Am 29. Juli ist der niederländische Künstler Gabriel Lester zu Gast im DOUBLE FEATURE. Als Lieblingsfilm hat er Gus van Sants "Gerry" gewählt.

"Die Zigarette ist das vollständige Urbild des Genusses: Sie ist köstlich und lässt uns unbefriedigt." Diese Aussage des Antagonisten Lord Henry aus Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" sagt viel über den konkreten Zigarettenkonsum wie über Genuss im Allgemeinen aus: Der Genuss -- den psychoanalytisch Interessierte im Fall der Zigarette mit dem Lustgewinn in der oralen Phasen in Verbindung bringen mögen -- birgt in sich immer auch den Verweis auf die Zeitlichkeit, da Genuss nur im Gegensatz zum Ekel oder Übel, somit also zeitlich begrenzt existieren kann. Der Aspekt der Vergänglichkeit verdeutlicht sich auch in den Überresten der Zigarette selbst: Rauch und Asche, und erinnert in diesen an die sterblichen Reste des Menschen, die in der kirchlichen Liturgie als Asche und Staub bezeichnet werden.

In Gabriel Lesters gut 26-minütigem Film "Last Smoking Flight" (2008) könnte man eine filmische Auseinandersetzung mit diesen Themenpaaren sehen: Die überaus kinematographisch anmutende Arbeit beginnt mit einer rund sechsminütigen Kamerafahrt durch ein Wolkenmeer, unterlegt mit melancholischer Klaviermusik. Die scheinbar unendlichen Weiten des Himmels verunmöglichen jedwede örtliche Bestimmung und lassen auch keine exakte zeitliche Bestimmung zu. Die Kamerafahrt endet schließlich in einer kleinen Passagiermaschine, in der auf einzelnen Sitzen pro Reihe jeweils ein Mann und eine Frau sitzen. Für 14 Minuten verlassen wir die Maschine nicht mehr.

Großaufnahmen der Gesichter und langsame Kamerafahrten durch den Innenraum des Flugzeugs geben den Blick frei auf vereinzelte Individuen, die zu allererst eines tun: rauchen. Im Laufe der Zeit meint man dann verschiedene Menschentypen auszumachen: den Sorgenvollen, den Intellektuellen, die Unbekümmerte, den Gelangweilten, die Neugierige, den Träumer, die Traurige. Die filmische Arbeit suggeriert in ihrer Form eine Narration, die jedoch ausschließlich im Kopf des Betrachters entsteht, da die Personen wortlos und somit dem Betrachter letztendlich fremd bleiben. Die Passagiere, umgeben von der ort- und zeitlosen Kulisse der Wolken, scheinen gefangen in einem ebenfalls ort- und zeitlosen Unraum, zurückgeworfen auf sich selbst und dem letzten Überbleibsel von etwas Konkretem: der Zigarette. Von dieser bleibt jedoch in den letzten sechs Minuten auch nichts anderes übrig als der ziel- und zwecklos vor sich hintreibende Rauch vor schwarzem Hintergrund, unterlegt mit elegischer Musik.

Die gleichgültige Schönheit der Natur

Der 1972 in Amsterdam geborene Gabriel Lester beschäftigt sich in seinen Arbeiten, die Film, aber auch Musik, Fotografie, bildende Kunst und Installationen umfassen, ausgiebig mit der Repräsentation von Illusionen und den Mechanismen, wie eben diese kreiert werden. In der Installation "How to Act" (2000) erzeugte Lester so beispielsweise die Illusion eines Kinoerlebnisses ausschließlich durch Lichtreflektionen, Film-Score und O-Ton Geräusche, ohne jedoch ein einziges Filmbild zu zeigen. "Last Smoking Flight" ist der erste Film einer silent-film Trilogie, die mit "The Big One" (2010) fortgeführt und mit "The Blank Stare" (2013) abgeschlossen wurde und in denen der Künstler eine Art "introvertierten Blick" in den Fokus nimmt.

Als Lieblingsfilm für den Abend hat sich Gabriel Lester für Gus van Sants Film "Gerry" aus dem Jahre 2002 entschieden. Der Film basiert auf reellen Ereignissen und begleitet die beiden von Casey Affleck und Matt Damon gespielten Protagonisten, die sich gegenseitig nur Gerry nennen, auf einen Ausflug in eine Wüstenlandschaft. Nach nur kurzer Zeit verlieren die Beiden die Orientierung und verlaufen sich hoffnungslos.

Der Film besteht bei einer Länge von 103 Minuten aus nur etwa einhundert Einstellungen und bleibt über weite Strecken dialogfrei. Immer wieder fokussiert die Kamera in minutenlangen Aufnahmen die beiden Protagonisten oder die sie umgebene Natur, die in ihrer gleichgültigen Schönheit die vermeintliche Unbedeutendheit der zwei Menschen geradewegs hinauszuschreien scheint. Deren innere Vorgänge wiederum werden kaum verbalisiert und stellen in der beinah stoischen Akzeptanz ihres Schicksals einen Zusammenhang zu Gabriel Lesters Passagieren aus "Last Smoking Flight" her.