In der GLAM!-Ausstellung geben frühe Super-8-Filme des Briten Derek Jarman Einblick in die Londoner Subkultur.

Mit jeder Menge Pailletten, Glitzer, Federn, Lippenstift und Pop im Gepäck war London in den frühen 1970er-Jahren zur rauschenden Glam-Metropole geworden. Viel wichtiger als der Look waren die gesellschaftlichen Umbrüche, die damit einhergingen. Schon in den 1960er-Jahren hatte eine junge, hedonistische Generation den Wandel eingeläutet: Es spielte keine Rolle, ob man Arbeiter oder Adliger war, wenn man zusammen zu Gitarrenriffs von David Bowie oder Roxy Music die Haare schüttelte. Und es spielte auch keine Rolle, ob sich Frau an Mann oder Mann an Mann schmiegte. Das war auch 1964 die Botschaft, als der Maler, Filmemacher und Bühnenbildner Derek Jarman beim Weihnachtsfest der Slade School of Fine Art in London mit David Hockney tanzte. Außerhalb der Szene sah die Wirklichkeit anders aus.

Mit Konventionen brach Derek Jarman radikal

1967 wurde die Liebe zwischen Männern über 21 durch Gesetzesänderung in England zwar entkriminalisiert, aber mit Einschränkungen. So war es zum Beispiel für zwei Männer nach wie vor verboten, sich an öffentlichen Orten wie Hotels zu treffen. Diskriminierung Homosexueller war weiter Alltag. Für Derek Jarman, der offen schwul war und in Szenetreffs wie dem Schwulenclub „Yours and Mine" in der Kensington High Street ein und aus ging, lieferte dieser Umstand ein Leben lang Inspiration für seine Kunst. Er wurde zur Galionsfigur der Schwulenbewegung und des unabhängigen britischen Kinos. Mit Konventionen brach er radikal, egal ob gesellschaftlicher oder kinematografischer Natur.

Auszug aus "Sebastiane" von Derek Jarman, Quelle: YouTube

In seinen Filmen fand er zu einer queeren Ästhetik, in der sich seine Leidenschaft für historische Stoffe, Kunst und Gestaltung verband. Sein erster Spielfilm „Sebastiane" von 1976 wurde zum Kultfilm des schwulen Kinos. Er erzählt die Geschichte des Märtyrers Sebastian, ein römischer Soldat, der sich der Legende nach öffentlich zum Christentum bekannte und umgebracht wurde. Es ist eine Figur, die in der Kunst oft mit homosexuellen Themen identifiziert wird. Jarman platziert die Geschichte in einer glamourösen Welt: Seine Römer tragen Glitzer-Togas oder sind nackt und lassen ihre Muskeln im Sonnenlicht spielen, eine Gruppe von Männern trägt bei einem rituellen Tanz riesige bunte Plastikpenisse.

Jarmans Filme sind heute wichtige Dokumente der Subkultur

Schon lange vor „Sebastiane" hatte Jarman Film als Medium für sich entdeckt. In den 1960er-Jahren war die Super-8-Kamera auf den Markt gekommen. Sie war handlich und einfach zu bedienen. Wie Andy Warhols „Factory" in New York wurde Jarmans Studio im Londoner Stadtteil Bankside, eine ehemalige Korsett-Fabrik, zur Keimzelle künstlerischer Produktion. Künstlerfreunde wie Kevin Whitney, Duggie Fields oder Andrew Logan gingen dort ein und aus. Und wie sein berühmterer US-amerikanischer Kollege, dessen Filme er im Londoner „Arts Lab" gesehen hatte, begann Jarman auch in seiner „Factory" mit der Kamera zu experimentieren.

Er hielt alltägliche Szenen fest und verewigte Freunde in kurzen Porträts -- heute sind diese Aufnahmen wichtige Dokumente der Subkultur von damals. 1972 entstand „Miss Gaby -- I'm ready for My Close-Up", sechs Minuten Filmmaterial, das zeigt, wie sich eine Bekannte Jarmans vor einem Spiegel schminkt, während ein Mann sie von einem zerwühlten Bett aus beobachtet. 1974 drehte er das kurze filmische Porträt „At Home with Duggie Fields". Fields studierte an der Chelsea School of Art und gehörte zu den Starlets der Szene, die sich in der King's Road oder der Carnaby Street mit ausgefallenen Secondhand-Stücken und Glitzer-Accessoires eindeckten und einen eigenen queeren Stil schufen. Beide Filmdokumente setzen sich mit der performativen Selbstinszenierung auseinander, die Glam im Herzen ausmachte und es erlaubte, herkömmliche Gender-Rollen abzustreifen.

Sex Pistols, "The Sex Pistols Number One", Regie: Derek Jarman, Quelle: YouTube

Auf die günstige und einfache Möglichkeit, Filme mit der Super-8-Kamera zu drehen, griff Jarman immer wieder zurück. Er hatte zeitlebens Probleme seine zahlreichen, ästhetisch und inhaltlich provokanten Filme zu finanzieren. Musikvideos für Bands wie „The Smiths" oder die „Pet Shop Boys" brachten wichtige Geldspritzen. 1986, neun Jahre vor seinem Tod, erfuhr er von seiner HIV-Erkrankung. Die Aids-Welle der 1980er-Jahre führte zu noch extremerer Homophobie. Jarman bekannte sich öffentlich zu der Krankheit, um gegen ihre Stigmatisierung zu kämpfen. Er blieb bis zum Schluss auch Aktivist.