Mit seinen Modefotografien hat er die Glam-Ära geprägt: Guy Bourdin zählt zu den Entdeckungen der GLAM!-Ausstellung.

Zwei als Geishas verkleidete Models räkeln sich auf der Suche nach der perfekten Pose, hinter ihnen rauscht das Meer, roter Nagellack funkelt in der Sonne, Lichtreflexe zucken über die gemusterten Kimonos. Guy Bourdin hat diese Bilder 1974 bei einem Shooting für Vogue mit der Super-8-Kamera eingefangen. Neben Kollegen wie Helmut Newton revolutionierte er die Modefotografie, schuf narrative Szenen, in denen die textilen Hüllen nur noch Nebenrollen spielten. Ein bahnbrechender Ansatz. Heute sind Hochglanzmagazine voll von Bildern dieser Art. Bourdins Werke würden darin kaum auffallen. Er hat Generationen von Modefotografen inspiriert und ein schier erschlagendes Stil-Repertoire geliefert: In seinen fabelhaften Bildwelten findet sich die Leichtigkeit der Pop Art genauso wie barock-opulente Kompositionen, Bauhaus-Perspektiven und surrealistische Szenerien, sogar die Pariser Straßenfotografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts lieferte Impulse für den Franzosen.

1955 veröffentlicht er erstmals in der französischen Vogue

1928 wird Bourdin in Paris geboren. Er versucht sich als Maler und Fotograf, stellt schon in den 1950er-Jahren in Paris und London aus. Das Fotografieren lernt er als Soldat im Senegal, wo er in den späten 1940er-Jahren stationiert ist. 1955 druckt die französische Vogue erstmals Modefotografien von ihm ab, es folgen Veröffentlichungen in der Zeitschrift Harper's Bazaar, der italienischen, britischen und amerikanischen Vogue, Kampagnen für den französischen Schuhdesigner Charles Jourdan, den er sein Leben lang begleiten wird, sowie Aufträge von Modelabels wie Issey Miyake, Gianfranco Ferré oder Emanuel Ungaro. Seine Auftragsfotografien sind immer auch autonome Kunstwerke. Das setzt Kompromisslosigkeit voraus. Bourdins Models und Mitarbeiter erinnern sich daran, dass er Art-Direktoren und Moderedakteuren keinerlei Mitspracherecht einräumte. Als er für eine Titelaufnahme mit einem farbigen Model arbeiten wollte und die amerikanische Vogue das ablehnte, soll er das Shooting kurzerhand abgesagt haben.

Ironischerweise konnte Bourdin als Auftragsfotograf stilistisch viel freier agieren als die Fotokünstler seiner Zeit. In den 1970er-Jahren wurde die Farbfotografie in der Kunst erst allmählich salonfähig. US-amerikanische Fotografen wie Stephen Shore, William Eggleston, Walker Evans oder Joel Sternfeld schossen damals konsequent Farbfotos und schafften es zu ersten Ausstellungen, heute ist die Bewegung als „New Color Photography" bekannt. Was in der Kunst noch Neuland war, hatte sich in der kommerziellen Fotografie längst entwickelt. Guy Bourdin gehörte zu den ersten, die Farbe ganz bewusst als Gestaltungsmittel einsetzten.

Madonna beschrieb Bourdin als „krank und interessant"

Im Mittelpunkt von Bourdins Werk steht die Inszenierung jener neuen Weiblichkeit, die in der Glam-Ära regelrecht zur gesellschaftlichen Obsession wurde. In Nylon-Strümpfe gehüllte Beine, High Heels, nackte Hintern, Schaufensterpuppen, rote Lippen und rot lackierte Fingernägel bevölkern Bourdins Tableaus, werden collagiert oder skulptural arrangiert und fungieren als Metonymien eines neuen Frauenbildes. Seine Protagonistinnen sind sexy, geheimnisvoll und radikal. Sie sind Meisterinnen der Selbstinszenierung. Und obwohl sie ganz offensichtlich der männliche Blick von Bourdins Kamera definiert, sind sie nie reine Objekte der männlichen Begierde, sondern immer mythische Heldinnen in stilisierten Umgebungen. Vielleicht ist es das, was Bourdins Arbeiten so unwiderstehlich macht und was Künstler bis heute berührt. Popdiva Madonna, die für ihr Musik-Video „Hollywood" Motive von Bourdin so direkt aufgriff, dass ihr das eine Klage der Urheberrechtserben einbrachte, beschrieb ihn als „krank und interessant".

Wie seine Fotografien zeugen auch Bourdins filmische Arbeiten von einer grenzenlosen Experimentierfreude. Er nahm Ästhetiken vorweg, die im zeitgenössischen Fashion-Film Standard sind, erforschte die Möglichkeiten der Montage, filmte Models bei der Shooting-Pause, tastete in Großaufnahmen nackte Körper ab und zeigte auch mal einen Hund, der sein Geschäft auf einem Pariser Bürgersteig macht. Sein fotografisches Vokabular verknüpfte er mit Charakteristika des bewegten Bildes, ließ ein Model etwa in Zeitlupe auf einem sich bewegenden Stuhl wie auf einem Bullen reiten. In den späten 1980er-Jahren zog sich Bourdin schließlich zurück, 1991 starb er. Lange Zeit geriet er in Vergessenheit. Heute wird er neu entdeckt, nicht nur als Künstler, der das Glam-Lebensgefühl inspiriert und bebildert hat, sondern vor allem als einer, der Tabus und Normen sprengte, um der Kunst neue Türen zu öffnen.