Im letzten Double Feature des Jahres 2014 präsentiert die SCHIRN mit "Quickeners" eine neue Arbeit des in Kanada geborenen Künstlers Jeremy Shaw. Im zweiten Teil des Abends wird "Altered States" des britischen Regisseurs Ken Russell zu sehen sein.

Wer als Außenstehender einmal den Gottesdienst einer Pfingstgemeinde besucht, kann hier Zeuge einiger ungewohnter Praktiken werden. So ist es nicht unüblich, dass die Gemeindemitglieder in "fremden Sprachen" beten, laut lachen und weinen oder wie in ekstatischer Verzückung an epileptische Anfälle erinnernde Bewegungen ausführen. Die Christen selbst erklären dies mit dem Durchdrungensein des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wurde dem neuen Testament nach an Pfingsten auf die Erde gesandt und erfüllte Jesu Jünger, sodass diese begannen, in "fremden Zungen zu beten", einer von Gottes Geist vorgegebenen Sprache. In den Pfingstgemeinden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika entstanden und sich rasch in andere Teile der Welt verbreiteten, spielt dieses Ereignis eine zentrale Rolle.

Etwas Vergleichbarem dürfen wir in der Video-Arbeit "Quickeners" (2014) beiwohnen. Der in Berlin lebende Künstler Jeremy Shaw verwertete für das gut 35-minütige Werk Ausschnitte aus der 1967 erschienenen Dokumentation "Holy Ghost People", die sich um einen Gottesdienst der Pfingstgemeinde einer amerikanischen Kleinstadt dreht. Während das Bild zunächst unbearbeitet bleibt, kreiert Shaw mithilfe der veränderten Tonspur eine Art Science-Fiction-Mockumentary. Ein Sprecher führt uns ein in die Welt der Quantum-Humanoiden, die an eine zukünftige, leicht modifizierte Menschheit denken lässt. Innerhalb der Quantum-Humanoiden, die unsterblich und alle durch eine abstrakt bleibende Entität namens "Hives" miteinander verbunden sind, gibt es dem Sprecher nach eine kleine Gruppe, die als Quickeners bekannt sind.

Die Quickeners leiden am "Human Atavism Syndrom", kurz H.A.S., das den Betroffenen eigentlich bereits ausgestorbene menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen erfahren lässt. Im Folgenden kommen mehrere Mitglieder der Gemeinschaft zu Wort, bis wir schließlich Zeuge einer Versammlung werden, in der die von H.A.S. Betroffenen das "Quickening" erleben: eine Art Durchdrungensein vom ordinär Menschlichen, vollkommen losgelöst vom Hive. Das Quickening selbst stellt sich als eine Art Ekstase dar. Wie im Rausch singen, klatschen, schreien und tanzen die Quickeners, später werden Schlangen aus einer Box herausgeholt, mit den Tieren in Trance hantiert und schließlich herumgeworfen. Für eine gewisse Zeit scheinen die Gemeindemitglieder einen anderen Bewusstseinszustand zu erleben. Shaw verdeutlicht dies auf der Bildebene, indem er Einzelne im wahrsten Sinne des Wortes erleuchten lässt.

Jeremy Shaw setzte sich in vergangenen Werken immer wieder mit veränderten Bewusstseinszuständen auseinander. Für die Video-Installation "DMT" (2004) dokumentierte er so beispielsweise die Reaktionen seiner Freunde, denen er zuvor die bewusstseinsverändernde Droge Dimethyltryptamin verabreicht hatte. In "Best Minds Part One" (2007) verlangsamte er Archiv-Aufnahmen von tanzenden Straight-Edgern zu einem 40-minütigen Loop. Die Hardcore-Punk-Fans, die sich dezidiert von jeglichen Rauschmitteln wie Alkohol und Drogen fernhalten, geraten durch ihren Tanz in eine Ekstase, der in seiner Verlangsamung an Schamanentänze erinnert. Somit scheint "Quickeners" beinahe die logische Fortsetzung der vorangegangenen Arbeiten zu jenem Themengebiet zu sein.

Das starke Interesse an bewusstseinsveränderten Zuständen teilt Shaw mit dem Wissenschaftler Eddie Jessup (William Hurt), Protagonist des 1980 erschienenen Spielfilms "Altered States" (dt.: Der Höllentrip). Jessup erforscht gemeinsam mit seinem Kollegen Arthur Rosenberg (Bob Balaban) an der Universität ebenjene veränderten Bewusstseinszustände, die beispielsweise durch Drogengebrauch erlebt werden können und durch die er sich Erkenntnisse über den Ursprung der menschlichen Existenz schlechthin erhofft. Der Film wird zu einer wahrhaften tour de force für Jessup, der immer tiefer an die Grenzen seines Seins vorstößt.

"Altered States" beeinflusste Jeremy Shaw nachhaltig, nachdem er den Film erstmalig mit 16 Jahren unter LSD-Einfluss sah. Der britische Regisseur Ken Russell verfilmte das Drehbuch nach den Forschungen des amerikanischen Forschers John C. Lilly, der ab den 1960er-Jahren die Wirkung von bewusstseinsverändernden Drogen untersuchte. "Altered States" vermischt jene wissenschaftlichen Erkenntnisse mit philosophischen Überlegungen und Science-Fiction-Horror und sucht die Bewusstseinsveränderungen in eine gewaltige Bildsprache zu übersetzen.

So vielfältig auch die Hilfsmittel zur Bewusstseinsveränderung sind, seien sie chemischer oder physischer Art, religiös oder wissenschaftlich konnotiert, so scheint ihr doch immer das Versprechen einer absoluteren, über das eigene Ich hinausweisenden Wahrheit inne zu wohnen, um dann letztlich doch nur auf die eigene Existenz zurückzuverweisen. Jessup's Suche in "Altered States" nach dem Ursprung des Bewusstseins endet so in einer erschreckenden Einsicht, während der mit Schlangen hantierende Pastor aus der Original-Dokumentation "Holy Ghost People" schließlich von dieser in die Hand gebissen wird. So banal und auch schmerzhaft kann die Rückkehr in die Realität manchmal ausfallen.