Neben ihren unzähligen Selbstbildnissen porträtierte die finnische Malerin Helene Schjerfbeck auch immer wieder andere Frauen. Vor allem ihre Freundin Dora Estlander hatte es ihr als Modell angetan.

Die dunklen, schräg stehenden Augen stellen direkten Blickkontakt her. Distanziert, fast verächtlich ziehen sich die dünnen, runden Brauen, neigt sich das spitze Kinn. Die Haut ist blass, beinahe gräulich. Nur das kräftige Rouge, aufgetragen auf den hohen Wangenknochen, und die blass rot geschminkten Lippen leuchten auf. Das kantige Gesicht wird von einem Bubikopf gerahmt. Die Dame strahlt zweifelsohne eine eigenwillige Eleganz aus. Es ist Dora Estlander. Estlander war die Tochter der Cousine Helene Schjerfbecks. Die beiden hielten regen Kontakt, tauschten sich aus über Kunst, Literatur und Mode. Dora Estlander stand Schjerfbeck immer wieder Modell und stellte für die Malerin den Inbegriff einer modernen Frau des 20. Jahrhunderts dar - selbstbestimmt, intelligent, modisch.

Zeigte Schjerfbeck ihre Freundin in dem Porträt „Dora (Dora Estlander)" von 1922 noch als sinnliche Frau mit großen, runden Augen und geschwungenen Lippen, die eine dunkle und mysteriöse Aura zu umgeben scheint, wird Estlander in „Elegante Dame" und „Frau auf Grün (Dora)" aus dem Jahr 1928 als unnahbare, exzentrische Persönlichkeit dargestellt. Die Gesichtszüge erscheinen markanter, der spöttische Blick und der betont geometrische Bubikopf, Trendfrisur der „Roaring Twenties", haben nichts gefälliges mehr. Die Femininität, die Schjerfbeck in ihren Porträts zeigt, ist nicht weich, nicht lieblich. Im Gegenteil.

Orientierte sich Schjerfbeck in späteren Werken teilweise an den Motiven des niederländisch-französischen Malers Constantin Guys, der im 19. Jahrhundert die bürgerliche Gesellschaft porträtierte, weisen doch vor allem ihre Frauenbilder aus den 20er-Jahren einen ganz eigenen Stil auf. Diese unterschieden sich deutlich von den in der Malerei gängigen Porträtierungen des Weiblichen. Denn vor allem im traditionellen Genre der Malerei galt die Frau zunächst als Muse, als Objekt - gesehen, interpretiert und gemalt aus einer männlichen Perspektive. Malerinnen gab es bis ins 19. Jahrhundert wenige. Nicht nur, weil Möglichkeiten der Ausbildung und der Berufsausübung für Frauen begrenzt waren. Sondern auch, weil Kreativität, Autorenschaft und Schöpfungskraft schlichtweg nicht als „typisch" weibliche Qualitäten galten. Bis heute bleibt der kunsthistorische Kanon von Männern dominiert. Die Geschichte der Frau in der Kunst ist daher, wie die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen es formuliert, „die Geschichte eines Schweigens, einer Aussparung, einer Absenz".

In Helene Schjerfbecks Porträts zeigt sich also nicht nur ein neues Frauenbild der Moderne, sondern vor allem Schjerfbecks Blick auf jene Frauen, der wiederum durch ihre eigene, individuelle aber eben auch spezifisch weibliche, Erfahrung geprägt ist.

Changierend zwischen Entfremdung und Nähe

Für die Malerin funktioniert die Porträtmalerei vor allem als Spiegel der Zeit. Demnach sind Schjerfbecks Frauenportäts zwar nach realen Menschen gemalt, haben jedoch oft wenig tatsächliche Ähnlichkeit mit den Dargestellten. Manchmal malte die Finnin nach Fotos, manchmal nur aus der Erinnerung. Ob Dora Estlander ihre spitzen Züge in Schjerfbecks Bildern gefallen haben? Vermutlich nicht. Doch oft zeigte die Malerin den Porträtierten ihre Bilder nicht einmal. Einige Titel ihrer Werke, wie „Die Lehrerin" (1933), „Mädchen von den Inseln" (1929) oder „Modernes Schulmädchen" (1928), verraten, dass es sich bei Schjerfbeck ohnehin vielmehr um die Skizzierung von Prototypen handelte. Darum, wie arbeitende Frauen, junge Frauen, reisende Frauen im 20. Jahrhundert aussehen könnten. Oder zumindest, wie Helene Schjerfbeck sie sah.

Ihr „Modernes Schulmädchen" hat keinen Namen. Die Arme hält sie verschränkt, ihre Schultern fallen nach vorn. Der Blick wendet sich mürrisch aus dem Bildraum, es liegen tiefe Schatten um die Augen. Das helle Haar, die Haut, das Hemd und der Hintergrund heben sich farblich nur in Nuancen voneinander ab. Einzig die roten Lippen und der grüne Hemdsaum stechen als Akzente hervor. Changierend zwischen Entfremdung und Nähe, emotionaler Leere und aufgeladener Atmosphäre, wird das Porträt des jungen Mädchens von einer Mehrdeutigkeit bestimmt. Auch die Tatsache, dass das Schulmädchen, wie viele von Schjerfbecks Protagonistinnen, den Blick vom Betrachter abwendet und ihr Gesichter schemenhaft, maskenartig wirkt, macht es schwierig, Gefühlszustände zu deuten. Zweifellos ist es eine Periode des Umbruchs und des Wandels, die auch eine neue Auffassung von Weiblichkeit mit sich bringt und in den Porträts Helene Schjerfbecks auf wunderbare Weise zum Ausdruck kommt.