Théodore Géricault verabscheute die Todesstrafe. Seine Porträts von bei Hinrichtungen abgetrennten Köpfen bannen den unwirklichen Moment zwischen Leben und Tod.

Für 30 Sekunden brennt die Glühbirne in Douglas Gordons Arbeit „30 seconds text“ aus dem Jahr 1996. Die Zeit reicht gerade aus, um an der Wand einen Text zu lesen. Darin berichtet ein französischer Arzt, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht, mit dem Kopf eines Verbrechers zu kommunizieren, den eine Guillotine eben vom Rest des Körpers abgetrennt hat. Die Augen hätten noch für 30 Sekunden auf das Rufen des Namens des Mannes reagiert, heißt es da. Dass der Kopf eine Weile zum Sterben brauchen könnte, ist eine schaurige Vorstellung, die auch den Maler Théodore Géricault umgetrieben haben dürfte. Zu seinen Lebzeiten waren Exekutionen mit der Guillotine gang und gäbe.

Lange Zeit war das Köpfen eine unsaubere Angelegenheit. Der Henker schwang das Schwert oder Beil von Hand in den Nacken des Verurteilten, oft benötigte er mehrere Hiebe. 1789, im Jahr der Französischen Revolution, setzte sich der Arzt Joseph-Ignace Guillotin für ein mechanisches Enthauptungsgerät ein. Es sollte die Hinrichtungen, die nun massenhaft als politisches Instrument eingesetzt wurden, menschlicher machen. Die nach ihm benannte Guillotine löste schließlich verschiedene grausame Henkermethoden ab. Ob König oder Straßenräuber: Die Hinrichtung lief nun für jeden gleich ab. Die Köpfe rollten in Massen. Einige junge Künstler machten sie zu Sujets physiognomischer Studien.

Augen starren in den leeren Raum

Öffentliche Hinrichtungen waren gut besuchte Spektakel. Auch Géricault sah sie sich an, auf Reisen in Italien und zuhause in Frankreich. In Italien entstanden mehrere Zeichnungen. Eine zeigt die Szene einer Hängung, den Verurteilten werden gerade die Schlaufen über den Kopf gezogen. Eine andere zeigt einen Mann, der gerade mit verbundenen Augen aufs Schafott geführt wird. Oben wartet der muskulöse Henker mit dem Beil in der Hand. Auch in Frankreich fertigte er Skizzen an. Und um 1818/1819 verewigte er abgetrennte Köpfe in zwei Ölgemälden.

Auf den ersten Blick vermitteln die Darstellungen den Eindruck einer kühlen, analytischen Distanz. Der Kopf eines Mannes liegt auf einem weißen Leinentuch, der Hals ist sauber durchtrennt, in seiner Mitte ist der Knochen der Halswirbelsäule zu erkennen. Die schlaffen Gesichtszüge liegen in dunklen Schatten, die Augen des Toten sind geschlossen. Auf einem weiteren Gemälde liegen zwei Köpfe auf Tüchern. Während der eine aussieht, als ob er schliefe, erschreckt der andere mit verzerrtem Gesicht, offenem Mund und Augen, die aus tiefen Höhlen in den leeren Raum starren. In diversen zuvor skizzierten Studien sind die Köpfe mal von vorne, mal von hinten und mal von der Seite zu sehen. Bei einer der Ansichten scheint der Tote den Betrachter direkt anzuschauen.

Erst 1977 wurde in Frankreich der letzte Verurteilte guillotiniert

Es sei Géricault nicht um den Ausdruck von Schrecken gegangen, schreibt Gregor Wedekind in einem Essay im Katalog zur Ausstellung, sondern „vielmehr um die letzte seelische Regung eines individuellen Menschen im Moment seines Todes und um den ungeheuerlichen Kontrast, der daraus entsteht, wenn das, was eben noch lebendig war, nun für immer tot sein soll.“ Was da zu sehen ist, berührt und ekelt. Die Ästhetisierung von Ekel war bis dato ein Tabu in der Kunst. Géricault wählte dieses Mittel ganz bewusst: Der Betrachter kann sich dem Ekel nicht entziehen, seine emotionale Reaktion ist bereits im Bild angelegt. Géricault involviert ihn, provoziert eine Regung, eine Abwehrhaltung gegen das, was da passiert ist.

Hinrichtungen waren für den Maler etwas Grausames. Seinen Schüler Louis-Alexis Jamar soll er gerügt haben, weil er sich die Enthauptung eines berüchtigten Mörders aus Neugier angesehen hatte. Viele seiner Zeitgenossen bezweifelten, dass die Guillotine tatsächlich einen schmerzfreien Tod ermöglichte und menschlicher sei. In liberalen Kreisen, zu denen Géricault engen Kontakt pflegte, forderte man bereits die Abschaffung der Todesstrafe. Erst 1977 wurde in Frankreich der letzte Verurteilte guillotiniert. Auch sein Kopf soll angeblich noch 30 Sekunden lang auf Zurufe reagiert haben.