Am 18. März ist die britische Künstlerin Heather Phillipson im DOUBLE FEATURE zu Gast. Im zweiten Teil des Abends wird ihr Lieblingsfilm "Hail the New Puritan" von Charles Atlas zu sehen sein.

Was genau Wahrnehmung eigentlich ist und wie sie funktioniert, sind Fragen, mit der sich Philosophie, Psychologie, Biologie und natürlich auch die Kunst immer wieder auseinandersetzen. Der Schlüssel zu unserer ganz persönlichen Eroberung der Welt ist ein so einfach Ding nämlich nicht. Was der Einzelne wahrnimmt und wie genau dies vonstattengeht, kann losgelöst vom Individuum nur schwer ausgemacht werden, will man sich nicht nur in chemisch-biologischen Prozessbeschreibungen von Sehnerv, Gehirn und Synapsen verlieren.

"French Kissing -- it was going to be a film about French Cuisine" sind die ersten gesprochenen Worte in Heather Phillipsons Werk "A is to D what E is to H" (2011-2013) und werfen uns direkt in die Wahrnehmungsmaschinerie eines Individuums; die klangliche Ähnlichkeit der englischen Worte „French Kissing" und „French Cuisine" werden auf der Bildebene mit den entsprechenden Motiven unterlegt. In den folgenden knapp zwölf Minuten wird der Betrachter in eine Assoziationskette -- getrennt durch kapitelartige Zwischentitel (A bis H) -- auf Ton- und Bildebene hineingesogen, die die Künstlerin zu einer bewusstseinsstromartigen Collage verwebt. Die Stimme aus dem Off hangelt sich von Phrase zu Phrase, verliert sich in wortgewandten und gewitzten Formulierungen, sinniert über den Klang der eigenen Stimme und folgt mit dieser den Bildern oder gibt sie vor. Untermalt wird dies auf der Tonebene mit populären Klassikstücken von Camille Saint-Saëns und Eric Satie, französischer Popmusik oder Eurodance-Hits aus den 90er-Jahren. Unklar bleibt für den Betrachter, ob das Gesprochene einen Adressaten hat oder viel eher eine Art Gedankenstimme darstellt, die humorvoll wie auch poetisch-eloquent Empfundenes sprachlich zu kommunizieren sucht.

Der spielerische wie auch reflektierte Umgang mit der Schnittstelle von Wahrnehmung und Sprache zeigt sich auch in anderen Arbeiten der 1978 in London geborenen Heather Phillipson. Für ihre Ausstellung im Baltic Centre of Contemporary Art in Gateshead konzipierte die Künstlerin so 2013 beispielsweise einen audio-visuellen Tourguide mit dem Titel "Cardiovascular Vernacular (as in 'it's time for my regular cardiovascular vernacular')". Mit diesem schickte Phillipson den Besucher mit Hilfe eines Smartphones auf eine gut einstündige Tour durch die Stadt und ließ ihn so an ihrer eigenen Wahrnehmung und den damit verknüpften Empfindungen teilhaben. In ihren multimedialen Installationen verknüpft die Künstlerin auch ganz plastisch bewegtes Bild, Ton und Objekt zu einer physisch empfundenen Erfahrung: So konnte man ihre Videoarbeit "ha!ah!" (2013) beispielsweise als Passagier in einem im Ausstellungsraum aufgestellten Motorboot ansehen. Verbindend haftet den Werken die Sprache als Bindeglied zwischen der eigenen und der fremden Wahrnehmung an.

Als Lieblingsfilm hat Heather Phillipson für die fiktionalisierte Dokumentation "Hail the New Puritan" von Charles Atlas ausgesucht, der 1986 erstmals im britischen Fernsehen zu sehen war. Der Film präsentiert uns ausschnitthaft 24 Stunden im Leben des schottischen Tänzers und Choreographen Michael Clark. Wir sehen den Künstler und sein Ensemble bei den Vorbereitungen zu dem Stück "New Puritans", beim Herumalbern mit Kollegen und Freunden, beim Interview durch eine Reporterin, folgen ihm durch das Nachtleben Londons und landen schließlich wieder am Ausgangspunkt, seinem Wohn- und Arbeitsloft.

Getragen von längeren Tanzsequenzen, welche größtenteils mit der Musik von Mark E. Smith und seiner Post-Punk Band "The Fall" untermalt sind, entwickelt "Hail the New Puritan" einen nahezu ekstatischen Sog, in dem die Körper der Tänzer zur direkten Ausdrucksplattform ihrer selbst zu werden scheinen und die sprachliche Ebene somit hinter sich lassen. Generelle Aussagen darüber, wie Einzelne wahrnehmen, die gesammelten Eindrücke verarbeiten und so im Kleinen auch immer die Welt im Ganzen darstellen, lassen sich so immer noch nicht treffen. Der Versuch jedoch, den Anderen in die eigene Wahrnehmung einzuladen und diese im besten Falle auch fassbar zu machen, hebt gerade das individuelle Moment der Wahrnehmung hervor und verbindet so Atlas' Film mit Phillipsons Werk.

Vom 20. November 2015 – 7. Februar 2016 zeigt Heather Phillipson eine eigens für die Rotunde der Schirn entwickelte multimediale Installation.