Julia Zange, Autorin und Schauspielerin in der Webserie "Translantics" von Britta Thie, schreibt in ihrer Kurzgeschichte über das Erwachsenwerden, Psychoanalyse und Smartphone-Entzug.

Ich fühle mich erwachsen, als ich mein noch heißes Pannacotta ins Taxi trage, koordinierend zwischen der Hundeleine, den Taschen mit Sekt und Geschenken (Alexander Wang und Ingeborg Bachmann) und dieser heißen Flüssigkeit, die von Zeit zu Zeit durch die Alufolie suppt. Auch an eine Taxi-Quittung für die Steuererklärung denke ich, während ich dem Hund mit einer Hand die Schnauze zuhalte, damit er nicht ins Taxi kotzt. Als erwachsener Mensch muss man einen klaren Kopf bewahren.

"Es sieht ja hier aus wie auf einem 30. Geburtstag!" Lennart schlägt die Hände über dem Kopf zusammen als er Majas WG-Zimmer betritt. Sie hat das Bett rausgeschoben und dafür drei Holztische zu einer Tafel aufgebaut, mit üppigen Tulpen- und Hyazinthen-Sträußen dekoriert und Antipasti, die nach optischen Gesichtspunkten ausgesucht wurden, dazwischen gestellt. Ein Glas mit kleinen Kraken, die ihre hellvioletten Saugnäpfe durch das Olivenöl ans Glas schieben, hat es ihr besonders angetan. Es gibt von allem genug. Das fühlt sich irgendwie neu an.

"Der Lack ist ab ..." murmelt Helena. Vor ein paar Jahren fiel uns bei jeder Begegnung noch auf wie hübsch wir waren oder dass unsere neuen Asos-Outfits uns gut stehen würden. Ich frage mich, ob wir einfach diesen jugendlichen Glow verloren haben oder ob wir gerade so mit dem Überleben beschäftigt sind, dass uns nicht mehr so viel auffällt. "Schau mal, wie hübsch sich die kleinen Kraken von innen gegen das Glas kleben ..." Lennart, ein blasser Graphikdesigner, den alle wahnsinnig nett finden, regt sich tonlos auf über eine Konferenz zur Digitalen Kultur, die gerade stattgefunden hat. Man ist sich einig, dass das Goethe-Institut nicht weiß, was es tut. Und man weiß, wovon man spricht. Es gibt hier eine ganz klare Übereinkunft, was Gegenwart bedeutet.

Majas Eltern sind auch gekommen. Auch in diesem Alter sind wir mittlerweile: dass man Eltern mit Freunden zusammen einladen kann. Majas Mutter hängt in der ganzen Wohnung vom Computer ausgedruckte Bildercollagen aus Majas Kindheit auf und einen Schulaufsatz ihres kleinen Bruders von 1995, worin er detailliert und herzzerreißend beschreibt wie seine große Schwester einen verletzten Raben findet, sie ihn mit Schnecken füttert und schließlich zum Tierarzt bringt. Maja bereitete den Raben damals mental auf den Arztbesuch vor und der Arzt stellte fest, dass der Vogel Gleichgewichtsstörungen habe. Majas Bruder ist mittlerweile dem Jesuitenorden beigetreten und die Geschichte heißt "Die schwarze Überraschung".

Ich habe Maja dieses Mal konzeptuelle Geschenke mitgebracht, ein paar Alexander Wang Boxhandschuhe, also für den Überlebenskampf (ihr Boyfriend mag die Haptik des außergewöhnlichen Kunststoffs) und Ingeborg Bachmanns Erzählungen "Das dreißigste Jahr". Wir blättern das Buch auf und lachen uns vorsichtshalber kaputt über den direkten, düsteren Pathos. Helena ist heute Abend kaum ansprechbar, in Gedanken darüber, ob ihr neues Kunstprojekt in einer politischen Debatte bestehen könne.

Majas Vater hält die Geburtstagsrede auf Englisch, weil auch viele Kanadier und Amerikaner und ein italienischer Start-Up-Gründer mit am Tisch sitzen. Er redet darüber, wie Maja sein Leben determiniert hat. Sie sei schon vor der Heirat unterwegs gewesen und als einziges der drei Kinder in der gleichen Stadt wie die Eltern geblieben. In der Stadt und, was er nicht sagt, irgendwie auch ein Kind. Er schaut sich um im WG-Zimmer, benennt die Herkunft der Möbel und bastelt daraus eine kleine Familiengeschichte. Der Tisch aus Los Angeles, wo Maja ihre ersten Lebensjahre verbrachte, der Sekretär aus New York, gerettet vom Sperrmüll, das Designersofa der Großmutter aus München, der alte Holzschrank aus dem Saarland. Wehmut und Stolz eines Vaters. Alle klatschen und sind berührt und auch ein bisschen traurig, denken an ihre eigenen Familien und wie lange sie schon nicht mehr mit ihnen gesprochen haben.

Majas Mutter serviert den traditionellen Geburtstagskuchen. Ich verschlinge ein Stück und gestehe ihr, dass ich mit meiner Familie einen furchtbaren Streit habe, aber dass das gut und wichtig sei nach fünf Jahren Psychoanalyse. Sie schaut mich verständnislos an. Aber eigentlich wolle man doch nur Harmonie, sagt sie.

Die allgemeine Verwirrung des Abends wird auf die Sonnenfinsternis geschoben. Eva wimmert: "Ich habe genug von diesen kosmischen Beeinflussungen. Sonnenfinsternis, Zeitumstellung, Vollmond. Ich will endlich wieder meine Ruhe." Sie entschließt sich für einige Wochen nach Portugal zu reisen. "Ich gebe mir sozusagen selbst ein Schreib-Stipendium."

"Kannst du denn leben vom Schreiben?" Der italienische Start-Up Gründer hat sich Eva zugewandt. "Ich arbeite gerade an so einer App, so ein Magazin, das nur aus einem Satz pro Screen besteht, und dann kann man die Seite weg swipen. Wie bei Tinder. Und jedenfalls suchen wir noch Redakteure ..." Eva schaut ihn angewidert an. "Leben kann ich aber ich bezweifle, dass ich sowas schreiben kann ..."

Noel geht mit mir auf den Balkon, wo ich ihr gestehe, dass ich im hohen Alter noch angefangen habe zu rauchen. "Ach weißt du in Wien, wo ich herkomme, spricht niemand mehr mit seinen Eltern. Mach dir keine Gedanken. Michael Haneke kommt aus dieser Stadt ... Ich gehe da immer zu einem ganz tollen Physiotherapeuten, der mich wieder auf Linie bringt. Und das wichtigste, was er macht, außer meinen Körper einzurenken, ist dieser Satz, den er sagt: Du darfst dir vergeben."

Ich schaue betreten auf meine Finger. Die Zigarette verglüht. Ich werde sofort unruhig wenn ich nicht auf mein Handy schauen kann. Aber das liegt drinnen am Tisch, weil wir so ein Experiment ausprobieren wollten, dass niemand aufs Handy schauen darf, solange gegessen wird. In der Zeitung habe ich gelesen, dass die Smartphone-Sucht mindestens genauso gefährlich sei wie Nikotinabhängigkeit. Abhängigkeit scheint ein unumgängliches Gewässer in diesem Leben.

Kurz bevor alle gehen kommt die Lamm-Schulter verspätet aus dem Ofen. Wir essen sie zusammen mit dem lauwarmen flüssigen Pannacotta.