Im DOUBLE FEATURE im Oktober zeigt Samson Kambalu Arbeiten seiner 'Nyau-Cinema'-Reihe. Im zweiten Teil des Abends werden Filme von Buster Keaton und Charlie Chaplin zu sehen sein.

Die Industrialisierung und der damit einhergehende technische Fortschritt in etlichen Wirtschaftszweigen verursachte massive Veränderungen im Alltag von Millionen von Menschen, brachte ganze Industriebranchen hervor und wieder zu Fall und prägte ebenso massiv die Kunst- und Kulturproduktion. So ist das, was wir gemeinheim als Film bezeichnen, ohne den technischen Fortschritt nicht denkbar und jede technische Neuerung hinterließ ihrerseits mehr oder weniger große Einschnitte in der Filmgeschichte.

In seiner Kind­heit sah er Filme, die auf alten Projek­to­ren aufge­führt wurden

Eine entscheidende Zäsur stellte insbesondere die Einführung des Tonfilms dar, die eine gravierende Veränderung nicht nur in der Produktion verursachte, sondern dessen Auswirkungen auf den Film als künstlerische Ausdrucksform  kaum überschätzt werden können. 1928 kritisierte der Filmtheoretiker Rudolf Arnheim, dass der Tonfilm die Filmkunst von einer abstrakten Darstellungsweise zu einem reinen Abbildrealismus degradiere. Auch die Filmvorführungen selbst veränderten sich gravierend: Glich zuvor keine Vorstellung der Anderen, da das zu sehende Bild immer wieder verschieden vertont wurde – sowohl der zum Bild live dargebotenen Komposition/Improvisation als auch die Form betreffend - und so der Bedeutungszusammenhang stark variieren konnte, vereinheitlichte der Tonfilm sich als textuelle Einheit, wie Thomas Elsaesser in seinem Standardwerk „Filmtheorie“ erläutert. Auch die Tätigkeit des Filmvorführers selbst änderte sich drastisch: Bearbeitete dieser ursprünglich das Filmmaterial mit Schere und Kleber direkt und editierte so in Ausnahmesituationen schon einmal, besteht seine Aufgabe heute hauptsächlich in der Überwachung von Servern und Steuerung von Computerprogrammen.

Samson Kambalu, Nyau Cinema (Film Still), Samson Kambalu, 2014

Über den zum Teil gestalterischen Eingriff des Filmvorführers weiß auch der malawisch-stämmige Künstler Samson Kambalu (*1975) zu berichten. In seiner Kindheit sah er Filme, die auf alten Projektoren aufgeführt wurden, die immer wieder aussetzen und neu bespannt werden mussten, mit Filmmaterial, das aufgrund von Verschleißerscheinungen mitunter direkt an Ort und Stelle editiert wurde. Die gewohnt geschlossene Einheit Film wurde somit zu einem individuell improvisiert-gestalteten neuem Werk, bei dem zum Beispiel die Dialoge verschwanden oder sich bestimmte Einstellungen aufgrund des Neustarts der Projektoren stets wiederholten. Das fertige Werk entsteht auf diese Weise schlussendlich im Vorführraum und nicht im Schneideraum.

Die Sequen­zen strot­zen vor Begeis­te­rung am Medium und seinen Möglich­kei­ten

In seiner Filmreihe „Nyau-Cinema“ greift der Künstler auf diese Vorführungen als Inspiration zurück: Kurze tonlose Film-Sequenzen, ihrer Form wie auch Ästhetik nach an kleine Lustspielfilme aus der Stummfilmzeit erinnernd. Mit der Zeit verfasste Samson Kambalu ein Regelwerk, dem alle Filme der Reihe zu folgen haben. So darf beispielsweise keine Sequenz länger als eine Minute dauern, die Filme werden absolut spontan gedreht, müssen mit dem Ort interagieren und eine Art Verbindung zwischen der durchgeführten Performance und dem Medium Film herstellen, sie dürfen nur an bestimmten Vorführorten präsentiert werden und der Ton soll minimal gehalten, besser noch am Aufführungsort selbst performt werden. Seine spontanen Performances lässt Kambalu vor Ort jeweils von vorbeilaufenden Passanten aufnehmen und bearbeitet die Filme anschließend nur minimal mittels Filter, ansonsten wird lediglich die Abspielrichtung geändert oder eine Sequenz zu einem Loop geschnitten.

Die Filme tragen Titel wie „Amistad“, „Pickpocket“, „Strange Fruit“, „Nude Ascending Stairs“, “Two Mushroom Clouds” oder “Cleaner”, sind also teils umschreibend oder aber rekurrieren auf Kunstwerke bzw. popkulturelle Referenzen. Sie zeigen den Künstler bei der Durchführung von kleinen Performances, sei es beim Ziehen einer eisernen Ankerkette an einem kleinen Hafen, beim Putzen einer Mauer oder beim Auffangen von Früchten, die ihm – mittels  einfacher Montage – ein Baum zuzuwerfen scheint. Die Sequenzen strotzen vor Begeisterung am Medium und seinen Möglichkeiten sowie einer Spielfreude, die wiederum auf den Titel der Reihe verweist: Nyau beschreibt sowohl den Geheimbund eines südostafrikanischen Volkes, als auch deren rituellen Tanz und die hierbei benutzten Masken.

Weg vom verbrei­te­ten Trend des Abbil­dungs­rea­lis­mus

Im zweiten Teil des Abends werden mit „The Playhouse“ und „The Kid“ passend dazu zwei Filme aus der Stummfilm-Ära von Buster Keaton und Charlie Chaplin aus dem Jahr 1921 gezeigt.  Während „The Kid“ in der finalen, von Chaplin 1971 geschnittenen Fassung mit seiner Spielzeit von gut einer Stunde schon Spielfilmformat hat, ist Keatons „The Playhouse“ mit seinen 22 Minuten Laufzeit noch ein klassischer Kurzfilm. Mit Kambalus Filmsequenzen teilt er die Verspieltheit und Freude am Medium: So spielt Buster Keaton beispielsweise in der ersten Sequenz des Filmes alle Rollen selbst und bedient sich genüsslich der Illusionsmöglichkeiten des Filmschnitts. Chaplin hingegen stellt mit der herzzerreißenden Geschichte des Tramps, der ein ausgesetztes Baby bei sich aufnimmt, eine Verbindung der Genres Komödie und Drama her, die zu jener Zeit alles andere als gewöhnlich war.

Zusammengenommen nehmen die Filme von Chaplin, Keaton und Samson Kambalu das Medium Film als eigene, je individuelle Ausdrucksform in den Fokus: Weg vom verbreiteten Trend des Abbildungsrealismus, bei dem die Leinwand nicht als Rahmen eines spezifischen Werks betrachtet wird, sondern vielmehr ein Fenster in eine illusorische Welt zu sein scheint, dessen Autor höchstens noch in der Narration erkennbar ist und das dann doch jene Welt zeigt, wie wir sie schon kennen.