich kommt, gibt er genaue Farbewerte vor und druckt die Vorlage täglich neu aus, da die Farben sonst verblassen würden.

Die so entstehenden Bildwelten verweisen auf heute gängige Techniken der Manipulation und Reproduktion von Bildern. Rothkopf beschreibt sie als „eine Art digitalen, tausendjährigen Pop", der das jahrhundertealte Medium der Ölmalerei mit dem knisternden Leben des neuesten Fernseh- oder Computer-Bildschirms erfülle, dem schnittigsten Verpackungsdesign, der cleversten Zeitschriftenwerbung, dem Gefühl von Sehnsucht, das sich mit physischen Objekten verbinde, die noch unverankert im allgemeinen Bewusstsein seien und dort frei umherschwebten.


Zeitgenössische Verführung


Koons fängt sie ein und fixiert sie in einer zeitgenössischen Ästhetik, zu der auch die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der westlichen Kunst gehört. Kaum etwas steht für diese Wurzeln wie die Figur der Aphrodite, Protagonistin in „Antiquity". Als Vorbild für die auf Delos ausgegrabene Statue diente die von dem bedeutenden griechischen Bildhauer Praxiteles geschaffene „Aphrodite von Knidos". Das Original ging verloren, doch der legendäre weibliche Akt wurde von zahlreichen Meistern immer wieder neu aufgelegt, etwa von dem Renaissance-Maler Sandro Botticelli in der „Geburt der Venus".

 Im Winter 2009/2010 pilgerten zahlreiche Besucher zur großen Botticelli-Schau im Städel, um die nackte Schönheit zu sehen, die ihren Schoß mit ihrem wallenden Haar bedeckt. Koons lässt Aphrodite nun wieder aufleben und stellt ihr in „Antiquity 3" eine zeitgenössische Verführerin gegenüber. Sie trägt Dessous, reitet auf einem aufblasbarem Delfin und beugt sich mit zum Kuss geschürzten roten Lippen über ein ebenfalls aufblasbares Äffchen -- Figuren, die schon aus seiner ebenfalls spektakulären „Popeye"-Serie bekannt sind.