In der Juni-Ausgabe des DOUBLE FEATURE zeigt die SCHIRN die Video-Arbeit „Die Straße“ der Künstlerin Ulla von Brandenburg. Anschließend wird ihr Lieblingsfilm „The Wicker Man“ des britischen Regisseurs Robin Hardy zu sehen sein.

Ein Mann, eine Landstraße im Nirgendwo. Die Kamera folgt seinen Schritten aus der Seitensicht, bis plötzlich die Rückseite einer Häuserkulisse im Bild auftaucht. Der Mann bleibt einen Augenblick freudig-erwartend stehen, betrachtet interessiert die sich vor ihm aufbauende Kulissenstraße und betritt sie schließlich. Auch die Kamera wird nun in ebenjene hineingesogen und sie gut elf Minuten lang nicht mehr verlassen. Willkommen in der "Straße" von Ulla von Brandenburg.

Die Kamera folgt dem Wanderer durch die Straße, bewegt sich mit ihm vor und zurück durch die kleinen Häuserschluchten. Diese Straße ist ein seltsamer Ort, bevölkert von merkwürdig anmutenden Personen: Eine Frau drückt einer anderen ein Ei in die Hand, woraufhin sie von dieser gebissen wird; ein älterer Herr führt einen jungen Mann angeleint durch die Straße; zwei Damen mit langen Stöcken in der Hand, zwischen ihnen ein Mädchen, dessen Kopf komplett verhüllt mit einem Tuch. Auf der Tonspur entwickelt sich sodann in Form eines Gesangsduetts zwischen dem Mann und den Bewohnern der Straße eine Art Dialog, wobei die Bewohner allesamt mit der Stimme einer einzigen Frau singen. Analog zu dem Treiben in der Straße, dessen finaler Sinn dem Betrachter verborgen bleibt, erschließt sich auch die vollständige inhaltliche Bedeutung des Gesangs nicht, wenngleich die einzelnen Worte sehr wohl bekannt sind. (Das gauklerische Treiben in der Straße verwundert jedoch niemanden, auch den Wanderer nicht, scheint vielmehr einen normalen Alltag einer unbekannten Kultur/Gesellschaft darzustellen.)

„Die Straße" (2013) war Teil der Ausstellung „Innen ist nicht Außen", die in 2013 in der Wiener Secession gezeigt wurde und in diesem Jahr im Rahmen einer Retrospektive in Hannover. Um den Film dort zu sehen, musste der Besucher eine eigens von der 1974 in Karlsruhe geborenen Künstlerin angefertigten Theaterbühne betreten, die über mehrfach verwinkelte Treppenaufgänge zugänglich und durch schwere Vorhänge geschützt war. Diese besondere Umgebung betont den theaterhaften Anklang, der der Arbeit innewohnt und der sich auch formal widerspiegelt: Der Film ist ein „one-shot", besteht also nur aus einer einzigen Kamerafahrt und bedient sich somit nicht der Filmtypischen Montage, sondern der Mise en Scène mit ihrem kalkulierten Bildaufbau und der choreographierten Schauspielführung. Die an Theater oder Live-Perfomances erinnernde Form wird durch das Videomaterial jedoch zeitlich verewigt und tritt in der Aufführung in immer wieder neuen Räumlichkeiten mit der Umgebung in Interaktion. Die gemeinsame Ausstellung mit Brandenburg-typischen Objekten, wie die schweren Stoffdecken und Spiegel, aber auch das Element des Gesangs schaffen direkte Querverweise zwischen „Die Straße" und anderen Arbeiten der in Paris und Hamburg lebenden Künstlerin.

Allein unter Fremden

Als Lieblingsfilm hat sich Ulla von Brandenburg für Robin Hardy's „The Wicker Man'" von 1973 entschieden. Der britische Film wurde als „Citizen Kane des Horrorfilms" beschrieben und erfreut sich einer großen Fangemeinde. In „The Wicker Man" wird der streng gläubige Sergeant Neil Howie (Edward Woodward) durch einen anonym verfassten Brief auf das Verschwinden eines Mädchens auf der abgelegenen Insel Summerisle aufmerksam gemacht. Bei den Investigationen vor Ort entdeckt der Polizist, dass die gesamte Bevölkerung Anhänger eines vom Großvater des Inselbesitzers gegründeten heidnischen Kultes ist und vermutet hinter dem Verschwinden des Mädchens einen grausamen Ritualmord.

Der Film verwebt kunstvoll Elemente des Kriminal-, Horror- und Musicalfilmes zu einer tour-de-force für den ermittelnden Polizisten und versteht es, durch die bizarr in Szene gesetzte Inselgemeinschaft, sowohl den Reiz als auch die abstoßende Wirkung einer als fremd empfundenen Kultur auf den von außen kommenden Einzelnen zu verdeutlichen. Wohl auch dieser Punkt interessierte Ulla von Brandenburg, die „The Wicker Man" als eine Inspirationsquelle für „Die Straße" bezeichnete. Der Betrachter, welcher im Gegensatz zu den agierenden Protagonisten jedoch immer nur Zeuge des Geschehens bleibt und somit auch nicht direkt erleben darf oder muss, bleibt zurück mit einem Einblick in das ihm Fremde und nicht final Erklärbare, mit dem Zauber oder dem Schrecken des unabhängig von ihm Existierenden. So heißt es dann auch in „Die Straße": „Drinnen ist nicht draußen, und heute ist nicht hier."