Pop Art in deutschen Städten, Teil 3: in Frankfurt wird die Annäherung von Kunst und Leben wie nirgendwo sonst vollzogen.

Die Amerikanisierung schlägt in der neuen BRD wie eine Konfetti-Bombe ein. Das lässt sich auch an Namen ablesen. Hat Düsseldorf seine Kultkneipe „Creamcheese", kontert Frankfurt, wo die Amerikaner ein Hauptquartier und viele Kasernen unterhalten, mit „Popshop Pudding Explosion". Dort gibt es „Haschischpfeifen ohne Inhalt und sogenannte Psycho-Brillen, die vergrößern oder das Licht facettenartig brechen", schreibt der Spiegel 1968 über den Laden von Peter Roehr und Paul Maenz, und weiter: „‚Psychodelicatessen mit Hippie-Zubehör' umreißen die Jungunternehmer das Verkaufsprogramm des in Deutschland einzigartigen Etablissements - eines kahlen 60-Quadratmeter-Raumes mit Zementfußboden, in dem der schwere Duft glimmender Indischer Räucherstäbe wabert."

In Frankfurt eröffnen einige der größten Werbeagenturen aus den USA ihre Ableger. Peter Roehr, der bis zu seinem frühen Tod mit 23 Jahren hunderte von Arbeiten schafft, macht zunächst eine Lehre als Leuchtreklame- und Schilderhersteller. Später studiert er Kunst in Wiesbaden. Maenz arbeitet als Werbegrafiker bei Young & Rubicam in Frankfurt und New York. Von dort bringt er Eindrücke der boomenden Pop Art und Minimal Art zurück nach Frankfurt. Als Maenz später Galerist wird, pflegt er gute Beziehungen zu New Yorker Kollegen, etwa zu Leo Castelli, der schon früh die Pop Art in den USA fördert.

Das serielle Arrangement wird zum Markenzeichen der Kunst aus Frankfurt

Auch der Künstler Thomas Bayrle ist zunächst in der Werbebranche als Grafiker tätig. Zeitweise unterhält er in Frankfurt eine eigene Agentur. Wie bei Warhol, der als Illustrator in der Werbung arbeitete, bevor er zur Kunst kam, erwächst das künstlerische Interesse Roehrs und Bayrles aus der Beschäftigung mit visuellen Werbebotschaften. Im Auftrag der Agentur McCann erhält Bayrle eine Carte Blanche für eine Aktion im Auftrag der holländischen Teppichmarke „Enkalon". Er überzieht Lastwagen mit Teppichboden, bringt eine Sprechblase mit dem Markennamen an und lässt sie so in der Stadt umherfahren. Auf Plakatwänden präsentiert er Rastermuster mit Bildern von Menschen und Teppichstrukturen.

Das serielle Arrangement wird zum Markenzeichen der Kunst aus Frankfurt. Roehr etwa ordnet Bierdeckel und Werbeanzeigenschnipsel zu Mustern an. Außerdem schafft er Bild- und Tonmontagen, in denen er zum Beispiel Mitschnitte aus deutschen und amerikanischen Rundfunkbeiträgen sowie Werbebotschaften verarbeitet. 1967 organisieren Roehr und Maenz in der Studio-Galerie der Frankfurter Goethe-Universität die Ausstellung „Serielle Formationen" mit Werken von Künstlern wie Carl Andre und Donald Judd. Bayrle lässt für ein Frankfurter Modeatelier selbst Regenmäntel mit seriellen Motiven bedrucken. In Galerien in Essen, Köln und Mailand führen Models die Mäntel vor.

Im Visier: Springer, Auschwitz, Wirtschaftswunder

Wie in Düsseldorf und Berlin entwickelt auch die Frankfurter Szene politische Sprengkraft. Es ist die Zeit der Studentenbewegung. 1968 werden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere, die später die „Rote Armee Fraktion" gründen, Feuer in zwei Frankfurter Kaufhäusern legen. Den von der Studentenbewegung gehassten Springer-Verlag und seine Bild-Zeitung attackiert der Künstler Bazon Brock schon 1963 in der Galerie Loehr und 1965 auch bei René Block in Berlin mit seiner Aktion „Bloomsday". Er richtet einen „Wohnraum eines BILD-Lesers" ein, durch den ein Stacheldraht verläuft, durch Tassen, Teller, Fernsehbild und Butter, um das Zimmer in zwei deutsche Hälften zu teilen. Damit habe er dagegen protestiert, dass die Bild-Zeitung täglich auf die deutsche Trennung verwies, so Brock auf seiner Webseite.

Auf der Frankfurter Hauptwache verteilt er 5.000 Exemplare der im Look der Bildzeitung adaptierten „Bloomzeitung" mit eigenen Texten. 1966 inszeniert er in Frankfurt das „Theater der Position" und entwirft dafür ein in Werbung und Massenmedien inspiriertes Bühnenbild. „Die Bühne war reich gespickt mit sich räkelnden schönen Mädchen und anderen Gebrauchsgegenständen wie Plastikkörben, Bällen, Gartenschläuchen und Waschmittelpaketen", schrieb die Zeit, und „eine Schar Baseballspieler (...) wird während ihres martialischen Treibens berieselt von einem Regen zarter BHs (...), die eine sich hörbar duschende Dame über ihr Plastikställchen hinweg zärtlich auf die Bühne wirft".

1963 beginnen in Frankfurt die Ausschwitzprozesse gegen Mitglieder der Lagermannschaft des Vernichtungslagers. Drei Jahre später fertigt Bayrle seine „Nürnberger Orgie", ein kinetisches Objekt mit einem ausgestreckten Arm im roten Ärmel mit Hakenkreuz, der sich durch einen Elektromotor angetrieben immer wieder zum Hitlergruß streckt. Als 1968 in Berlin auf Rudi Dutschke geschossen wird, entwirft Bayrle ein Plakat, das fortan auf jeder Demo zu sehen ist: Ein Bild von Dutschke mit dem Slogan „Die Revolution stirbt nicht an Bleivergiftung!". Die Annäherung von Kunst und Leben, die die Pop Art überall antreibt, wird in Frankfurt wie nirgendwo sonst vollzogen.