Stan Brakhage zeigt in der Ausstellung „Privat“ in seinem 12-minütigen Kurzfilm „Window Water Baby Moving“ ganz unverblümt die Geburt seiner Tochter Myrrena.

Der 1958 gedrehte Film „Window Water Baby Moving" gehört zu den bekanntesten und seiner Zeit umstrittensten Werken des Filmemachers Brakhage. Schon während der Produktion des Films kam es zu einer Reihe von Schwierigkeiten, und so kann man von einem Glücksfall sprechen, dass die Arbeit überhaupt zu Stande kam.

Stan Brakhage, geboren am 14. Januar 1933, drehte seinen ersten Film bereits im Alter von 19 Jahren. Während der 1950er-Jahre erfuhr sein Schaffen keine große Beachtung, was sich erst Anfang der 1960er-Jahre durch positive Besprechungen in Filmzeitschriften und regelmäßige Ausstellungsprojekte änderte. Brakhage bediente sich damals noch neuen und ungewöhnlichen Techniken der Filmproduktion, wie z.B. der Handkameraführung, sehr schnellen Schnittsequenzen (sog. „fast-cutting"), Mehrfachbelichtungen oder der „draw-on-film"-Technik (dem zerkratzen und bemalen des Filmmaterials). Brakhage zählt heute mit ca. 380 (Kurz-)Filmen zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Experimentalfilmer.

Angst vor rechtlichen Schritten

Die Ehefrau des Künstlers, Jane, bestand auf die Anwesenheit ihres Mannes bei der Geburt der Tochter Myrrena. Da Brakhage jedoch befürchtete bei der Entbindung ohnmächtig zu werden, wollte er den gesamten Vorgang auf Film festhalten. Hierbei, so die Idee, wäre er vollkommen konzentriert und könne nicht das Bewusstsein verlieren, erklärte der Filmemacher später in einem Interview. Nach anfänglicher Skepsis stimmte seine Frau dem Dreh schließlich zu. Das Krankenhaus erteilte hierfür allerdings keine Erlaubnis, und so wurde die Entbindung zu Hause durchgeführt. Der Filmemacher musste sich zunächst um eine Hebamme und medizinisches Equipment kümmern. Am Tag der Geburt schließlich war Brakhage so nervös, dass seine Frau ihn beruhigen und zeitweise selbst die Kameraführung übernehmen musste.

Als Stan Brakhage den Film nach monatelangen Schnittarbeiten zur Weiterbearbeitung an Kodak schickte, wurde ihm empört mitgeteilt, dass man den Film entweder direkt zerstören oder an die Polizei weiterleiten würde. Erst der Brief eines Arztes konnte die Angelegenheit klären und führte schließlich zur Fertigstellung des Films. Da Brakhage Angst vor rechtlichen Schritten gegen „Window Water Baby Moving" hatte, wurde dieser ab 1959 oft zusammen mit George C. Stoney's Hebammen-Lehrfilm „All my babies" als double feature gezeigt. Die Reaktionen auf den Film waren dennoch heftig: nach einer Vorführung soll sogar auf den Filmemacher geschossen worden sein.

Sprachlos in Anbetracht der Geburt eines Menschen

Dass der Film auch heute noch stark zu berühren vermag, kann jeder attestieren, der bei der Vorführung einmal den Blick von der Leinwand auf die anderen Zuschauer lenkt. Die explizite Darstellung der Entbindung, die Großaufnahmen der weiblichen Genitalien, der sich lösende Schleimpfropfen, die Geburt des Kindes wie auch die Plazenta, löst unweigerlich heftige Reaktionen aus. „Window Water Baby Moving" als voyeuristisch zu beschreiben, wird dem Werk dennoch nicht gerecht.

Brakhage schneidet Szenen der Geburt mit Aufnahmen der im Wasser liegenden Hochschwangeren und Bildern seiner neugeborenen Tochter ineinander. Fasziniert filmt er den voluminösen Bauch seiner Frau, versucht Bewegungen als Lebenszeichen festzuhalten, zeigt die Geburt, einzelne Körperteile und erneut Bewegungen in expressiven Nahaufnahmen. Immer wieder scheint helles Sonnenlicht durch die Fenster: Gleichsam dem Wunder des Lebens, das sich Bahn bricht, schimmert das Licht in die nicht ausgeleuchtete Szenerie und wird auf dem Filmmaterial in warmen Farbtönen wiedergegeben. Die Montage fügt dem Filmmaterial eine poetisch anmutende Ebene hinzu, welche weit über einen dokumentarischen Realismus hinausgeht. Durch den Schnitt subjektiviert Brakhage die Entbindung, macht sie zu seiner ganz persönlichen Erfahrung. Gerade hierdurch wird die Geburt für den Betrachter individuell erfahrbar und verhindert eine objektive Distanz, die das rein Dokumentarische in der Regel evoziert. Dieses Gefühl wird durch den fehlenden Ton verstärkt, der die „Sprachlosigkeit" in Anbetracht der Geburt eines Menschen auf der formalen Ebene wiedergibt.

Eine „männliche" Sichtweise auf die Welt

„Window Water Baby Moving" löste enorm kontroverse Reaktionen aus. Wurde der Film einerseits als bahnbrechend und einmalig gefeiert, sahen andere in ihm die Reproduktion einer „männlichen" Sichtweise auf die Welt: meine Frau, mein Kind, meine Kamera, etc. Brakhage selbst war einige Zeit nach der Veröffentlichung des Films der Ansicht, dass dieser seine eigenen Emotionen nur unzureichend vermittelte und sollte 1961 die Geburt seines dritten Kindes wieder filmisch verarbeiten. Diese Aufnahmen bearbeitete er mit der draw-on-film Technik und verhalf dieser Technik zu ihrer heutigen Bekanntheit.