Am 20. Februar präsentiert die SCHIRN im DOUBLE FEATURE Kerstin Cmelkas Film „Art and Life“ und zeigt im Anschluss „A woman under the influence“ von John Cassavetes.

In einer eindringlichen Szene in John Cassavetes Film „A woman under the influence" fordert Nick Longhetti, gespielt von Peter Falk, wiederholt seine Ehefrau dazu auf, authentisch zu sein. Immer wieder wiederholt er die Sätze: „be yourself, just be yourself!" Ob dies so einfach möglich ist und was es überhaupt bedeutet „man selbst zu sein", war über die Jahre hinweg nicht nur Thema der Philosophie sondern auch immer wieder Gegenstand der Kunst.Was genau als Realität beschrieben werden kann beschäftigt auch die 1974 in Mödling, Österreich geborene Künstlerin Kerstin Cmelka. Mit einem common sense Realitätsbegriff, der alles Sichtbare für „real" erklärt, gerät man in Bezug auf das soziale Miteinander schnell an seine Grenzen. Inwiefern nämlich Rollen, derer man sich in alltäglichen Situationen -- wie zum Beispiel auf dem Arbeitsplatz oder in Beziehungen -- ganz selbstverständlich bedient, als „real" zu bezeichnen sind, kann so einfach nicht beantwortet werden.

In ihren Arbeiten, bestehend aus Filmen, Performances und Fotografien, setzt sich Kerstin Cmelka mit genau diesen Problemfeldern auseinander. In den „Mikrodramen", welche aus mehreren Live-Performances und Performancevideos bestehen, werden zum Beispiel Episoden aus Theaterstücken und Spielfilmen mit befreundeten Künstlern nachgestellt. Die Illusionen, die von professionellen Darstellern im Theater und am Filmset erzeugt werden, brechen im Nachspielen durch Laien auf und geben so den Blick frei auf das, was ihnen zu Grunde liegt: eben die Realität des jeweiligen Autors und seine Sicht auf die Welt. Ob diese intersubjektiv, d.h. individuell für andere erfahrbar ist oder nur aus beliebigen Gemeinplätzen besteht, kann nun der Zuschauer selbst entscheiden.

Kunst und Leben

Der im DOUBLE FEATURE gezeigte Film „Art and Life" setzt sich aus drei verschiedenen Sequenzen zusammen: der Autofahrt eines sich streitenden Paares, einer kurzen Stummfilmsequenz und einem Interviewausschnitt. Ausgangspunkt war die Beobachtung einer zunehmenden Feierabendmentalität innerhalb der Kunstszene, die die Ausübung von Kunst der Lohnarbeit gleichstellt und diese damit immer stärker vom Leben trennt.

Bei den einzelnen Szenen handelt es sich um Nachstellungen aus Spielfilm und Fernsehen der 1970er-Jahre. Gerade im Fernsehen jener Zeit wurden ganz selbstverständlich heute nicht mehr denkbare Formate wie das in „Art and Life" nachgestellte Rainer Werner Fassbinder-Interview gesendet. In diesem offenbart sich der Filmemacher jenseits der aktuell gängigen Interview-Narration dem befreundeten Journalisten Peter Jansen und erlaubt so einer breiteren Öffentlichkeit Einblick in die eigene Lebensrealität. Die Stummfilmsequenz wiederum stellt einen Auftritt von Nina Hagen in der österreichischen Talkshow „Club 2" nach, in der die Musikerin anschaulich weibliche Masturbation während dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr empfiehlt. Zum Skandal wurde dieser Auftritt nicht nur durch die Infragestellung gängiger Sexualnormen, sondern auch deshalb, weil er die Konfrontation einer individuell-privaten Realität mit der gesellschaftlichen Realität markiert. Doch die Vermischung von Kunst- und Lebensrealität findet hier noch auf einer anderen Ebene statt: So wie es auch Fassbinder oder John Cassavetes getan haben, arbeitet Kerstin Cmelka immer wieder mit befreundeten Künstlern zusammen und hebt so die Grenzen zwischen Kunst und Privatem auf.

Der Einfluss gesellschaftlicher Normen

Als Lieblingsfilm, der im Anschluss an „Art and Life" gezeigt wird, hat sich Kerstin Cmelka John Cassavetes „A woman under the influence" ausgesucht. Der 1974 uraufgeführte Film erzählt einen Ausschnitt aus dem Leben des Ehepaars Longhetti. Nick Longhetti (Peter Falk), ein einfacher Bauarbeiter, und seine Ehefrau Mabel (Gena Rowlands) sind seit einiger Zeit verheiratet und Eltern dreier Kinder. Befremdet durch das zunehmend merkwürdige Verhalten seiner Frau insbesondere in der Gegenwart von Dritten beschließt Nick Longhetti eines Tages, seine Frau in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen. Im Aufbau einem Theaterstück ähnelnd, zeigt der Film längere Szenen vor, während und nach dem Aufenthalt in der psychiatrischen Anstalt.

Besonderer Gegenstand des Films ist der Einfluss von gesellschaftlichen Normen auf das Privatleben des Einzelnen. Gerade Mabel Longhetti kann mit den ihr zugeschriebenen Rollen als Ehefrau, Mutter, Liebhaberin, Tochter und den damit einhergehenden Erwartungen nicht umgehen und droht hieran zu zerbrechen. Überwältigend ist, mit welcher Empathie der Regisseur seine Figuren zeigt. Diese werden nicht aus einer allwissenden Position heraus bewertet und psychologisiert. Auch wird kein Lösungsansatz für die im Film angerissenen Probleme angeboten. Gezeigt werden viel mehr die Auswirkungen dieses Spannungsfeldes, die das fragile Miteinander einer Zweierbeziehung zu jeder Zeit bedrohen. Die Unauflösbarkeit dieser Spannung wird deutlich, wenn Mabel Longhetti ihrem Ehemann im Film vollkommen selbstverständlich sagt: „I can be anything you want me to be" und die Antwort darauf dann später lautet: „Be yourself, just be yourself."