Die Jahre von 2001 an sind davon geprägt, der SCHIRN ein stringentes Profil zu geben. Die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts sowie der Gegenwart rückt klar ins Zentrum des Programms. Der Charakter der Ausstellungen grenzt sich deutlich vom musealen Angebot ab.

Eine Kunsthalle wie die SCHIRN sollte sich sowohl in ihrer inhaltlichen Ausrichtung als auch in ihrer inszenatorischen Gestaltung und kunsthistorischen Perspektive nicht als temporäres Museum verkleiden. Die Aufgabe der SCHIRN wurde es vielmehr, virulente Themen aufzugreifen und aktuelle Aspekte des OEuvres bedeutender Künstler aus einer zeitgenössischen Perspektive zu präsentieren. Als Ort der Entdeckungen und Seismograph für brisante Entwicklungen in der bildenden Kunst ist die SCHIRN bestrebt, beides zu bieten: ein originäres und sinnliches Ausstellungserlebnis sowie eine engagierte Teilnahme an der kunsthistorischen Betrachtung.

Das heißt auch, die gesellschaftliche Verankerung der Kunst zu benennen und immer wieder neu zu verorten, durchaus auch eine streitbare Meinung zu äußern und neue Wege zu gehen. Im Gegensatz zum Museum, das im Rahmen seiner Ausstellungstätigkeit Feststellungen aus einer langjährigen Sammlungs- und Forschungstradition heraus trifft, ist es Aufgabe einer Kunsthalle, fundierte Vorschläge aus einer aktuellen Perspektive zu entwickeln. Ganz bewusst fordern die Ausstellungen der SCHIRN zur Diskussion auf. Die Resonanz ist entsprechend: Mit einem solchen Konzept bekommt man viel Lob und Zustimmung, aber auch ein entsprechendes Maß an Gegenstimmen und Kritik -- alles andere wäre eine Überraschung.

Ausstellungsansicht von „Die totale Aufklärung. Moskauer Konzeptkunst 1960 – 1990“, 2008.

RESONANZ IN DER GESELLSCHAFT

Die Ausstellungen der SCHIRN wenden sich an ein großes Publikum. Das Ziel, gemessen an den Besucherzahlen, populärste Kultureinrichtung der Region zu sein, wurde immer wieder und gerade auch in den letzten Jahren mehr als erreicht. Allerdings geht es uns nicht vorrangig um Besuchermaximierung -- dann würde sich das Programm der SCHIRN anders gestalten. Ausstellungen wie „Traumfabrik Kommunismus. Die visuelle Kultur der Stalinzeit" oder „Die totale Aufklärung -- Moskauer Konzeptkunst 1960--1990" sind aufgrund ihres Titels oder Themas sicherlich nicht prädestiniert, Besuchermassen in die SCHIRN zu ziehen -- dazu würden sich Ausstellungen mit möglichen Titeln wie „Von Monet bis Picasso -- Die Sammlung XY" oder „Das Gold der ..." weit besser eignen.

Darum geht es der SCHIRN jedoch nicht, vielmehr ist es unser Anliegen, komplexe Ausstellungen und faszinierende neue Themen durch die Art der Präsentation, die Qualität der Exponate, die Sorgfalt in der Vermittlung und den Einfallsreichtum in der Vermittlung und Bewerbung einem möglichst großen, neuen Publikum nahezubringen.

Der Erfolg der SCHIRN misst sich insofern nicht ausschließlich an den Besucherzahlen, sondern in gleichem Maße auch an der Resonanz, welche die Ausstellungen finden, und an den Spuren, die die SCHIRN mit ihnen sowohl in der Kunstwelt als auch in der Gesellschaft hinterlässt. So wurde gerade auch mit den von dem Philosophen und Medientheoretiker Boris Groys kuratierten Ausstellungen „Traumfabrik Kommunismus" und „Die totale Aufklärung" einerseits der frühe Russland- Schwerpunkt der SCHIRN fortgeschrieben, andererseits wichtigen und im Westen bisher wenig beachteten Strömungen der Kunst des 20. Jahrhunderts erstmals eine breite Plattform gegeben.

Ausstellungsansicht von „Impressionistinnen. Morisot. Cassatt. Gonzalès. Bracquemond“, 2008.

"IMPRESSIONISTINNEN-AUSSTELLUNG FÜLLT EINE LÜCKE"

Bezeichnend für die Ausstellungen der SCHIRN ist deren neue Perspektive auf ein Thema, eine Epoche, einen Künstler oder einen Aspekt seines Werks. Die Ausstellung „Impressionistinnen" im Jahr 2008, die das künstlerische Schaffen von Berthe Morisot, Mary Cassat, Eva Gonzalès und Marie Braquemont vorstellte, war ein herausragendes Beispiel dafür, wie viel es auch für routinierte Kunstfreunde noch zu entdecken gibt. Denn noch nie zuvor konnte man das Wirken und den Einfluss der Frauen in der Pariser Kunstszene des ausgehenden 19. Jahrhunderts in so umfassender und überzeugender Weise nachvollziehen. Die Ausstellung war mit 185.000 Besuchern nicht nur die zweiterfolgreichste Schau in der Geschichte der SCHIRN, sie erhielt auch in den Medien überwältigende Resonanz.

So schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Ausstellung ramme „mit der Wucht eines Schaufelbaggers in die Kunstgeschichte. (...) Hinter diese Ausstellung werden Museen und Kuratoren nicht mehr zurückkönnen." Die Frankfurter Rundschau befand: „Die Impressionistinnen-Ausstellung in der Frankfurter SCHIRN füllt eine erstaunliche Lücke." Der Spiegel schrieb: „Eine Frankfurter Ausstellung über vier Malerinnen des Impressionismus erweist sich als Überraschungserfolg (...), und es scheint so, als habe das Kunstpublikum nur darauf gewartet." Und schließlich die International Herald Tribune: „The SCHIRN KUNSTHALLE in Frankfurt begins a fantastic exhibition of four female Impressionists today."

Ausstellungsansicht von „Henri Matisse. Mit der Schere zeichnen“, 2002/2003.

SCHIRN-SCHAUEN WERDEN WELTWEIT GEZEIGT

Eine weitere spektakuläre Ausstellung war dem Spätwerk von Henri Matisse gewidmet. Unter dem Titel „Henri Matisse.Mit der Schere zeichnen" präsentierte die SCHIRN 2002 über 70 Scherenschnitte des Meisters der Moderne in bisher nie dagewesener Dichte und Qualität. Während die teilweise riesigen „Papiers Découpés" zu Lebzeiten des Künstlers kaum beachtet wurden, zählen sie heute zu den Höhepunkten seiner künstlerischen Laufbahn und den kostbarsten Werken der klassischen Moderne. In der SCHIRN begeisterten sie über 138.000 Besucher.

Große Ausstellungen nationaler und internationaler Ausstellungshäuser und Museen sollten durch die Gründung der SCHIRN in Frankfurt Station machen. Auch das war 1986 ein erklärtes Gründungsziel dieser Institution. Mittlerweile hat sich die Zielrichtung umgekehrt, bedingt durch eine der besonderen Stärken der SCHIRN: Große Ausstellungen -- wie die Themenausstellungen „Shopping -- 100 Jahre Kunst und Konsum", „Die nackte Wahrheit -- Klimt, Schiele, Kokoschka und andere Skandale" und die „Impressionistinnen", die Ausstellung der großformatigen Aquarelle und Pastelle von Max Beckmann, die umfassenden Präsentationen der Werke von Yves Klein, A. R. Penck und Julian Schnabel oder eben der Scherenschnitte von Henri Matisse -- hatten durchweg ihren Ausgangspunkt in Frankfurt. Sie wurden von den Kuratoren für die SCHIRN konzipiert und erarbeitet und reisten danach zu weiteren weltweit wichtigen Museumsinstitutionen.

So waren Ausstellungen der SCHIRN in den vergangenen Jahren in der Tate Liverpool, dem Fine Arts Museum in San Francisco, dem Tinguely Museum in Basel, dem Musée d'Art moderne de la Ville de Paris, der KUNSTHALLE Wien, dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid, dem Leopold Museum Wien oder dem Guggenheim Bilbao zu sehen und sorgten auch an diesen Orten für große Resonanz.

Dies ist insofern bemerkenswert, als eine Kunsthalle -- eine Institution ohne eigene Sammlung -- als Ausstellungsproduzent und somit auch Leihnehmer hochkarätiger Kunstwerke eine wesentlich schwierigere Verhandlungsposition hat als ein Museum. Die SCHIRN ist weltweit eine der wenigen Kunsthallen, die ganz gezielt nicht nur zeitgenössische Kunst präsentiert, sondern vor allem auch Ausstellungen zur Kunst der Moderne und deren Vorläufern in ihrem Programm hat -- ein Bereich, in dem das Werben um Leihgaben besonders schwierig ist.