Von Pop Art über Pictures Generation bis in die Gegenwart: Ästhetik und Sujet der Paparazzi faszinieren auch bildende Künstler.

Das vielleicht berühmteste Paparazzi-Foto der Kunstgeschichte zeigt Mick Jagger und Robert Fraser. Sie sitzen mit Handschellen in einem Polizeiwagen, halten die Hände vor ihre Gesichter. Illegaler Drogenbesitz lautet die Anklage. Der britische Pop Art-Künstler Richard Hamilton findet das Bild seines Kunsthändlers und des Rockstars 1967 in der Zeitung „Daily Sketch". Er adaptiert es in Gemälden und Siebdrucken, drückt so seine Kritik am konservativen britischen Establishment aus.

Auf der anderen Seite des großen Teichs, in New York, liest Andy Warhol jeden Tag die Klatschpresse, macht bald aus Pressefotos Kunstwerke. So entsteht etwa seine Serie „Death and Disaster" mit Aufnahmen von Selbstmördern und Autounfällen. Die Ästhetik der Paparazzi greift er in den Siebzigern für seine „Exposures" auf. Auf Partys schießt er mit einer Minox-Kamera spontane Bilder von Stars. Das Paparazzi-Bild ist für ihn der Inbegriff einer guten Fotografie, laut Warhol müsse eine solche eine öffentliche Person in einer privaten Situation zeigen.

Die Paparazzi-Kultur entsteht viel früher, weder in London noch in New York, sondern im Rom der Fünfziger. Privates aus dem Leben von Filmstars wie Marcello Mastroianni oder Sophia Loren wollen die Menschen sehen. Federico Fellini dreht 1960 seinen antibürgerlichen Film „ La Dolce Vita", lässt einen Promifotografen auf den Jetset los und tauft ihn „Paparazzo". Das Phänomen hat einen Namen.

Kritik an der Gesellschaft des Spektakels

Mythos und Ästhetik der Paparazzi finden zusammen mit anderen Medienbildern ab den Sechzigern Eingang in die Kunstgeschichte. Eine häufige Strategie ist die Adaption und Persiflage solcher Fotografien, um ihr Potenzial bei der Konstruktion von Identitäten aufzudecken und die Gesellschaft des Spektakels anzuprangern. Neben Künstlern wie Richard Hamilton und Andy Warhol sind es in Deutschland vor allem Gerhard Richter und Sigmar Polke, die Fotografien aus Zeitungen als Vorlage nutzen und heute legendäre Werke ihres „Kapitalistischen Realismus" schaffen.

Die fotografische Vorlage für das Ölgemälde „Herr Heyde" fand Richter 1965 im „Spiegel". Sie zeigt den Naziverbrecher Werner Heyde auf dem Weg aus einem Gerichtsgebäude. Heyde ist im Profil zu sehen, mit Hut und Brille, zum Teil verdeckt durch einen Polizisten. Ihre Gesichter sind vom Blitz stark ausgeleuchtet und werfen einen dunklen Schatten. Richter dramatisiert die Paparazzi-Ästhetik durch den gemalten Effekt großer Unschärfe, der zu seiner unverwechselbaren künstlerischen Handschrift wird.

Auch in der Modefotografie findet die Ästhetik der Paparazzi Fans. Richard Avedon veröffentlicht 1962 im einflussreichen US-amerikanischen Magazin Harper's Bazaar erstmals eine Bildstrecke im Paparazzi-Stil. Perspektive und Bildkomposition gaukeln vor, die Fotos seien aus dem Hinterhalt geschossen worden. Die Szenen sind an Fotostrecken zu Liz Taylors und Richard Burtons Liaison angelehnt. Avedons Verquickung der Genres inspiriert weitere Fotografen wie Helmut Newton und William Klein, später Terry Richardson und Steven Meisel.

Madonnas Müll, säuberlich dokumentiert

Als sie in den Achtzigern die Bühne der Kunstwelt betreten, greifen die Jungstars der US-amerikanischen Pictures Generation wie Barbara Kruger und Cindy Sherman Medienbilder und ihre Ästhetik auf, um ihr kritisches Potenzial zu nutzen. Zur gleichen Zeit steigen die Auflagen der Celebrity Press in den USA. Richard Prince sammelt Fotos von allen möglichen Stars, ordnet und typologisiert sie. Er reproduziert so, was die Klatschpresse seit Jahrzehnten hervorbringt: Ein schnell wachsendes Archiv der Paparazzi-Fotografie.

Daraus schöpfen Künstler auch in der Gegenwart. Zum Beispiel Paul McCarthy: Für seine Serie „People" appropriiert er ein Titelblatt des gleichnamigen US-amerikanischen Celebrity-Magazins mit dem Konterfei von Heidi Fleiss, die in Beverly Hills einen von Stars frequentierten Prostituierten-Ring betrieb, und dekonstruiert es in einer Reihe von dadaistisch anmutenden Collagen. Alison Jackson manipuliert Bilder, um Stars in unwirklichen Situationen zu zeigen, etwa Lady Di und Marilyn Monroe beim gemeinsamen Shoppen.

Andere Künstler reduzieren die Paparazzi-Fotografie auf ihren Anlass: Den Voyeurismus des Publikums, den Wunsch, tief in die Privatsphäre der Celebritys einzutauchen. Bruno Mouron und Pascal Rostain, einst selbst Paparazzi, beginnen 1990 ihre Serie „Trash", für die sie den Müll von Stars wie Madonna fein säuberlich sortieren und mit der Kamera dokumentieren, Konzeptfotografie à la Becher-Schule. Der schwedische Künstler Ulf Lundin überredet eine Familie, sich für ein Jahr lang mit der Kamera beschatten zu lassen. „Pictures of a Family" entsteht in den Neunzigern und führt die Essenz der Paparazzi-Fotografie ad absurdum, indem anonyme Menschen an die Stelle der Superstars rücken.

Domestiziert hätten all diese Künstler die Paparazzi-Fotografie, schreibt Quentin Bajac, Leiter der Abteilung für Fotografie am New Yorker MoMA, in seinem Essay für den Katalog zur Ausstellung in der SCHIRN. Jetzt bekommen die Paparazzi Konkurrenz von den Stars selbst, die in privaten Situationen geschossene Selfies über Social Media wie Instagram oder Twitter verbreiten. Genug Stoff für eine neue Generation von bildenden Künstlern.